Unterleibstritte

Unterleibstritte (belami)

Die Episode hat einen sehr ernsten Hintergrund. Man schrieb, ich weiß jetzt nicht mehr genau, aber wenn ich nicht irre war es kurz vor dem Kriegsende im Jahre 1945. Auf jeden Fall - kann mich noch genau erinnern - zog ein schier nicht enden wollendes, geschlagenes Heer durch unser kleines Dorf.
Mutlos resignierende Blicke musterten uns Jungs, die wir da aufgereiht, neugierig am Straßenrand standen, nicht ahnend welch Tragödie hier an uns vorbeizog.

Urplötzlich aufkommendes Sirenengeheul veranlasste uns, so schnell wie möglich von der Bildfläche zu verschwinden. Keine Minute zu früh, schon kündete ferner Motorenlärm anfliegende Kampfflugzeuge an. Zwei Jagdflugzeuge donnerten im Tiefflug, wie mir schien, durch das Dorf. Wie aufgefädelte Perlenketten, die abgeschossene Leuchtspurmunition. Dann krachte es gewaltig. Ziegelsteine fegten über unser Hausdach, Fensterscheiben gingen zu Bruch. Die den Abfangjägern nachfolgenden Bomber hatten unser Dorf bombardiert. Insgesamt fünf Bomben schlugen in unmittelbarer Nähe meiner Wohnstätte ein. Glücklicherweise explodierte nur eine davon. Riss einen tiefen Krater in die Fahrbahn. Sämtliche Kirchenfenster gingen zu Bruch. Zu Schaden kam aber niemand. Großes Glück hatte auch der ortsansässige Schreiner.
Er briet sich gerade ein saftiges Steak, als der Blindgänger unmittelbar neben der Wagnerei einschlug. Die Druckwelle war aber dennoch so gewaltig, dass das Steak wie von Zauberhand aus der Bratpfanne verschwand. Erst viel später entdeckte es der verdutzte Wagnermeister an der Zimmerdecke klebend.

Dem Flüchtenden Heer fast auf den Fuß folgend, die anrückende Besatzungsmacht. Mitten durch das Dorf, die Demarkationslinie. Herüben die Russen, drüben die Engländer. Eines Tages stand ein russischer Soldat plötzlich in unserer Wohnung. "Ich heute Nacht bei Dir schlafen", damit deutete er unmissverständlich in Richtung meiner Mutter.Meine Mama weinte den ganzen Tag über, zitterte vor Angst. Als die Nacht herein brach verrammelten wir Tür und Tor. Der Russe kam nicht, dafür gingen einige Stoßgebete gen Himmel. Erst viel später erfuhren wir, warum er nicht kam. Er konnte nicht. Belästigte mit einigen anderen Soldaten einige unserer Dorfmädels. Da sprangen ein paar beherzte, schon etwas ältere Dorfburschen hinzu und verprügelten die Ruskis, dass sie zerbeult und zerschunden das Weite suchten. Anderntags musste ich - vom Küchenfenster aus zusehend - miterleben, wie man die mutigen Jungs, die man am nächsten Morgen, in aller Herrgottsfrüh aus ihren Betten prügelte, mit gemeinen Fußtritten auf den Dorfplatz trieb- und dort zur Exekution an eine Hauswand stellte. Gewehrverschlüsse knackten, Kommandos ertönten... Plötzlich fuhr ein Jeep vor.
Aus dem noch fahrenden Fahrzeug sprang ein Uniformierter mit gezogener Pistole und schrie wild gestikulierend auf die Soldaten ein. Offenbar ein Vorgesetzter, denn Diese senkten daraufhin ihre schon zum tödlichen Schuss erhobenen Gewehre, rissen die Burschen von der Hausmauer weg. Traten ihnen gemein in den Unterleib und prügelten sie mit ihren Gewehrkolben brutal durch den Ort. Blutig und zerschunden retteten sich die Jungs schließlich in die Kirche.

Anderntags war dies Ereignis Gesprächsstoff Numero Eins in der kleinen Ortschaft. Und selbstredend auch unter uns Dorfjungen. "Wuiii, das muss furchtbar weh getan haben, diese Tritte in die Eier. die müssen alle Engel singen gehört haben!" Was der Nachbarsbub da soeben gesagt, ging mir vorerst nicht in den Kopf, bis mir dämmerte, was er mit "Eier" eigentlich meinte. Ein schneller Kniff zu den Hoden. Naja, es war nicht angenehm aber so schmerzhaft auch wider nicht, fand ich. Bis ich einige Zeit später eines Besseren belehrt wurde. Eine Radpartie stand an. In Ermangelung eines anderen Gefährts, schnappte ich mir das Damenrad meiner Mutter. Der Sattel war viel zu hoch und so musste ich Dreikäsehoch eben - in den Pedalen stehend - im Wiegeschritt das Gefährt in Gang setzen.
Der Nachbarsjunge war schon einige Längen vor mir.

Fazit: erhöhter Tritt in die Pedale. Doch dann strauchelte ich mit einem Fuß vom Pedal, und schon saß ich höchst unsanft- und vor allem -schmerzhaft auf dem Fahrradrahmen. Da wurde mir schlagartig klar, was der Nachbarsjunge damals gemeint hat. Ich hörte nämlich in diesem Augenblick auch - und das im wahrsten Sinn des Wortes - ,Alle himmlischen Heerscharen´ - sprich Engel singen.

