Erzählung :Philemon und Baucis am Ernteweg .

Am Küchentisch saßen sich beide ,wie gewöhnlich,gegenüber ,
schauten aus dem Küchenfensterchen ihres Häuschens in das abendliche Herbstlaub der Kastanien jenseits des Ernteweges und winkten mir zu.Die Küche des selbsterbauten Nachkriegshäuschens schien beide nur gerade eben zu fassen .Und auch die anderen Zimmer können kaum größer gewesen sein .Ich habe sie aber nie gesehen.Es roch ,wie immer , nach gekochten Kartoffeln, und richtig ,auf der Platte des Herdes ,der gleichzeitig das Haus erwärmte ,
standen Pellkartoffeln.Ich bezweifele,daß es bei Herrn Adam und Frau
Marie ,Flüchtlinge aus Oberschlesien , so etwas wie Radio oder
Fernsehen gab,denn abends ging man früh zu Bett.Und der Tag des ungewöhnlich korpulenten alten Ehepaares war mit Arbeit ausgefüllt.
Mangels eines dritten Stuhles stand ich dann schließlich bei ihnen ,während sie lächelnd und scherzend die Ärmel aufkrempelten und die Arme neben das Blutdruckgerät auf den Tisch legten.
Abgesehend von einigen Belanglosigkeiten wie Blutdruck,Rezept ,und dörflichen Vorkommnissen war unser Hauptgesprächsgegenstand über Jahre e i g e n t l i c h die Kartoffel.Und beide Eheleute ,selbst kleinwüchsig ,gedrungen,fast ohne Haupthaar und ungewöhnlich rundlich ,waren dieser Frucht nicht unähnlich.Herr Adam hatte es seinerzeit als wohltuend empfunden ,daß ich seine Leibesfülle akzeptierte ,sowie deren Rechtfertigung als "Kartoffelbauch" unbesehen gelten ließ.Früher war er von Ärzten auf diesen Umstand hin kränkend angegangen worden .Deshalb fühlte er sich von
Medizinern in seiner Würde verletzt und zugleich etwas hilf-und ratlos.Waren doch gerade die Kartoffeln das eigentliche und wichtigste "kommunikative Medium"-sozusagen Sprache und Gehalt
im Leben der Eheleute .Daß ich diese Sprache ein klein wenig verstand ,begründete unsere Freundschaft.
Unversehens war mir durch einen Bericht zur Geschichte der Kartoffel in Preussen und Schlesien sowie ihrer lebenserhaltenden Rolle in den Kriegen dieser Regionen die herzliche Sympathie der
Eheleute zugeflogen .Sie dankten mir die kleine Mühe mit Erzählungen aus ihrer Kindheit :Etwa während des ersten Weltkriegs ,wenn man sich abends hungrig im Stübchen um den Tisch versammelte und mit
vielen Löffeln in den Topf voller Kartoffelbrei ,in die Bratkartoffelpfanne , in die Schüssel mit Kartoffelsalat langte,oder
gemeinsam die Pelle von frisch gekochten Kartoffeln zog,um sie mit kleinen Beilagen ,je nach Jahreszeit oder glücklichen Umständen ,zu verzehren .
Das alles lag nun schon lange zurück .Außer Adam und Marie war aus beiden Familien niemand mehr am Leben .Das Sterben und Beerdigtwerden war beiden von Kindheit an etwas Selbstverständliches ,das sie in zunehmender Gelassenheit
hinzunehmen gelernt hatten .Denn den traurigen Weg zum Totenacker sind Adam und Marie auch als junge Eheleute in den
Kriegswirren und auf der Flucht noch oft,-gar zu oft,-gegangen.Beständig waren nur die Kartoffeln. ;und diese hatten das
Ehepaar -nachts aus den Äckern gewühlt-auch auf der Flucht am Leben erhalten und ernährten sie nun im Häuschen am Ernteweg .Es ging ihnen , wie eindeutig festzustellen war , nicht schlecht.
Ich bin dann fortgezogen und Adam und Marie -Philemon
und Baucis am Ernteweg - hatte ich vergessen.Nun aber steigt die Erinnerung an beide , an ihre heitere ,lebensfrohe Gemütsverfassung
,an ihren Gleichmut angesichts von Glück und Unglück ,Werden und
Vergehen ,und nicht zuletzt auch and ihre herrliche, hedonistischen
Kartoffelphilosophie in mir auf.Beide nehmend inzwischen unter den
Menschen , die mir Vorbild und Leitbild wurden ,einen der wichtigsten
Plätze ein.

Ähnliche Beiträge

Kommentare

Verstoß melden

Schließen