Lichtmess

Lichtmess (Larabella)

Lieber Vater. Der zweite Februartag, daran erinnere ich mich gut, war für dich ein sehr wichtiger Tag: „Lichtmess!“
Ich denke an dich, an die kleine Familie, an damalige Lichtmesstage. Diese waren bedeutungsvoll; sie sind es geblieben. Es ist lange her.Der halbe Heustock sollte noch sein, die Hälfte "Bürdeli" (Reisigwellen) für den Kachelofen und "Schiitli" (Holzscheite) für den Kochherd ebenfalls. Du sagtest das immer, obschon wir wussten, dass es so ist. Eine Selbstverständlichkeit. Trotzdem: zu Lichtmess immer diese, deine Feststellungen. So ist es mir in Erinnerung geblieben.

Geblieben auch deshalb, weil ich daraus eine Besorgnis heraushörte, die bereits wieder ins neue Jahr hinein drückte. Verantwortung und Pflicht für dich.
Es war so: immer gleich. Das Halbe war da, vorhanden, sichtbar – an Lichtmess. Bestätigung für genug haben, für weiter leben können, für warmes Essen, eine warme Stube, die Selbstverständlichkeit in unserem Dasein. Garant für Fortbestand und Kontinuität; für selbständig, unabhängig, zuversichtlich. Wir brauchten das nicht zu sagen; wir spürten es!
Du sagtest es trotzdem. Auf deine Art. Für uns, für deine Familie. Das war Ausdruck von Dank und Fürsorge. Nicht Haben war nahe, die Sorge auch; es war Krieg. Wir hatten trotzdem genug! Du sorgtest für uns, ich sagte es damals nicht; aber jetzt will ich: „Danke lieber Vater“. Besser spät als nie, trotzdem zu spät. Du kannst es nicht mehr hören, hast es nie gehört, weil es eine Selbstverständlichkeit für mich, für uns alle war.
Sparen und einteilen war vernünftig, gehörte damals zur Pflicht und war selbstverständlich. Du brauchtest es nicht zu befehlen, nicht einmal zu verlangen, oder gar darum zu bitten. Wir hätten uns geschämt, hättest du dies tun müssen.
Auch in der Schule: Dort waren wir nicht verpflichtet den Reichtum und Besser-sein-wollen unserer Eltern sichtbar zu machen. Den Kleidern, dem Thek, den Schulbüchern und Schulheften Sorge zu tragen, gehörte ganz einfach dazu. Wer es nicht konnte, wurde dem Spott ausgesetzt, musste sich schämen, statt mit Neuem prahlen zu können. Der Lehrer denunzierte übermässigen Verbrauch von Schulmaterial, arrogantes Benehmen und Überheblichkeit. Wir mussten Frustrationen selber verarbeiten. Wir lernten Bescheidenheit als notwendig, vernünftig anzusehen und dieses als solches zu akzeptieren. Unsere Erzieher und du, Vater, haben uns daran erinnert, gezeigt, vorgelebt, was notwendig und vernünftig ist; nicht nur an Lichtmess, fortdauernd.
Heute ist wieder Lichtmess. Am Umlauf der Gestirne hat sich nichts geändert; eine Notwendigkeit für uns alle. Aber: sind wir auch vernünftig? Lenkt Armut und Wohlstand die Vernunft? Musstest du froh und zufrieden sein, dass der halbe Heu- und Holzvorrat noch da ist, weil du gar kein Geld hattest Fehlendes dazuzukaufen? Da war natürlich Bescheidenheit vernünftig; auch in der Schule! Und heute?
Die gleiche Sonne scheint immer noch gleich, nur stärker, weil wir ihr selbstherrlich drein pfuschen. Das sei halt notwendig, sagen wir und machen daraus eine Umweltbelastung: „Die so gross ist, dass wir nicht mehr vernünftig handeln können“, sagen Umweltschützer.
Aber warum nicht: „Warum könnt ihr Heutigen nicht mehr vernünftig sein?“ Das fragt mich dein Geist, jedes Jahr an Lichtmess – und ich muss zurückfragen: Wäre deine Sorge damals ebenso sorgenvoll gewesen, hättest du genug Geld gehabt Mangelndes zu ergänzen; oder sogar mit Besserem zu ersetzen? Weisst du: Während zu deiner Zeit noch zwei Drittel des Erwerbseinkommens fürs Essen ausgegeben werden musste, sind das heute nicht einmal mehr ein Zehntel. Zudem ist ständig ein Überangebot vorhanden, was damals nicht selbstverständlich war.
Heute ist es unvernünftig in der guten Stube zu frieren und an Zimmerfenstern Eisblumen zu sehen, damit zu Lichtmess noch die Hälfte "Bürdeli" auf dem Estrich Zufriedenheit vermitteln können. Heute gehört es dazu, ist vernünftig, notwendig sogar, die "Welt zu sehen". Wir sind mobil geworden, wir unterhalten Beziehungen, wir erweitern ständig unser Wissen, wir arbeiten effizienter; es geht uns besser! Wir leben länger, sind weniger krank. Kindersterblichkeit ist gesunken, Altersvorsorge, Spültoilette und Badewanne selbstverständlich, Krankenversicherung auch.
Luxus oder Notwendigkeit; das ist heute die Frage. Dein altes Masssystem der Vernunft hat ausgedient, lieber Vater, nur die Sonne braucht es noch. Eigentlich schade.

Ein Text von: Larabella

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