Unterwegs in anderen Welten

1 Kindheit

 

Gerade hatte ich das  Buch Flug in den Weltraum von Hans Dominik beendet und wollte das  nächste Buch Atomgewicht 500 in Angriff nehmen  -   Hans Dominik war zu jener Zeit ein Science-Fiction- Autor – als mich plötzlich die Frage überfiel: Wer bin Ich? Was machst du?  Fragen, die ich mir in meiner jüngsten Kindheit öfters stellte, ohne eine passende Antwort zu finden.

 

Ich wurde 1947 im August in einem beschaulichen Industrie-Städtchen im Sauerland/NRW geboren. Meine Mutter wurde direkt nach ihrem Abitur Anfang des Kriegs zwangseingezogen, wurde zur Kindergärtnerin ausgebildet und machte Dienst in Kriegs-Waisenhäusern unter anderem lange Zeit in Großburgwedel in Niedersachsen. Meinem Vater erging es nicht besser, wurde er doch von meiner Mutter, seiner Jugendliebe, getrennt und nach dem Abitur zur Marine eingezogen. Er wurde im Laufe seiner Marine-Laufbahn Korvetten-Kapitän und leitete ein Schnellbootgeschwader in Norwegen. Mitte 1945 ersparte er seinen Leuten und sich die russische Gefangenschaft, indem er den letzten Befehl seines Admirals verweigerte, seine Schiffe den Russen zu übergeben. Bei Nacht und Nebel verließ er mit seiner Mannschaft die Schiffe und brachte seine Kameraden alle heil nach Deutschland zurück. So blieb ihnen die fürchterliche Gefangenschaft erspart.

Nach dem Krieg begann für meinen Vater und meine Mutter ein neuer Lebensabschnitt, er studierte Volks- und Betriebswirtschaft, machte den Doktor, sie arbeitete wieder als Kindergärtnerin im Heimatort als Leiterin des Kindergartens direkt gegenüber der Volksschule, hundert Meter von der großen alten Villa meiner Urgroßeltern entfernt, in der wir wohnten. Nach dem letzten Besuch von Papa während des Studiums --  Mama und Papa hatten mittlerweile geheiratet -- wurde Mama mit mir schwanger. Die Schwangerschaft lief nicht so ab wie gewünscht, und Mama musste viel liegen. Nach 7 ½ Monaten kam ich im Krankenhaus zur Welt und direkt in den Brutkasten. Zu der Zeit und der schlechten Versorgung gaben mir die Ärzte kaum eine Chance. Doch ich kämpfte mich langsam ins Leben. Mit 8 Monaten wurde ich quittegelb, ich hatte Hepatitis (Gelbsucht). Alles stand für mich auf Messersschneide, doch - oh Wunder - ich überwand auch dies und erholte mich.

Endlich kamen Mama und ich aus dem Krankenhaus nach Hause. Nach 14 Tagen ging es zurück ins Krankenhaus, ich hatte eine Lungenentzündung. Wieder genesen, kamen wir nach Hause, um dann nach zwei Monaten  wieder mit Lungenentzündung ins Krankenhaus zu gehen. Nach 10 Tagen konnten wir endlich das Krankenhaus verlassen.  Uroma und Oma kümmerten sich rührend um mich. Mama erholte sich auch gut und fing erneut an zu arbeiten. Mein Uropa, ein stattlicher Mann und alter Industriekapitän, liebte mich, seinen Urenkel, über alles, er trug mich auf seinen Armen durchs Haus und erzählte mir als Baby von seiner Arbeit. Klingt verrückt, aber ich hörte gespannt zu, langsam kristallisierten sich aus seinen Erzählungen Abläufe für mich heraus.

Uropa erkrankte, als ich eineinhalb  Jahre war, an Prostatakrebs, damals noch ein Todesurteil. Als es seinem Ende zuging -- ich wurde gerade 2 Jahre alt –, strich er mir über den Kopf und sagte: „Ich würde so gerne noch bei Dir bleiben und Dir die Welt zeigen, aber eine andere Macht ruft mich.“

Uropa starb zu Hause in seinem Bett, wie er es sich gewünscht hatte. Zwei  Tage vor seinem Tod --  unser alter Hausarzt im Alter von Uropa  kam mehrmals am Tag --  hörte ich Uropa sagen:  „Du hör mal, hörst Du es auch? Diese wunderschöne Sphärenmusik?“

Der alte Jason schüttelte den Kopf, er höre nichts, aber ich, der kleine Knirps, der gerade einigermaßen laufen konnte, ich hörte sie auch.

