Wege der Gefühle

Es ist schon sonderbar, wie schnell die Zeit vergeht. Überhaupt dann, wenn man alt wird. Was in der Jugendzeit versäumt, überhaupt nicht- oder nur wenig getan, nämlich tatsächlich gelebt, das ringt man im Alter jedem Tagesablauf ab. So zumindest ergeht es mir. Bin bemüht- und genieße, wo früher ich in verqualmten Gasthäusern um diverse Musikboxen herumlungerte, jetzt jeden Tag in der freien Natur. Besonders dieser wunderschöne Frühling hat mich immer wieder auf den Auslöser meiner Digicam drücken lassen. Meine Spaziergänge bewegen sich so um die Fünf bis zehn Kilometer. Und das bitte nicht im Schneckentempo, denn da kann man körperlich nicht fit sein, beziehungsweise nicht fit werden. Bin schon ein wenig stolz auf meine zunehmende Kondition. Steilere Anstiege, an denen ich vor zwei Monaten noch zumindest zwei-mal Rast hielt, weil mir die Puste ausging, werden jetzt in einem Zug bewältigt. Es ist wirklich schön, zu leben.
Auf diesen, eben geschilderten "Fit mach Mit" Wanderungen begleitete mich unlängst - mystisch anmutend, und mich heute noch insgeheim in Gedanken beschäftigend – eine längst verloren geglaubte Romanze ein Stück des Weges. Ich wanderte gerade im Zuge meiner üblichen Walking Tour eine steinige Forststraße entlang. An einer Weggabelung hielt ich kurz inne um mich zu orientieren, als mit einem Male ein seltsam anmutender Hauch zu verspüren war. Eigenartig … Es war ja vollkommen windstill. Blickte mich verwundert um … Niemand zu sehen. Kopfschüttelnd wollte ich weiter, als mir dünkte, eine feine, zarte Hand würde sich zwischen meine Finger schieben. Diese Hand ließ mich von dem steilen, steinigen Forstweg abweichen, zog mich auf einen Waldweg, den ich nie zuvor gegangen war. Unwillkürlich folgte ich der drängenden, ziehenden, unsichtbaren Hand. Nach ungefähr fünf Minuten mündete der Waldweg in eine Wiese. Sie schien mir, wie mit Rosenblättern übersät, obwohl das denn nun doch etwas zu viel Fantasie … Waren goldgelbe Löwenzahnblüten.
Ward schon Augenblicke später auf ungewohnt brutale Weise in die reale Welt zurückgeholt. Ein Stromschlag durchzuckte urplötzlich meinen Körper, stockte meinen Schritt abrupt. Der quer über den Waldweg gespannte, elektrisch geladene Weidezaun, den ich übersehen hatte, war die Ursache. Die unsichtbare Hand, sie war wohl mehr eine Einbildung meiner blühenden Fantasie gewesen, verschwand, als ich über den Weidezaun stolperte. Auf der Wiese, friedlich grasende Schafe. Schemenhaft anmutendes Licht-Schattenspiel, das die Sonne da durch Baumwipfel hindurch über die Blumenwiese zauberte. Stand, zugegebenermaßen, reichlich verdattert vor dem ollen Drahtzaun. Wusste nicht so recht ... War mir nicht im Klaren, was ich davon halten sollte. Gedankenvoll machte ich kehrt und ging das kurze Stück Weges zurück zur Weggabelung, um mich auf den - diesmal richtigen - Heimweg zu begeben. Da war er auf einmal wieder. Nur ein kurzer Hauch, der über meine linke Wange streifte. Noch heute rätsle ich, was mich damals veranlasst hatte, vom gewohnten Weg abzuweichen. Entweder gibt es so etwas wie eine überirdische Vision tatsächlich, oder ich war jenen Träumen erlegen, die jedem Menschen manchmal im Leben begegnen: Traumbilder einer rätselhaften Nacht, eingebunden in das Flair einer Begegnung der einst ersten großen Romanze.

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Kommentare

  1. Belami, dein neuer Blogbeitrag ist ja schon fast einen Monat alt und keiner hat einen Kommentar geschrieben?! Ich bin so berührt davon, wunderschön, wie du schreibst und deine Empfindungen mitteilst. Wenn auch bei uns der Frühling noch nicht richtig eingekehrt ist, danke für diese schönen Gefühle.

  2. Halli hallo belami
    Habe mal ein wenig bei dir gestöbert,haben uns lange nicht gelesen. aber die geschichte, wege der gefühle hat mich sehr fasziniert, ich musste zu ende lesen, klasse geschrieben, lg devel

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