Hoher Besuch (Fortsetzung)
Fortsetzung:
Machen wir es kurz:
Der Tag kam heran, der hohe Besuch auch, und alles schien einen guten Verlauf zu nehmen. Die Institutsarbeit wurde von unserem Professor über den Klee gelobt, was der Kurator auch kopfnickend zur Kenntnis nahm. Die Zukunft schien also absolut außer Frage zu stehen. Wir waren angewiesen worden, ganz normal weiter zu arbeiten, was wir dann auch taten.
Irgendwann hörte ich Schritte auf dem Flur nebenan und eine Tür zuklappen: Aha, die Besichtigung war kurz vor dem Abschluß, denn man ging zum Stallgebäude. Der Weg dorthin führte ca. 35 Meter über ein Grasgelände, das den Tieren als Auslauf diente und das von meinem Labor aus gut einzusehen war.
Plötzlich großer Run auf mein Labor. Eine ganze Anzahl Kollegen kam herein : Dürfen wir mal schauen? Sie durften, aber was denn? Alles drängte zu der Fensterfront, die zum besagten Grün hin lag. Ich mischte mich unter die Neugierigen und sah, daß der Professor und sein Besuch gemächlichen Schrittes und eifrig diskutierend zum Stall rüber gingen, wobei sie öfters mal eine Pause einlegten, um ein anscheinend besonderes Thema auch mit entsprechender Gründlichkeit zu behandeln.
Plötzlich erschien Brutus auf der Szenerie, sondierte das Areal wie es seine Art war und sah auch bald die Zweiergruppe, die dort nichts ahnend wichtige Dinge besprach. Der Professor hatte den erforderlichen weißen Kittel an, aber der Kurator erregte mit seinem guten dunklen Zwirn sofort das Mißfallen des Schafbocks. Wir hielten die Luft an, einige wollten schnell raus und das Unglück noch abwenden. War aber schon zu spät, denn Brutus leitete die Attacke bereits ein, indem er ein paar Mal hochsprang, und zwar mit allen vier Füßen gleichzeitig wie ein Springbock in der Kalahari. Und dann galoppierte er auch schon los, mit gesenktem Schädel und in voller Fahrt in Richtung Kurator.
Die beiden Herren merkten zunächst nichts von dem, was da auf sie zu hetzte. Sie waren schon ziemlich an der Eingangstür des Stalles angelangt, als unser Professor im letzten Moment das Unheil kommen sah. Er. wollte noch schnell seinen Gast am Ärmel fassen und ihn aus der Stoßrichtung des Bockes ziehen, da war Brutus aber schon dran am Objekt des Mißfallens. Rums! Sein Schädel traf punktgenau die hintere Breitseite des Kurators, so daß dieser mit ein paar übermäßig langen Schritten und den Kopf voran durch die Gott-sei-Dank offen stehende Tür in das Stallgebäude rein schoß.
Brutus sprang schon wieder mit allen vier Füßen gleichzeitig hoch, um in einer weiteren Attacke dem Gast im Stall den totalen Garaus zu machen, da erkannte der Professor die Sachlage und packte den Schafbock schnell am Halsband: Mein Gott, hilft mir denn keiner! Er pflegte bei heiklen Vorkommnissen immer den obersten Schöpfer als Zeugen anzurufen. Brutus fühlte sich offensichtlich ungerecht behandelt und wollte zum Finale unbedingt noch einmal in den Stall. Da kamen aber auch schon einige Tierpfleger und brachten ihn zur Räson.
Über den Verbleib des Kurators erzählte später ein Kommilitone, der zufällig im angrenzenden Kuhstall gearbeitet hatte: Ich sah nur, wie eine dunkle Gestalt zur Außentür rein huschte und im Stroh an der Waage verschwand! Wiederum Gott-sei-dank lag dieser Strohhaufen dort, sonst wäre bestimmt noch ein Unglück passiert. So aber kroch der hohe Gast aus dem Haufen hervor, und zwar unversehrt, nur die hintere Körperpartie schien noch Schmerzen zu verursachen und wurde fleißig gerieben. Mit Hilfe des Professors und einiger Kommilitonen reinigte man den edlen Zwirn notdürftig vom Stroh, und mit den gebührenden Trostworten wurde der Kurator auch bald wieder bei Stimmung gebracht.
Das Ende vom Lied: Entgegen aller Erwartung wurde der gute Eindruck des Instituts durch die Brutus-Attacke nicht sonderlich getrübt und die Gelder flossen in gewohnter Weise.
Und wer den Schafbock frei gelassen hatte, ist auch nie aufgeklärt worden.
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