Die Schwierigkeit, ein Freund zu sein.

Die Schwierigkeit, ein Freund zu sein.....

„Darf ich davon ausgehen, daß wir Freunde geworden sind?“ Ich erinnere mich, es war mein abschließender Satz nach einem erfolgreichen Erstkontaktgespräch mit einem wichtigen, Kunden.

Nun, solch eine Frage kann absolut zum Rohrkrepierer werden, wenn der Unterbau nicht geschaffen wurde.

Warum suchen wir Freunde, was ist ein Freund, eine Freundin, was geben sie uns, warum werden sie unersetzlich, warum vertrauen wir in sie, warum betrügen, verraten, verkaufen sie uns in manchen Fällen, warum suchen wir ihre Nähe, verbringen unsere freie Zeit mit ihnen, öffnen uns, reden, helfen, und lassen uns helfen.

Zum Thema würde ich gerne zwei Zeiträume meines Lebens zur Diskussion stellen.
Ich bin neunzehnhundertfünfundvierzig geboren, also mit viel Glück bereits achtundsechzig Jahre alt geworden.

Es gab in meiner Familie, wie auch in den meisten anderen, zunächst kein Telefon, keinen Fernseher, natürlich kein Internet oder Handy.
Telefonate führte man, wenn unbedingt nötig, in der kleinen Post, handvermittelt und in einer mehr, meist weniger schallgedämmten Kabine.

Freunde, nun ja, sie rekrutierten sich aus der unmittelbaren Umgebung. Nachbarschaft, Schule, später auch Sport- oder sonstige Vereine. Die Auswahl war vergleichsweise bescheiden.
Natürlich waren da welche, sie taten sich schwer „Freunde“ zu finden. Entweder waren sie nicht bereit mit der Masse zu schwimmen, schnell, manchmal zu schnell wurden sie als Sonderling abgestempelt und links liegen gelassen, oder es waren Snobs aus vermeintlich besseren Familien.

Es gab den Zwang zum „Herdentrieb“, subtil, aber spürbar. Die Herde funktionierte, war stark, erfolgreich, weckte den Wunsch „dabei zu sein!“

Freundschaft wurde in Liedern besungen, in Vereinen hochgelobt. Ich denke mal, eine lebenslange Mitgliedschaft im Schützenverein, oder Veteranenverein hätte hundertfach „Freunde“ generiert, mit denen man gleichzeitig nie ein Wort hätte wechseln müssen, ein Leben lang, aber der Nachruf in der Tageszeitung, die Grabrede und die Fahnenabordnung am offenen Grab wäre sicher gewesen...“ein Freund hat uns verlassen!“

Und dennoch, es gab einen Freund, er verstarb in diesem Frühjahr, plötzlich, ohne Vorzeichen, überraschend, unwiederbringlich, aus, vorbei!
Ich kannte ihn, seit ich vier Jahre alt war und aus dem Fenster des Badezimmers im ersten Stock kletterte, mich an der Dachrinne runter hangelte, mir die Handrücken am rauhen Verputz blutig schürfte. Meine Eltern hatten die Wohnung verschlossen, aber er pfiff unten und ich war da, im Henneshof hatte er ein wildes Gelege der Hühner entdeckt, das wir ausheben mußten, auch wenn dabei die Hälfte der Eier faul waren und stanken, wie die Pest. Ein Freund, eine Freundschaft, sie war unverrückbar bis er ging....

Heute schreibe ich, bin angemeldetes Mitglied in einem „Forum“ im Internet. Man „duzt“ sich. Ich suche Freunde, wie anders sollte man den Aufenthalt hier erklären. Ich habe die Wahl, es gibt hier ca. 170 000 angemeldete Mitglieder. Eine gigantische Anzahl im Sinne von Freundschaften, vertieften Freundschaften, Partnersuche oder anderes.
Ich finde den Herdentrieb bei manchen Kommentaren, ich finde die Ausgrenzung des Sonderlings, finde auch offene, ehrliche, kluge und besserwisserische, tolerante, Menschen, auch verbitterte.
Ich finde Einsamkeit und Oberflächlichkeit, auch die tiefe Sehnsucht bei manchen, in diesem überwältigenden Angebot die Nadel im Heuhaufen für sich zu finden. Gelegentlich werden Erfolge gemeldet, oft Misserfolge verkraftet.

Mails rasen in Sekundenschnelle von Rechner zu Rechner, fast wie die kurzlebigen „Kicks“ die sie erzeugen.
Macht nichts, da sind noch 169 999 andere, wohl denn!

Ich bin sehr dankbar für exakt diese Zeitspanne, in die ich hineingeboren wurde. Wann jemals in unserer Geschichte war es möglich, innerhalb eines Menschenlebens solche Fortschritte in der Technologie mitzuerleben.

Und ich versuche sie zu intergrieren „Die Schwierigkeit, ein Freund zu sein!“

© Psachno

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Kommentare

  1. ... jaaa ... aber nur nicht so schnell...
    dein text gefaellt mir und ruft in mir sehr vieles in erinnerung... da mein jahrgang nur ein jahr hinter dir liegt. darf ich DIR bestimmt DU sagen... als ob wir zusammen zur schule gegangen waeren? Du hast wirklich sehr treffend, ruehrend und hautnah geschrieben. Es tut gut, solches zu lesen und wie schon erwaehnt, sich gedanken darueber zu machen. Man kennt sich nicht... und doch fuehlt man gemeinsamkeiten die verbindlich sind.

  2. Dieser Titel schlägt vielfältige Töne in mir an, harmonische und disharmonische...
    So einen Freund hat nicht jeder, und ich schätze, sein Verlust war sehr schmerzlich für Dich. Mir kommt bei dieser in vielen Jahren gewachsenen Freundschaft das Bild von einem großen Baum mit einem dicken Stamm. Ich setze Deine Idee von Forumsfreundschaften dagegen und sehe kleine Setzlinge....
    Hach,dennoch: die Hoffnung stirbt zuletzt!
    Sage ich mehr zu mir als zu Dir.
    lg Margrit (Bj.1944)

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