Das Bild muss an die Wand...

Das Bild musste an die Wand! Dringend!! Man hatte es vor 7 Wochen gekauft, seitdem stand es eigentlich nur permanent im Weg. Dabei hatte ich den passenden Wandplatz dafür schon vor dem Kauf bestimmt. Immer wieder kamen andere wichtigere Dinge, wie z.B. Cafébesuche dazwischen und hielten uns von der Arbeit ab.
Nun ist es nicht so, dass ich als schwache, nicht logische denkende Frau es nicht geschafft hätte das Bild irgendwie an die Wand zu bekommen. Aber eben nur irgendwie . . . Und außerdem war es mir zu anstrengend. Schließlich war man ja verheiratet. Und eigentlich hatte Herr Gatte sich ja mit unserer Arbeitsaufteilung zufrieden geäußert. Ich konnte bei solchen Gelegenheiten beweisen, dass ich von meinem Organisationstalent, das mir schon in unterschiedlichsten Zeugnissen als Berufstätige schriftlich bescheinigt wurde, nichts verlernt hatte. Denn solche Eingriffe ins Mauerwerk mussten gut geplant werden.
Ich machte mich also daran die Vorbereitungen zu diesem chirurgischen Wandeingriff zu treffen: Auf die in der Nähe stehende Kommode mit der empfindlichen Oberfläche wurde ein flauschiges Handtuch gelegt um darauf die nötigen Werkzeuge griffbereit aufzubauen. Der Bohrer selbst und das Kästchen mit den verschiedensten Bohraufsätzen, Bleistift und Wasserwaage, eine Auswahl von Dübeln und Schrauben in verschiedenen Längen, Hämmerchen und Hammer. Dann positionierte ich den Uraltstaubsauger so, dass ich mir sofort beim Bohrvorgang die Düse schnappen konnte, um sie so unter die Bohrmaschine zu halten, damit der aufkommende Baustaub gar nicht erst den Fußboden erreichte, sondern sofort in den Sauger gesogen wurde. Als ich all das fertig hatte, ging die eigentliche Arbeit los: Ich musste Herrn Gatte davon überzeugen, dass das Bild gerade heute und gerade jetzt an die Wand musste!!
Als er das erste Mal am vorbereiteten OP Tisch vorbeikam und von meinen Plänen noch nichts ahnte, blieb er gut gelaunt. Wahrscheinlich dachte er, die Instrumente lägen dort noch von der letzten OP. Irgendwann dämmerte es ihm aber dann doch: Ich, seine Weib, wollte ihn mal wieder in ein Kurzzeit-Arbeitslager zerren!! Seine gute Laune schwand zusehends. Ein Schlafanfall raffte ihn dahin und schlug ihn aufs Sofa. Ich erledigte in der Zwischenzeit leise meinen Haushalt, wusch zwei Maschinen Wäsche, putze alle Fenster im Haus, schrieb zwei Briefe, bürstete die Katzen, duschte und stand wie neu im Flur, neben dem aufgebauten OP Tisch, als Herr Gatte sich mürrisch und zerzaust vom Sofa gewälzt hatte und auch Richtung Wirkungsstätte geschlurft kam. Lange starrte er die kahle Wand an!! Ich wusste: jetzt nur kein Wort von mir, das den ganzen Zauber des Beginns vernichten könnte. Still, aber allzeit bereit stand ich ein klein wenig abseits und beobachtete gespannt den Meister. Der schnappte sich auf einmal das Bild, hielt es an die Wand und fragte: „So?“ Ich schaute: „Etwas höher – nach rechts - - - eine Winzigkeit nach links - - - perfekt!“ Er: „Jetzt du“ Ich hielt das Bild an die Wand gepresst und machte mich mit gestreckten Armen so klein als möglich, damit Herr Gatte von allen Seiten einen freien Blick aufs Bild hatte. Eine ganze Weile passiert nichts, außer, meine Arme starben langsam ab. Ich dachte schon er hätte sich wieder aufs Sofa zurückgezogen. Dann kamen seine Anweisungen: „Etwas tiefer - - - - - nach rechts - - - - - vielleicht noch ein kleines Stückchen nach links - - - - nee, mach mal etwas höher - - - - jetzt etwas nach links - - - jetzt noch ein kleines Stück nach rechts - - - - Soooo!!!! JETZT ist es perfekt!“ Ich denke kurz: Hatten wir das nicht schon mal? Aber egal, jetzt geht’s los. Der Meister streckt schweigend und doch fordernd den rechten Arm aus – zack - schon hat der den Bleistift in der Hand. Schließlich denke ich mit! Zwei kleine Bleistiftpunkte zieren die Tapete. Die Wasserwaage korrigiert noch einmal und schon kann die Bohrerei beginnen. Ich halte ordentlich die Staubsaugerdüse genau im richtigen Winkel und handle mir deshalb, wenn auch schon kein Lob, so doch wenigstens keinen Tadel ein! Scheint ein guter Tag zu werden. Die Löcher sind gebohrt und fein säuberlich ausgesaugt. Wir stehen beide verzückt, stolz und vollauf zufrieden vor unserem Werk, glotzen in die Löcher, als gäbe es dahinter irgendwas zu entdecken. Obwohl alles relativ zügig vonstatten ging, macht sich bei uns beiden eine leichte Erschöpftheit breit. Wir sehen uns schweigend an – ich geduscht und wie neu, Herr Gatte immer noch zerzaust, aber nicht mehr so verknittert – und er sagt in einem Ton, als hätte er Stunden lang Holz gehackt: „So, jetzt fahren wir erstmal Kaffee trinken. Den Rest machen wir danach.“ Ich willige sofort ein. Schließlich ist das Wetter wieder mal zu schön, um sich im Haus aufzuhalten!
Das Bild wurde dann endgültig zwei Wochen später aufgehängt.

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