Kindheitserinnerungen - Teil 2

Das Leben geht immer weiter...
Es war inzwischen August 1945.
Mutter war schon mehr als ein Jahr tot.
Anna, so heißt unser kleines Mädchen, war immer noch traurig.
Annas Schwester Ella versuchte trotz des eigenen Schmerzes über den Verlust der Mutter alles, um Anna zu trösten, trotzdem weinte diese sich jeden Abend in den Schlaf. Sie konnte es einfach nicht verstehen, warum gerade ihre Mutter sterben musste.
Obwohl Ella auch erst 15 Jahre alt war, führte sie den Haushalt so gut es eben ging. Die größte der Schwestern, Annelore, die ihre Lehre in der Stadt zu Ende bringen musste, kam so oft sie konnte, nach Hause und half.
Vater musste von früh oft bis spät abends auf dem Feld arbeiten. Manchmal ging er auch abends in die nahegelegene Stadt. Die beiden Kinder waren meistens sich selbst überlassen.
Ein Dauerzustand ist das nicht, sagten die Nachbarn.
Sie sagten auch: „Er (damit war Vater gemeint) muss sich wieder eine Frau suchen, damit ihr wieder eine Mutter bekommt.“
Ella und Anna vernahmen diese Worte ängstlich und dachten, hoffentlich nicht.
Eines Tages im September kam Vater mittags schon vom Feld. Er sagte zu den Kindern: “Ich muss heute Nachmittag in die Stadt, ich hole eine neue Mutter für euch.“
Beide waren sehr erschrocken. Ella hatte sich schon gedacht, dass Vater wieder eine Frau hat, aber sie hatte Anna nichts von ihren Gedanken verraten. Er war in letzter Zeit abends sehr oft in der Stadt.
Gegen Abend kam Vater mit ihr und 2 kleineren Kindern an. Anna hatte sich im Stall versteckt. Sie kam erst spät herein und ging gleich ohne zu essen ins Bett.
Zwischen Ella und der Frau bestand sofort eine Spannung, weil Ella ihre Arbeit machte und so tat, als wäre niemand weiter da.
2 Tage ging es so weiter, am 3. Abend beim Abendbrotessen, sagte Vater zu Ella: „Du brauchst jetzt nicht mehr zuhause bleiben. Ich habe für dich eine Stellung gesucht, du kannst morgen anfangen. Ich will keine Widerrede hören. Ella war sprachlos vor Schreck. Anna saß auch wieder am Tisch. Sie konnte ja nicht ewig hungern. Beide Kinder waren nach Vaters Worten so erschrocken, dass sie nicht weiter essen konnten.
Ella verließ am nächsten Tag das Haus.
Anna war nun nach der Schule immer mit der Frau und den beiden Kindern allein.
Es begann für sie eine Horrorzeit.
Das erste war, sie sollte ab sofort „Mutter“ zu der Frau sagen. Da sie dass nicht konnte, wurde ihr das Essen entzogen, oder sie wurde im Stall eingesperrt und musste dort verschiedene Arbeiten erledigen, oder wenn sie sich wehrte, weil sie ja auch Hausaufgaben zu machen hatte, war sie „ein freches Stück“ und es gab Ohrfeigen.
Dann erhielt sie täglich nach der Schule so viel Arbeit aufgetragen, dass sie es bis abends oft nicht schaffte, alles zu erledigen.
Sich beim Vater zu beschweren traute sie sich nicht, weil die Frau ihr dafür erneute Schläge androhte, und da blieb es nicht bei Ohrfeigen. Außerdem glaubte ihr Vater ihr nicht.
Immer wieder hörte sie, wenn du „Mutter“ zu mir sagst, geht es dir besser. Aber Anna blieb hart, diese Frau war keine Mutter für sie.
Ihren Schwestern war verboten worden nach Hause zu kommen.
Annas bis vor kurzem noch lieber Vater war dieser Frau vollständig hörig.
So ging das fast 5 Jahre lang. Anna riss immer mal aus, musste aber immer wieder nach Hause, wo sollte sie denn hin?

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Kommentare

  1. Es ist immer wieder erschütternd zu lesen, was Kindern angetan wird.
    Nicht nur den Verlust der geliebten Mutter sondern dann auch noch niemanden zu haben, der das die Trauer begleitet und hilft, ganz im Gegenteil
    Du hast es hier sehr bedrückend beschrieben.
    LG Sibylle (Caramia)

  2. Das ist wirklich schlimm, Maria. Aber am allerschlimmsten finde ich es, dass ein Vater wieder mal nicht mitbekommt, was zuhause los ist.

    Das ist die böse Stiefmutter, wie kind sie sich kaum übler vorstellen kann.

    Ich hoffe, es gibt im Leben von Anna auch wieder schönere Augenblicke und Du läßt uns daran teilhaben.

    Liebe Grüsse
    Leni

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