Am nächsten Tag ging es  mit Opapa, wie ich ihn nannte,  zu Ende. Die Familie, der Arzt standen an seinem Bett, um sich zu verabschieden, auch ich durfte kurz zu ihm hin, er raffte sich noch einmal auf, legte mir die Hand auf den Kopf und sagte: „Ich muss gehen, für Dich viel zu früh.“

Dann legte er den Arm zurück, schaute zur Decke und sagte mit klarer Stimme: „Hört ihr diese wunderschöne Musik? Seht ihr das immer heller werdende Licht?“

Alle sahen sich nur an, außer meinem Vater, keiner konnte die Musik hören außer ihm und mir. Keiner konnte das helle Licht sehen außer ihm und mir. Nachdenklich schaute mich mein Vater an und schob mich aus dem Sterbezimmer, ich hörte noch die Worte vom alten Jonas: „Ich gebe ihm jetzt noch eine Spritze gegen die Schmerzen, dann schläft er ein und wird nicht mehr erwachen.“

 

In den Tagen danach war ich nach dem Baden und  Füttern  so ziemlich allein. Ich fand eine Zeitung und blätterte darin herum, sah die Bilder und die Schrift darunter, langsam erkannte ich die Zusammenhänge zwischen dem Bild und der Schrift. Irgendwann sagte die Uroma zu meiner Mutter:  „Schau mal, ich glaube, das Kind kann lesen.“

„Quatsch“, sagte meine Mutter, „behandle Du und Oma nicht das Kind immer als kleinen Großen, er ist noch ein Kleinkind.“

Ach, Mama, Du hast mich noch nie verstanden, dachte ich. Jetzt bin ich fast vier Jahre alt, gehe in den Kindergarten und spiele mit den Älteren, die kurz vor der Einschulung sind. Wie gesagt, das Buch Atomgewicht 500 interessiert mich stark, ich lese es immer abends unter der Decke, da ich ja schlafen soll. Alle sind so mit sich selbst beschäftigt, dass ich ihnen immer durch die Maschen schlüpfe.

Eines Abends -- 'Elle',  unsere Haushälterin, brachte mich ins Bett,  es war Schlafenszeit -- da schaute ich zum Fenster --  in der alten Villa mit den vier Meter hohen Decken waren die Fenster natürlich sehr groß –, da saß auf der Gardinenstange über den langen Schals  ein graues Männchen, so etwa 50 cm groß, ganz altmodisch gekleidet mit einer Pfeife im Mund, mit einem Zylinder auf dem Kopf und grinste mich an. Ich rief zu Elle : „Schau mal, der Mann da auf der Gardinenstange.“

Elle schaute zum Fenster, sah aber nichts. Sabine, ihre 14 Jahre alte Tochter schaute herein, sie sah aber auch nichts. Sie rief Mama und Oma herbei, ob ich Fieber hätte, ich sei am Fantasieren. Meine Mutter befühlte meine Stirn ... „nichts“,  sagte sie, „nur ein neuer Trick, weil er nicht schlafen will.“

Alle rauschten aus dem Raum, das Licht ging aus, bis auf die kleine Leseleuchte, und ich war allein. Das Männchen schaute auf mich herab: „Du kannst mich sehen?“

„Ja, kann ich“ -  „nun gut dann werde ich jetzt verschwinden, aber wir werden uns irgendwann wiedersehen.“

„Halt“,  sagte ich, „bleib hier, sag mir, wer Du bist.“

Er lächelte nur.

„Du wirst es noch früh genug erfahren.“

„Bist Du ein Kobold?“, fragte ich ihn.

„Nein, ich bin kein Kobold, ich wollte nur sehen, wie es Dir geht, kenne ich doch auch gut Deinen Vater von auf hoher See. Wenn Du so wirst wie er, sehen wir uns ganz bestimmt wieder.“

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