Ein Text von: belami

Ähnliche Beiträge

Kommentare

Unterleibstritte

Die Episode hat einen sehr ernsten Hintergrund. Man schrieb, ich weiß jetzt nicht mehr genau, aber wenn ich nicht irre war es kurz vor dem Kriegsende im Jahre 1945. Auf jeden Fall – kann mich noch genau erinnern – zog ein schier nicht enden wollendes, geschlagenes Heer durch unser kleines Dorf. Mutlos resignierende Blicke musterten uns Jungs, die wir da aufgereiht, neugierig am Straßenrand standen, nicht ahnend welch Tragödie hier an uns vorbeizog.
Urplötzlich aufkommendes Sirenengeheul veranlasste uns, so schnell wie möglich von der Bildfläche zu verschwinden. Keine Minute zu früh, schon kündete ferner Motorenlärm anfliegende Kampfflugzeuge an. Zwei Jagdflugzeuge donnerten im Tiefflug, wie mir schien, durch das Dorf. Wie aufgefädelte Perlenketten, die abgeschossene Leuchtspurmunition. Dann krachte es gewaltig. Ziegelsteine fegten über unser Hausdach, Fensterscheiben gingen zu Bruch. Die den Abfangjägern nachfolgenden Bomber hatten unser Dorf bombardiert. Insgesamt fünf Bomben schlugen in unmittelbarer Nähe meiner Wohnstätte ein. Glücklicherweise explodierte nur eine davon. Riss einen tiefen Krater in die Fahrbahn. Sämtliche Kirchenfenster gingen zu Bruch. Zu Schaden kam aber niemand. Großes Glück hatte auch der ortsansässige Schreiner. Er briet sich gerade ein saftiges Steak, als der Blindgänger unmittelbar neben der Wagnerei einschlug. Die Druckwelle war aber dennoch so gewaltig, dass das Steak wie von Zauberhand aus der Bratpfanne verschwand. Erst viel später entdeckte es der verdutzte Wagnermeister an der Zimmerdecke klebend.
Dem Flüchtenden Heer fast auf den Fuß folgend, die anrückende Besatzungsmacht. Mitten durch das Dorf, die Demarkationslinie. Herüben die Russen, drüben die Engländer. Eines Tages stand ein russischer Soldat plötzlich in unserer Wohnung. „Ich heute Nacht bei Dir schlafen“, damit deutete er unmissverständlich in Richtung meiner Mutter.
Meine Mama weinte den ganzen Tag über, zitterte vor Angst. Als die Nacht herein brach verrammelten wir Tür und Tor. Der Russe kam nicht, dafür gingen einige Stoßgebete gen Himmel. Erst viel später erfuhren wir, warum er nicht kam. Er konnte nicht. Belästigte mit einigen anderen Soldaten einige unserer Dorfmädels. Da sprangen ein paar beherzte, schon etwas ältere Dorfburschen hinzu und verprügelten die Ruskis, dass sie zerbeult und zerschunden das Weite suchten. Anderntags musste ich – vom Küchenfenster aus zusehend – miterleben, wie man die mutigen Jungs, die man am nächsten Morgen, in aller Herrgottsfrüh aus ihren Betten prügelte, mit gemeinen Fußtritten auf den Dorfplatz trieb- und dort zur Exekution an eine Hauswand stellte. Gewehrverschlüsse knackten, Kommandos ertönten... Plötzlich fuhr ein Jeep vor. Aus dem noch fahrenden Fahrzeug sprang ein Uniformierter mit gezogener Pistole und schrie wild gestikulierend auf die Soldaten ein. Offenbar ein Vorgesetzter, denn Diese senkten daraufhin ihre schon zum tödlichen Schuss erhobenen Gewehre, rissen die Burschen von der Hausmauer weg. Traten ihnen gemein in den Unterleib und prügelten sie mit ihren Gewehrkolben brutal durch den Ort. Blutig und zerschunden retteten sich die Jungs schließlich in die Kirche.
Anderntags war dies Ereignis Gesprächsstoff Numero Eins in der kleinen Ortschaft. Und selbstredend auch unter uns Dorfjungen. „Wuiii, das muss furchtbar weh getan haben, diese Tritte in die Eier… die müssen alle Engel singen gehört haben!“ Was der Nachbarsbub da soeben gesagt, ging mir vorerst nicht in den Kopf, bis mir dämmerte, was er mit „Eier“ eigentlich meinte. Ein schneller Kniff zu den Hoden. Naja, es war nicht angenehm aber so schmerzhaft auch wider nicht, fand ich. Bis ich einige Zeit später eines Besseren belehrt wurde. Eine Radpartie stand an. In Ermangelung eines anderen Gefährts, schnappte ich mir das Damenrad meiner Mutter. Der Sattel war viel zu hoch und so musste ich Dreikäsehoch eben – in den Pedalen stehend – im Wiegeschritt das Gefährt in Gang setzen. Der Nachbarsjunge war schon einige Längen vor mir. Fazit: erhöhter Tritt in die Pedale. Doch dann strauchelte ich mit einem Fuß vom Pedal, und schon saß ich höchst unsanft- und vor allem -schmerzhaft auf dem Fahrradrahmen. Da wurde mir schlagartig klar, was der Nachbarsjunge damals gemeint hat. Ich hörte nämlich in diesem Augenblick auch – und das im wahrsten Sinn des Wortes – ‚Alle himmlischen Heerscharen‘ – sprich Engel singen.

Ähnliche Beiträge

Kommentare

Verstoß melden

Schließen