HIMMELBLAUER FRÜHLING

HIMMELBLAUER FRÜHLING (Lucky.forever)

Wie das so ist: Immer im Frühling habe ich nichts anzuziehen. Solcherart Sorgen plagen mich niemals im Sommer. Dann sowieso nicht, denn das bisschen, was man im Sommer anzieht, ist ja nun wirklich nicht der Rede wert.
Nur im Frühling, wenn der Rasen schon ein bisschen grün geworden ist vor Neid, weil der Forsythienbusch und die Mandelbäumchen sich so hübsch herausgeputzt haben, spüre ich dieses unbändige Verlangen, mich einmal ganz anders, ganz neu, ganz frühlingshaft zu geben.In diesem Jahr war es ein Hut, der mir den Frühling machen sollte. Kein Hut schlechthin, sondern ein Traum aus himmelblauem, duftigem Geflecht mit einer sehr breiten, leicht nach vorn abfallenden Krempe, verziert mit Bändern und zarten Blüten, wie sie zu dieser Jahreszeit passen.

Es war ein feierlicher Moment, als ich vor dem Spiegel geduldig den richtigsten und pfiffigsten Sitz dieses zauberhaften Gebildes ausprobierte. Unter ihm wirkte das alte Kostüm fast wie neu, und ich war mir sicher, dass ich Aufsehen erregen würde. Mehr will man ja nicht.

Stolz und selbstbewusst, natürlich auch mit etwas Bangigkeit im Herzen, die sich bei einer nicht erprobten Neuheit doch immer einschleicht, trat ich auf die Straße und registrierte sogleich mit Wohlbehagen die verstohlen staunenden Blicke der Leute. Ein paar Frauen allerdings musterten mich recht auffällig, und mir kam es vor, als wäre in ihren Augen etwas Spöttisches, so dass mir wieder Zweifel kamen. War das bloß Neid - oder....?
Immerhin - der Hut war gewagt, schon allein die Größe und der Firlefanz drumrum. Ja und? So etwas kann eben nicht jede tragen.
Als neben mir ein schnittiger Wagen hielt, aus dem ein charmanter Graumelierter spontan zu einem Flirt ansetzte, senkte ich den Kopf, um mit der breiten Krempe mein Gesicht zu verdecken. Außerdem schien mir diese Haltung besonders attraktiv.Hinter mir kicherten ein paar Kinder. Aber was verstehen die schon von Mode. Zwei alte Damen hingegen lächelten mir freundlich und anerkennend zu, was mir ungeheuren Mut machte, und mit einem selbstgefälligen Seitenblick auf die Schaufenster schritt ich neben meinem Spiegelbild weiter.

In der Tagesbar traf ich Thea. Thea ist meine beste Freundin. Geringschätzig betrachtete sie den Hut, und als sie mich unter ihm erkannt hatte, plapperte sie gleich los. Über den Hut verlor sie kein Wort. Allerdings hat Thea ganz andere Sorgen und ihr Frühlingsproblem noch nicht bewältigt. Na ja, ihr macht der Frühling eben auf andere Weise zu schaffen. Das ist übrigens auch jedes Jahr das selbe. Erst als sich der charmante Graumelierte mit einer dezenten Verbeugung zu uns an den Tisch setzte und von diesem Jahrhundertfrühling zu schwärmen begann, unterbrach sie ihren Redeschwall, zauberte im Nu ein strahlendes Lächeln auf ihr eben noch so bekümmertes Gesicht und wandte sich erwartungsvoll dem Fremden zu. Sie flirtet nämlich für ihr Leben gern, und ich weiß genau, in diesem Augenblick sah sie sich kurz vor der Erfüllung ihres Frühlingstraums.Jedoch der Graumelierte hatte Augen nur für mich. Fasziniert starrte er mich an, so wie ich es sonst von Männern nicht gewöhnt bin, und plötzlich fühlte ich mich Thea wohltuend überlegen. Er rückte etwas näher und beteuerte immer wieder, wie glücklich er sei, mich hier doch noch getroffen zu haben. Zu diesem Zeitpunkt war mir noch unklar, aus welchem Grund ihm so auffallend viel daran gelegen war, ausgerechnet mich kennen zu lernen. Schließlich ist Thea zwei Jahre jünger als ich. Es muss an dem verteufelten Frühjahrshut und den damit über mich gekommenen Gefühlen gelegen haben, dass ich keinen Moment zögerte, mich bedenkenlos in dieses fremde Abenteuer zu stürzen.

"Sie tragen einen sehr kostbaren Putz auf ihrem hübschen Kopf", schmeichelte er. Ich machte mit der Hand eine abwertende Geste. "Ach Gott, das alte Ding........". "Ja, ja, sehr alt", stellte er fest, "mindestens doppelt so alt wie Sie." Ich sah ihn erschrocken an. Thea grinste. Überhaupt störte sie. Schon deshalb war ich froh, als der Graumelierte mir den Vorschlag machte, mit ihm im exclusiven Restaurant des gegenüberliegenden Hotels zu Mittag zu essen. Man säße dort auch ungestörter, meinte er.

"Als der Kellner das Steak auf meinen Teller legte, sagte der Graumelierte: "Ein sehr altes Stück........". "Ich bitte Sie, mein Herr!" Der Kellner nahm eine stramme Haltung an. Der Graumelierte winkte beschwichtigend ab. Nachdenklich sagte er: "Chapeau Brillant 1898." "Ich weiß nicht", entgegnete ich unsicher, "den kenne ich nicht. Ich trinke am liebsten Mosel." Daraufhin wollte er sich fast ausschütten vor Lachen, und ich kam mir ziemlich dumm vor. Das Grand-Dame-Spiel liegt mir vielleicht doch nicht so, dachte ich. Wenn ich wenigstens mal im Spiegel nachsehen könnte, ob noch alles in Ordnung ist an mir.

