Erzählung:Kunis schwarze Katze

Sie konnte Küßchen geben ,und das tat sie auch ,als ich,ohne anzuklopfen mit Tasche und Sauerstoffgerät in die kleine Wohnküche
trat ,in der Kuni in einem verstaubten ,ehemals grünen Plüschsessel lag .Ihre ebenfalls betagte Nachbarin war vom Telefon noch nicht zurück.Es war schon düster ,da sich der Novemberhimmel mit Sturmgewölk überzogen hatte.Die schwarze Katze wandte mir ruhig das Gesicht zu und blickte mich aus großen, goldgelben Augen an.Dann sprang sie leichtfüßig von der Sessellehne zu Boden und verließ den Raum durch die Tür.
Die Notversorgung überwand die Schwäche schneller als erwartet ,und mit der inzwischen ins Zimmer getretenen Nachbarin
brachte ich die Patientin zu Bett.Nach etwa einer Woche war Kuni wieder ganz die alte: mürrisch, misstrauisch und sehr scheu.So verharrte sie auch ablehnend vor dem Eingang ihrer kleinen Mägdewohnung ,als ich zur Abschlussuntersuchung nach diesem Zwischenfall kam.Die Katze starrte mich vom Fensterbrett an,hochgebuckelt und mit buschigem Schwanz.
Niemand kannte Kuni anders ,und wie lange sie in der hinteren
Hälfte des Kötnerhäuschens zwischen größeren Anwesen mit ihrer Katze schon hauste ,hätte wohl niemand genau sagen kiönnen.
Möglich, daß das Alter der schwarzen Katze ein Maß dafür gewesen ist.
Kunni war eher stämmig ,kleinwüchsig wirkte sie nur ,da´die lebenslange Feldarbeit sie gebeugt hatte.Nie habe ich sie anders gesehen ,als in abgetragener ,schwarzer Tracht ,dunkelblauer Schürze und dunklem Kopftuch -doch ich kannte sie kaum.Zwar sehr blass ,und so rheumatisch ,daß sie nur schlurfend langsam voran kam ,war sie dennoch zäh.
Eine schwere Grippewelle überstand Kuni unbeschadet .So vergingen die Wintermonate ,ohne daß ich ihr erneut begegnete .Im ausgehenden Winter jedoch kam ich infolge eines nächstlichen Notfalls
im frühesten Morgennebel über gefrohrenem Schneematsch im Wagen ins Dorf zurück .Da tauchte am anderen Straßenrand Kunni auf, die auf einer Kohlenschaufel etwas wie einen schwarzen Lumpen
langsam vor sich her trug.Als ich die Tür öffnete und ausstieg hörte ich ein winselndes Jammern und gelegentlich ein ächzendes Stöhnen ,
so als ob sich jemand erbräche.Ich bot Kuni Hilfe an .Die schwarze Katze war in der Nacht überfahren worden und tot, und Kunni hattet sie gesucht und gefunden.Dann hatte sie die Schaufel geholt , da sie es nicht über sich brachte ,das Tier aufzuheben.
Alle Scheu war von ihr gewichen . Obwohl ständig Tränen aus den Augen und von der Nase rannen ,und Speichel von ihren Lippen lief, sah sie mich offen und ruhig an.Und ihre kurzen Antworten kamen mir -zwar tränenerstickt -bedächtig vor. Das faltige Gesicht drückte allertiefsten mütterlichen Schmerz aus,so als wäre sie keine Greisin ,sondern eine junge Frau ,die in den Armen ihr totes Kind trägt.Für einen unwägbaren Augenblick meinte ich dem namenlosen Schmerz aller solcher Mütter ins Gesicht zu blicken .
Dann wandte Kuni sich ab,wurde wieder abweisend und wies jede Hilfe zurück.So verschwand sie ,wieder laut jammend und weinend im
Nebel .-In der nächsten Woche erfuhr ich vom ärztlichen Sonntagsdienst daß Kuni zusammengebrochen war ,und nicht mehr lebte.

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Kommentare

  1. Eine zu Herzen gehende Geschichte,die nur ein Mensch verstehen kann,der selbst ein Tier verloren hat,sehr traurig,aber sehr gefühlvoll geschrieben !

    liebe Grüße,Hildegard!

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