Goldfarbener Sand

Goldfarbener Sand (Barbara59)

Es ist heiß. So heiß, dass man die Hitze riechen kann. Das Blau des Himmels ist von der Sonne verblichen, und keine Wolke ist zu sehen. Ein leiser Wind weht wellenförmig über das hohe Gras. Leise höre ich ihn in den Kronen der hohen Kiefernbäume wispern. Die geraden Stämme stehen so dicht, dass sie eine dunkle Wand bilden. Ihre Nadeln bilden einen festen, undurchdringlichen Schirm, der keinen Sonnenstrahl auf dem weichen Nadelteppich zulässt.

Ich stehe am Rand einer Sandkuhle, die so groß ist, dass zwei Fußballfelder darin Platz hätten. Da, wo die Sonne auf den Sand scheint, leuchtet er goldfarben auf. Im Schatten ist er einfach nur gelb. Am Grund sehe ich einen kleinen, quadratischen See, der schwarz zu mir herauf schimmert.Ich will der Hitze entkommen, und gehe den leicht abschüssigen Weg nach unten. Schnell füllen sich meine Schuhe mit Sand. Ich bleibe stehen und ziehe sie aus. Angenehm kühl legen sich die kleinen Körnchen um meine Füße.

Um meine Schuhe schneller wiederzufinden, wenn ich zurück komme, stelle ich sie auf einen kleinen Hügel aus Steinen. Manche sind rot, andere grau gestreift oder grünlich. Ein buntes Durcheinander.Kein Windhauch ist zu fühlen, kein Vogel zu sehen, oder zu hören. Es ist still, einfach nur still.Eine angenehme Stille, die mich aufnimmt, aber nicht erdrückt.
Die Luft ist frisch und geruchlos. Nach einer kleinen Kurve ist neben dem Weg der Sand so zusammengeschoben, dass der Rand wie eine überdimensionale, geschliffene Axt aussieht. Die Schneide zeigt nach oben.
Der Weg ist weiter als ich dachte, und nach jeder Biegung denke ich den See zu sehen. Ich schaue nach oben, aber ich vermag die Höhe der steilen Wände nicht zu schätzen.
Jetzt komme ich an eine Enge. Zu beiden Seiten ragt die Sandwand steil nach oben. Sie ist durch verschiedene Sandschichten wunderschön marmoriert.

