Vergangenheit und Zukunft

Manchmal genügt ein einziges Wort und das Gerüst, dass man sich jahrelang gebaut hat, bricht zusammen. Man stürzt ins Bodenlose, ist wieder am Anfang. Dabei habe ich versucht meine Hilflosigkeit zu verstecken, um nicht so angreifbar zu sein. Ich wollte vieles, ganz vieles sein, aber ganz bestimmt nicht wollte ich ........... werden.

Den Rest der Nacht läuft in mir unablässig ein Film ab, den ich nie wieder sehen wollte.

Am Morgen: Ich muss raus, brauche Luft! Es ist ein schöner, kalter Februartag. Und plötzlich weiß ich, wo ich hin will. Ich fahre ins Zentrum, gehe zur Frauenkirche, sitze still in diesem Haus.

Ich weiß nicht, wie lange ich dort saß und wieviel und was mir alles durch den Kopf ging. Plötzlich wird mir bewusst, wir haben den 13. Februar. Den Tag, der für Dresden alles bedeutet, Untergang und Wiedererstehung. Ich denke an meine Mutter, die hier getauft und konformiert wurde. Wie sehr sich gewünscht hatte, bei der Weihe der neuen Frauenkirche dabeizusein. Sie gehörte zu den wenigen, die einen solchen direkten Bezug zu diesem Haus hatte und noch lebte. Es war ihr nicht vergönnt. 2001 kam sie bei einem Verkehrsunfall ums Leben, wenige Tage nach meiner ersten Chemotherapie.

Es muss irgendeine "höhere Macht" gewesen sein, die mich heute hier hergeführt hat. Um 12 Uhr beginnt die Orgelandacht. Ich sitze also schon eine Stunde hier. Orgelmusik, Worte des Erinnerns an den Tag im Jahr 1945, Gebete.

Ich merke, wie ich immer stiller, ruhiger werde. Ich fange an, das Kircheninnere in mir aufzunehmen, dieses Wunder einer Auferstehung.

Als ich hinausgehe auf den Neumarkt weiß ich, solange man lebt, kann man neu anfangen.

Was bleibt ist der Vorsatz mit jedem Moment mir ein Stück einer zweiten, schöneren Vergangenheit zu schaffen. Ich werde die alte nicht mehr einsperren, sie schafft sich dann nur plötzlich explosionsartig wieder Raum, zerstört.

Wenn ich Glück habe, nein (!), wenn ich das ganz bewusst tue, wird die neue Vergangenheit so schön, dass die alte von allein von dannen geht, sich verflüchtigt.

Es wird sicher ein langer Weg sein. Also wage ich den ersten Schritt.

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Kommentare

  1. Liebe Babs...,

    habe Dir gestern Abend schon ich Chatraum gesagt, dass ich gerne dabeigewesen wäre in der Frauenkirche, um dies auch Alles in mich aufzunehmen. Denn was Du so wundervoll hier beschreibst und schilderst, das kenne ich auch, nicht nur einmal, nein..., immer wieder erlebe ich es und möchte ich mich selbst fragen...;
    >> quo vadis??? ... Wo gehst du hin, Manne?

  2. Es ist schon eigenartig, dass ich heute über dein Tagebuch "stolpere"... Wieso habe ich noch nie von dir gelesen? Deine Gedanken haben mich berühert-sind mir aber nicht fremd. Ich musste heute auf den "Hügel" um über Dohna nach Gut Gamig zu schauen,dann kommt die Ruhe zu mir, die Freude und auch ein bisschen Glück. Alles Gute! Renate (Toru)

  3. Hallo, Chatfreundin Babs...

    bin es noch eimal, wegen Renate / toru...
    so kann es gehen, bei Jedem ist es anders, bei Renate ist es über Dohna nach Gut Gamig zu schauen. Bei mir ist es auf dem Brocken im Harz nicht nur einen Tag oben zu sein. Nein! zwei bis drei mal übernachten, und mein innerer Akku ist wieder aufgeladen.
    Und dass Renate gerade jetzt über dein Tagebuch gestolpert ist? Zufall? Meine Meinung ist Nein..., es sind oder wären dann zu viele in meinem eigenen Leben.
    Lassen wir es zu, die sogenannten Zufälle, sie sind ein kostbares Gut. Denn zu wissen, wir sind nicht "Allein auf dieser Welt", das kann auch beruhigen.....
    Ich wünsche Dir Babs, der Renate, und all den vielen Anderen dass sie immer wieder die Möglichkeit haben ihren eigenen persönlichen Hügel erklimmen zu dürfen um wieder innere Ruhe zu tanken.

    Manne

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