von Psachno

Anonym

24. August 2011 in Weblogs

ANONYM

Vielleicht, zwei, drei Wochen zurück war sie eine von vielen. Eine von vielen in deinem Forum.
Auf Deinem Monitor blinkt es in roter Schrift „SIE WURDEN SOEBEN GEKNUDDELT“.

Du unterbrichst Dein gelangweiltes Herumzappen im großen Topf der anonymen nick names.

Aha, sie hat einen Namen, einen „nick“ Namen, Sofieclara! Das Programm unterstützt deine natürlichen Instinkte und fragt: „Möchten Sie zurückknuddeln?“

Zwei Klicks und du bist fast bei ihr zuhause. „Sofieclara“ hat ein Foto in das Netz gestellt, dein erster Blick, oben links. Du siehst eine wallende, üppige, rote Mähne, sonnenbrilleverhüllter Augenbereich, ein gut gezeichnetes Kinn, weiße Bluse. Du ahnst eine gute Figur unter der Bluse, das Gesicht ist größtenteils verschattet.

Etwas unzufrieden liest du den Rest des Eintrages. Sie ist verheiratetet, etwas jünger als du - und du bist hilflos.

Immerhin, sie hat dich geknuddelt und scheint sich für dich zu interessieren. Du entschließt dich zum agieren!

„Kontaktieren“, das Zauberwort und du folgst ihm, wie ein Lämmchen.

„Liebe Sofieclara,
welch Glanz in meiner Hütte, eine virtuelle Umarmung des einsamen Poeten“.

Mein offizieller anonymer Name.

“ Ich habe es genossen, von dir in den Arm genommen worden zu sein“!

Es ist die offizielle Deutung des „Knuddlers“ nach dem Willen seiner Erfinder.

Eine Woche später.

„Sofieclara“ ist stark. Sie geht ihren eigenen Weg, nach einem Leben in der Pflicht der treu sorgenden Ehefrau und Mutter. Sie hat begriffen, dass auch ihr ein selbstbestimmtes Leben zusteht und sie wählt aus, aus dem Kreis der Potententaten und, sie ist wählerisch. Ihre Fragen sind direkt, hart und lassen kaum Spielraum.

Der „Poet“ besinnt sich auf seinen nick name, spricht in Geschichten voller Fantasie, vermittelt seine Träume und Erwartungen im virtuellen Geschehen.

„Was willst du wirklich von mir, sage es mir!“ Die wiederkehrende Frage.

Er bedient sich zaghafter Erotik, immer bereit auf Widerstand zu stoßen, umzukehren. Doch der Widerstand bleibt aus, im Gegenteil, seine Geschichten finden Zustimmung. Er wird kesser und unverblümter, die Photographie bekommt ein Gesicht, täglich wechselnd.

„Was möchtest du von mir?“

Solche und ähnliche Fragen lassen die Tastatur qualmen, der Poet schreibt um die Gunst der imaginär Angebeteten.

Er schreibt frech. Er erfindet ein Hexenhaus im großen Wald, klein aber mit prallem Leben gefüllt. Die Geschichte beginnt richtig Spaß zu machen, täglich fordert Sofieclara neue, aufregende Episoden ihres gemeinsamen Geheimnisses.

Sofieclara ist sinnlich, soviel steht fest, die verbale Nahrungsaufnahme stärkt ihre Vorstellungskraft, sie beginnt zu genießen, meldet sich erneut, fragt nach, nach dem Hexenhaus und seinen frivolen Bewohnern.

Der Poet hat nur die Kraft seiner Worte, seines Talents, zu verzaubern und er nutzt sie nach Kräften.

Sofieclara ist stark, ich sagte es schon.

Sie will alles, alles was das Leben ihr für ihre restliche Zeit zu bieten hat. Sie wählt aus, sie sucht weiter, trotz der emotionalen Bindung an die Traumwelt des Hexenhauses. Der Poet ist nicht frei, er ist gebunden im irdischen Dasein. Er schenkt ihr Liebe und Fantasie, sie aber sucht – eine neue glückliche Freiheit.

Anfängliche, wilde und leidenschaftliche Absichten des persönlichen Kennenslernens, verflachen. Zu groß die Gefahr der Enttäuschung in der Realität. Übereinstimmend wird die Anonymität der virtuellen Welt favorisiert, Gedanken werden entblößt, Hemmungen fallen wie das Laub der Bäume.

Die Nacht wird fast zum Tag gemacht. Sofieclara fordert. Der Poet offenbart sein Innerstes, will sie gewinnen im ungleichen Kampf.

Seine Worte erobern, ihre Lippen, ihre Zunge ihre Zärtlichkeit. Seine Hände nehmen Besitz von ihrer Weiblichkeit, streicheln, verwöhnen, führen sie in himmlische Bereiche. „Schreib weiter!“, liest er in kurzen, hektischen Pausen und sein Kopf senkt sich in die Tastatur um ohne nachzudenken seinem Innersten gehorchend, sein Leidenschaft hinauszuschreiben.

Sofieclara hat längst in grüner Schrift Kommentare eingebracht, kurz, abgehackt, Zustimmendes zum Geschehen, der Poet, er liest es nicht, sein kopf, seine Augen suchen die Tasten zur immerwährenden Steigerung.

Er hat keine Hemmungen mehr, er schreibt sich von der Seele, wie es ist, die Frau zu begehren, die ihn seit Wochen in diesen Rausch versetzt, in den Wahnsinn der Gefühle, seiner frei wählbaren Fantasie.

Er nimmt sie mit in seine Welt der Selbstgefälligkeit , des Monologes und der Hoffnung, im Glauben, es könne Realität ersetzen.

Sie wissen vieles, sie wissen alles und mehr wie das, ein „Klick“ und der schönste Traum hat sein Ende.

„Anonym“, das Zauberwort, die gefühlte Macht, sich nicht einmal verabschieden zu müssen........

„Anonym?“ Es ist die Freiheit der Gefangenen und der Träume.

© Psachno

von Psachno

Vor dem Gewitter

14. August 2011 in Weblogs

Das Rauschen des Windes hat den Gesang der Vögel verstummen lassen, da und dort eine Kinderstimme, Geklapper, menschliches Tun.

In mir die Hitze des Tages, die meine Gedanken in heißen Aufwinden mitreißt, zu großen, dunklen Wolken formt, aufbläht zu grotesken Figuren meiner Unruhe.

Ich wehre mich gegen die einschläfernde Vertrautheit der Schwerelosigkeit im warmen Aufwind, der mich nach oben ins Nichts zu entführen droht.

Meine Hände umklammern den blanken Stahl des Geländers unter mir, der Vertrautheit meiner bisherigen Tage, bereits im Handstand, der Verlockung loszulassen, widerstehend.

Ich schwebe, nein ich werde nach oben gesaugt. Aus meinen Hosentaschen fallen die kleinen Verfehlungen meiner Tage, sie verschwinden im Gras der Vergesslichkeit unter mir.

Meine Hände weiß und blutleer vor Anstrengung tasten, greifen, suchen den Weg nach vorne...keuchend!

Wo ist vorne?

Dort, wo ich sein darf!

Psachno

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