‚Durch diese hohle Gasse muss er kommen,´ fällt mir der Satz des Tells ein, und ich muss schmunzeln.Nach wenigen Schritten umgehe ich nochmals einen kleinen Hügel, und vor mir liegt der kleine See mit den geraden Linien. Das Wasser hat die gleiche Höhe wie das Ufer, so dass er bald überzulaufen droht. Die Oberfläche ist glatt wie ein Spiegel. Vorsichtig trete ich noch einen Schritt vor, um mich besser zu betrachten, als ich ein leises Räuspern höre. Erschrocken gehe ich zurück und schaue um mich. Neben mir liegt ein dicker, hoher Stein, den ich wohl nicht gleich bemerkte.
Da rauscht über mir, so als ob eine Sandlawine in den Abgrund rutscht, und ich schaue nach oben. Aber es ist nicht zu sehen, was dieses Geräusch ausgelöst haben könnte. Es ist still wie die Oberfläche des Wassers, auf dem sich das Blau des Himmels spiegelt.
Da, wieder das Räuspern. Aber dieses mal näher und lauter, und ich drehe mich um. Es scheint von dem Stein zu kommen.
Was ich sehe irritiert mich.
Auf ihm sitzt ein Mann, der mich freundlich ansieht.
"Wenn du schon hier bist, hole mir etwas Wasser," sagt er mit einer sonoren, angenehmen Stimme, und hält mir einen kleinen Becher entgegen.
"Guten Tag," antworte ich ihm. "Ich habe sie nicht gesehen."
Er brummelt etwas Unverständliches. Wortlos nehme ich den Becher, und beuge mich über das kalte, klare Wasser. Wie tief mag der See wohl sein?
‚Warum bin ich hier´, frage ich mich. ‚Um diesem fremden Mann widerspruchslos Wasser zu holen?´"Du kannst nicht bis auf den Grund sehen," sagt er leise.
Ich reiche ihm den Becher, den er schnell leert.
"Trinke du auch."
Ich schüttle verneinend den Kopf. Wie kann ich aus einem Becher trinken, den ein fremder Mann vor mir benutzte, geht es mir durch den Kopf. Da fängt er an zu lachen.
"Du willst nicht, weil ich vor dir trank," sagt er immer noch lachend.
Misstrauisch schau ich zu ihm. Woher weiß der Fremde, was ich denke. Schnell wische ich den Gedanken weg. Sicher war es nur Zufall.
"Ich trinke dieses Wasser nicht, weil ich nicht weiß woher es kommt," antworte ich ihm etwas ungehalten.
Immer noch leise lachend sagt er:
"Es kommt aus der Quelle, die lange von dem Sand verschüttet war."
Wieder hält er mir den Becher hin, der so golden leuchtet, wie der Sand in der Sonne. Feine, dunkle Linien zeichnen sich darauf ab.
"Ein wunderschöner Becher. Was ist das für ein Muster?" Ich trete näher zu ihm.
Der Mann stellt ihn auf seine offene Handfläche und hält ihn mir wieder entgegen. Vorsichtig nehme ich ihn noch einmal. Jetzt bemerke ich erst die Leichtigkeit. Die Linien laufe an einem Punkt zusammen, den eine Perle ziert. Der Griff ist aus feinen Goldfäden geflochten und schön geschwungen."So etwas wunderbares sah ich noch nie. Sicher ist er schon sehr alt. Haben sie ihn schon lange," frage ich den Mann, den ich mir jetzt auch genau ansehe. Er schimmert gelblich wie der Sand im Schatten, der sich wie feiner Staub über ihn gelegt hat. Auch sein Gesicht und Haare sind damit überzogen. Seine Augen sehen mich freundlich an, und über sein Gesicht zieht ein Lächeln.
"Setz dich zu mir, ich werde es dir erzählen," sagt er, und zeigt neben sich.
Ich stelle den Becher zwischen uns, bevor ich mich zu ihm setze.
"Woher kommen sie," frage ich.
Er zeigt nach oben.
"Über uns stand mein Haus, das mein Vater baute. Den Brunnen, zu dieser Quelle, schlug ich. Ich musste tief graben, um das Wasser zu erreichen."
Nachdenklich nickt er. "Aber das ist schon lange her," sagt er nach einer Pause. "Der Becher gehörte meiner Großmutter. Sie schenkte ihn mir, als ich geboren wurde. Schau mal nach oben zu der Bruchkante."
Er zeigt mit seinem Finger auf eine Stelle, wo die schwarze Humusschicht sehr dünn ist. Ihm folgt heller Sand, dann der leuchtend gelbe. Hier am Grund ist er grau.
Mit einer langsamen Bewegung streicht sich über die Haare, und ein leichter Staubnebel steigt auf."Dort war mein Zuhause."
Ich frage ihn, wo er jetzt wohnt.
"Da, wo es mir gut geht," antwortet er leise und sieht mich lange an.
Seine Blicke lassen mich unsicher werden, und ich stehe auf.
"Du musst dich nicht vor mir fürchten. Ich bin so froh, das du hier bist, und möchte dir eine Freude machen. Schau mal zu dem kleinen Hügel vor dir."
Viele kleine bunte Blüten strecken ihre Köpfe aus dem Sand. Sie haben die Farben der Steine, auf denen meine Schuhe stehen. Sachte bewegen sie sich auf ihren dünnen Stängeln. Ein angenehmer Geruch breitet sich aus.
"Die Blumen sehen wunderschön aus. Wie können sie in dem Sand blühen?"
