Muster ohne Wert.

„… Mit 66 Jahren …“ trompetet der Udo. Ärgerlich und ziemlich frustrierend drehe ich das Werkel ab. Die unmittelbar folgende Stille wirkt richtig entspannend und wohltuend. Meine fliegenden Nerven kehren allmählich in die ihnen zugeordneten Bahnen zurück. In Gedanken lasse ich den gerade hinter mich gebrachten Vormittag noch einmal Revue passieren: Es hatte damit angefangen, das heißt, es liegt schon eine geraume Weile zurück, als eines Tages die Frage in den Raum gestellt, ich mir Gedanken machte, wie das jetzt läuft, da ich nun in Pension...
Nein, es wird wohl, um die ganze Geschichte verständlich zu machen, besser sein, dass ich der Reihe nach erzähle. Kurz und gut. Vor gut zwanzig Jahren berief mich mein oberster Chef in das mittlere Management, sprich in das Vertragsschema römisch eins, was sowohl einen Orts- als auch Wohnungswechsel unabdingbar nach sich brachte. Da ich aber das Haus in der Provinz nicht verkaufen wollte, nahm ich einen Kredit auf, richtete die Dienstwohnung ein, zahlte die aushaftenden Schulden ordnungsgemäß zurück, machte nochmal Schulden, zahlte auch die pünktlich ab. So war ich – zumindest hatte ich es im Sinn – in der Lage, jederzeit dorthin zurückzukehren, von wo ich einst wegzog bis … Ja bis zu dem Tag meiner Pensionierung. Nach fünfundvierzig Dienstjahren fand ich es berechtigt, den berühmten Hut zu nehmen. Schmökere interessiert in einem Freizeitjournal. „Leben 50 Plus …“ protzt die Titelseite unübersehbar. Und der Untertitel hat es erst in sich: „Bin 60, fühle mich wie 40.“ Und als Nachsatz: „Vergessen Sie die Geburtsurkunde: aufs biologische Alter kommt’s an …“ Na also, da find ich ja die Bestätigung. Fühl mich nämlich noch jünger, gerade mal als sei ich erst 35! So gesehen wäre also offen, das man in der Jugend genossen … Doch dann die bittere Erkenntnis, dass das chronologische Alter, wie im Pass vermerkt, eben doch eine viel größere Rolle speziell aus finanzieller wirtschaftlicher Sicht spielt, als das wohl eingebildete- wenn auch gleichwohl real gefühlte biologische Alter. Es steht nämlich die Frage im Raum: wieder zurück in die alte Heimat, oder doch lieber hier bleiben, nachdem die Kinder Ambitionen zeigen, sich in der Wahlheimat sesshaft zu machen. Sind halt in der Stadt groß geworden, haben ihre schulische und berufliche Ausbildung, ihren jetzigen und künftigen Tätigkeitsbereich in der Metropole. Ob es da Sinn macht, aufs Land zurückzukehren? Ist zwar hier auch mehr ländliche Gegend aber doch hat man die Bezirksstadt so quasi vor der Haustüre. Ein Familienrat löst den anderen ab. Fragezeichen, wohin man blickt. Heimweh plagt den gestressten, geforderten Clan. Soll man zurück hinter die sieben Berge? Nein. Aus und vorbei. Wir verkaufen am Land und ziehen vor die Tore der Stadt.
Nun setzt großes Pläneschmieden ein. Wie groß soll das neue Heim sein, was soll es alles bieten, und die Gretchenfrage: was darf es kosten!
Schon bald greift eine erste Ernüchterung Platz. Der Verkaufserlös aus der Liegenschaft auf dem Land reicht bei Weitem nicht ...
Was nun? Aufgeben? In die alte Heimat zurück kehren? Nein! Nie und Nimmer. Wäre doch gelacht. Für was gibt es Kredite, angeboten an allen Ecken und Enden? Auf zur Bank.
Freundliche Beratergesichter werden lang, verdüstern sich zusehends, als das Alter des Kreditwerbers zur Sprache kommt. „Schauen Sie …“, sagt ein Beratungsorgan verbindlich lächelnd und rückt den Computer Bildschirm in mein Blickfeld. Dann tippt er mein Alter ein.
„Altersobergrenze für Ihren Kreditwunsch ist …“ schreibt der Blechtrottel.
Fluchtartig und urplötzlich gänzlich ernüchtert trotte ich von dannen. Tja, was will ich damit sagen? Obwohl ich mich noch wie 35 fühle, bin ich – in Zahlen ausgedrückt – für derlei Transaktionen um genau 9 Jahre zu alt.

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Kommentare

  1. Auch wenn man es vorhat - für das gesamte Leben gibt es keine verläßlichen Planungen. Weder finanziell, noch in familiären oder anderen Beziehungen.
    Jahrzehntelange Abwesenheit vom ehemals "eingewohnten" Ort verändern nicht nur den Menschen, auch seine Empfindungen dazu.

    ...oder doch lieber hier bleiben, nachdem die Kinder Ambitionen zeigen, sich in der Wahlheimat sesshaft zu machen.
    Sie haben die Entscheidung, wo sie leben wollen, doch getroffen.

    Bist du dort nur beruflich sesshaft geworden?
    Die Nähe zu den Kindern beizubehalten, ist ein Wunsch.
    Zurück dorthin zu wollen, wo du dich eher (in das Haus aus der Vergangenheit) wünschst, ein anderer.

    An diesem Haus, seiner Umgebung, seinen Menschen dort, ist die Zeit nicht spurlos vorüber gegangen.
    Andere haben inzwischen darin gewohnt, sind hin oder weg gezogen und haben ihre Lebensspuren hinterlassen.
    Es wird nicht dasselbe "Haus" mehr sein, an das du dich erinnerst, denn auch du hast dich verändert!
    Bist nicht nur - wie jeder - älter geworden, trotz des Empfindens, daß das Alter im Paß nicht unbedingt widerspiegelt, wie alt man sich fühlt.

    Eine Frage bleibt zuletzt:
    Wie hast du dich gedanklich auf die Zeit nach deiner Berufstätigkeit "vorbereitet"?
    Nur 'back to the roots', also das Zurück in die räumliche Vergangenheit, klappt nur dann, wenn man dort noch Wurzeln über die Zeit der Abwesenheit gepflegt hat. Diese mehr, als nur ein Objekt, bedeuten.

    Der Teil des Lebens, den du - wie in jungen Jahren - ohne bindende Verpflichtungen - vor dir hast, ist danach eine Herausforderung,
    aber
    keinesfalls ein Muster ohne Wert!

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