Er schien meine Gedanken erraten zu haben. "Der Hut sitzt tadellos. Er steht Ihnen übrigens ausgezeichnet. Und das Alter sieht man ihm keineswegs an." "Was wollen Sie damit sagen?" empörte ich mich. "Der Hut...... Ich habe ihn erst vor ein paar Tagen ge......." ".....geschenkt bekommen, ich ahne es. Von einer sehr alten Dame, wie ich annehme." Ich blieb ihm die Antwort schuldig, denn meine Großmutter hatte immer gesagt: "Mit vollem Munde spricht man nicht!" Daran hielt ich mich. Schließlich war sie in jungen Jahren Privatlehrerin im Hause eines angesehenen Berliner Bankiers gewesen.Der Graumelierte betupfte seinen Mund mit der Serviette, hob das Glas und trank mir zu. Als er es abgesetzt hatte, beugte er sich zu mir herüber und flüsterte: "Ich würde gern ein Geschäft mit Ihnen machen. Der Preis spielt keine Rolle, wenn Sie bereit wären......?" Der Jahrhundertfrühling! Ich hätte es mir denken können. Entrüstet stand ich auf, doch er griff nach meiner Hand und zog mich zurück. "Gnädige Frau!" Nun wurde er förmlich. "Ich meine Ihren Hut. Ich würde ihn gern kaufen.""Sind Sie verrückt?" entfuhr es mir, und ich erschrak, weil mir sofort bewusst wurde, dass eine Dame, noch dazu in der vornehmen Atmosphäre eines Nobelhotels, so etwas keinesfalls sagen durfte.

"Ja, ein kleiner Spleen von mir", sprach er unbeirrt weiter. "Ich bin leidenschaftlicher Sammler von Kleidungsstücken und Modesujets, wie sie speziell Ende des 19. Jahrhunderts getragen wurden. Und gerade dieser Hut wäre eine ausserordentliche Bereicherung für meine Sammlung, da er im Jahre 1898 Anlass eines Riesenmodeskandals war. Das renommierte Haus "Chapeau Brillant Paris" hatte ihn seinerzeit als Einzelstück kreiert, und nur der modebesessenen Gattin eines Berliner Bankiers war es gelungen, sich von einem kleinen Hutsalon eine Kopie dieses Modells anfertigen zu lassen. Gegen eine horrende Summe, versteht sich! Bei Ihrem Hut handelt es sich übrigens um die Kopie, was den Wert keineswegs mindert. Im Gegenteil!" Er griff nach seiner Brieftasche und ließ ein Bündel Banknoten sehen. Meine Lieblingsfarbe - in den schönsten Nuancen!
Himmelblauer Frühling! Mit ihm war ich ein kleines Stückchen auf Wolken geschwebt, doch nun verursacht er mir plötzlich fürchterliche Kopfschmerzen, da ich krampfhaft das Für und das Wider eines solchen Geschäfts und meine möglichen Chancen berechnete, und ich machte deshalb vielleicht einen etwas leidenden und unentschlossenen Eindruck. Der Graumelierte versuchte mich aufzumuntern, indem er ein paar Scheinchen diskret unter meinen Teller schob, und ich wollte ob dieser gewaltigen Summe schon frohlocken, als es wieder in meinem Kopf zu hämmern begann: Chapeau Brillant 1898
....... Modeskandal ...... leidenschaftlicher Sammler ....... horrende Summe .......!
Ich versuchte es mit einem gequälten Lächeln, wie es die Handwerker heutzutage gekonnt aufsetzen, wenn man ihnen, bevor sie an die Arbeit gehen, großzügig eine Tasse Kaffee oder ein Glas Bier anbietet. Der Graumelierte zückte erneut seine Brieftasche, und als er sie nach weiterem hin und Her unseres gemeinsamen Mienenspiels wieder einsteckte, war sie ganz schön platt. Jedenfalls viel mehr als seine Visitenkarte, die er mir beim Abschied auch noch zusteckte - für alle Fälle! - war nicht mehr drin. Erleichtert bestieg er mit seiner Trophäe sein Sport-Cabriolet und rauschte siegreich vondannen.
Ich sah auf die Uhr. Höchste Zeit. Die Verkäuferin in der Mode-Boutique war recht freundlich und sehr geduldig mit mir, obwohl es kurz vor Feierabend war.

Von Kopf bis Fuß ganz anders, ganz neu, ganz frühlingshaft eingekleidet, kaufte ich auf dem Heimweg noch schnell ein Sträußchen zarter Blüten, machte einen Umweg über den Friedhof und gedachte in aufrichtiger Dankbarkeit Lieb-Großmama, deren alter schäbiger Mädlerkoffer, in dem ich vor ein paar Tagen rein zufällig gekramt und zwischen Kleidern und Stangenkorsett, bestickten Abendtäschchen und Perlmuttfächern diesen verrückten Hut gefunden hatte, für mich plötzlich eine wahre Schatztruhe geworden war.
Denn wie schnell ist das Jahr rum. Und nach Weihnachten und dem Skiurlaub bin ich meistens blank. Doch der Frühling lässt sich nicht aufhalten. Und wie das so ist: Immer im Frühling habe ich nichts anzuziehen.........
(Diese Geschichte schrieb ich zu einer Zeit, als die "Hunderter" noch blau waren. Himmelblau!)

Eine Text von: Lucky.forever

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