Der Mann schnieft laut, lehnt sich auf dem Stein so weit zurück, dass er sich an die Sandwand lehnen kann. Es knistert laut, und der Sand fängt zu rutschen. Ich will ihn warnen, aber er hebt eine Hand, und die Wand scheint fest zu werden wie ein Stein.
"Man sieht das, was man sich wünscht," sagt er mit seiner angenehmen Stimme.Wer ist dieser Mann, frage ich mich, der mir keine Angst macht, obwohl ich mit ihm hier in dieser Einsamkeit bin.
"Bitte, bleib noch."
Er sieht mich mit einem freundlichen Lächeln an, das auch aus seinen Augen zu kommen scheint, obwohl ich sie nicht sehen kann. Er hat einen Hut mit einer breiten Krempe aufgesetzt und tief ins Gesicht gezogen.
Ich schaue zu dem kleinen Hügel, der gelb aufleuchtet als Sonnenstrahlen ihn treffen. Die Blumen sind verschwunden. Lebten sie in meiner Fantasie?
"Ohne Fantasie kann der Mensch nicht leben." Wieder schaut er mich lange an.
Sagte er es zu mir, oder dachte ich es?
"Du hast den Wald gesehen." Er wendet sich zu mir. "Den pflanzte mein Vater als er jung war. Die Leute im Dorf nannten ihn Waldhenny."
"Und wie heißen sie?"
Langsam rutscht der Mann von dem Stein, stellt sich vor mich, zieht den Hut und macht eine kleine Verbeugung.
"Sandhenny, rief man mich."
Er hält mir seine Hände entgegen, aus denen feiner Sand rieselt. Er streut ihn über meine Füße, die golden aufleuchten. Dann zeigt er wieder nach oben an die Bruchkante.
"Sieh, dort oben steht mein Großvater mit seiner Schafherde. Er weidete seine Schafe auf dem Land. Der Boden war so karg, dass nur Heidekraut darauf wuchs."
"Dann hieß er Heidehenny," falle ich ihm ins Wort.
Laut lachend sieht er mich an und nickt. Wieder steigt eine feine Staubwolke von ihm auf."Du hast recht." Immer noch lachend ruft er einen Gruß nach oben. Feiner Staub fliegt durch die Luft, und ich muss husten. Als ich wieder hoch schaue, ist der Alte verschwunden, und mit ihm seine Tiere.
Sah ich wieder das, was ich mir wünschte?
"Wo ist ihr Vater," frage ich, und schaue angestrengt.
"Schaue zu dem Baum, der nah am Abgrund steht."
Ich sehe den Baum, der seine Wurzeln wie hilfesuchend in die Luft streckt. An ihn lehnt sich der Mann, der in seiner Hand eine Axt hält. Die Schneide blitzt in der Sonne.
Er winkt heftig und lässt einen schrillen Pfiff hören. Ich halte meine Ohren zu, und als ich genau hinschaue, ist er nicht mehr zu sehen.
Wann wird der Mann neben mir nicht mehr da sein?
Ich kneife meine Augen fest zu, als ich Sandhenny lachen höre. Er gluckst wie ein Bach, der über kleine Schnellen fließt.
"Öffne deine Augen, ich bin noch da."
Kühler Sand rieselt über meine Arme.
"Wo ist sind Großvater und Vater?"
"Sie sind vor langer Zeit gestorben."
Erschrocken sehe ich zu dem Mann.
"Warum konnte ich sie sehen?"
Mir ist kalt geworden, und meine Hände zittern ein wenig. Schnell stecke ich sie in die Hosentasche."Du hast doch Fantasie und siehst das, was du sehen willst. Schau mal zu dem großen Stein? Hat er nicht eine schöne, leuchtende Farbe?"
Die Sonne ist weitergewandert und steht direkt über uns. Sie scheint auf den Stein, und er flirrt in einem tiefen Rot. Ich gehe zu ihm und lege vorsichtig meine Hände darauf. Er ist warm, und ich lehne mich an ihn. Es ist nur ein grauer Stein.
Ich glaube nicht an Zauber. Aber was geschieht mit mir? Unsicher sehe ich zu Sandhenny, der neben mir steht. Aus seiner Jacke rieselt Sand.
"Ich bin kein Zauberer," sagt er laut lachend"Woher wissen sie, was ich denke?"
"Ich sehe es an den Augen der Menschen, und dann fühle ich es. Darum kenne ich ihre geheimen Wünsche. Auch deine."
Immer noch lachend kommt er näher zu mir.
"Schau mich an. Du hast Angst vor mir? Warum? Ich kann dir nichts tun, aber ich kann dir zeigen, was du sehen möchtest."
Er legt seine Hand auf meine Schulter, die gewichtslos ist.
"Verliere nie dein eigenes Ich. Suche nach den Momenten tief in dir, die dich nicht vergessen lassen, wer du bist.
Bleibe dir immer treu, und verschenke einfach dein Lächeln. Es wird so hell sein, wie die Sterne, die die dunklen Nächten erleuchten."
Meine Hände und Füße glitzern golden.
"Wer bist du wirklich, Sandhenny?"
Ich schau auf. Niemand ist zu sehen.
"Ich bin ein Teil von dir, von deinen Gedanken, Wünschen und Glauben," flüstert es an meinem Ohr.Ein leichter Windzug lässt mich frösteln.
Neben mir auf dem hohen Stein steht der kleine, goldene Becher. Vorsichtig nehme ich ihn in die Hand. Da zerfällt er zu feinem, goldenen Sand, der durch meine Fingern rieselt.

Eine Geschichte von: Barbara59

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