Sind wir mitten drin in der grünen Revolte?
Bekommen wir nach der 68er Revolte jetzt eine Grüne Revolte?
Ich moechte mich einer Beschreibung von Horst Krüger* bedienen: er spricht in seinem Essay aus dem Jahr 1968 von einer bei allem Geist der Revolte merkwürdig fröhlichen und luxuriösen Generation. Obwohl sie gegen die Konsumform der Gesellschaft protestieren, bleiben sie doch zunächst noch deren Geschöpfe und Kreationen. Maskottchen des Spätkapitalismus könnte man sagen. Sicher ist, dass unsere florierende Ökonomie sie mitproduziert hat. Es sind Revolutionäre der Prosperität.
Schaut man sich die Wahlen in Baden-Württemberg an, so sind es wieder die Jungen und Junggebliebenen, die diesmal ganz demokratisch den Wandel hin zu Grün zustande gebracht haben. Nichtsdestotrotz meine ich, dass auch auf sie vortrefflich die Beschreibung von Horst Krüger passt.
Denn auch in der Grünen Revolte sind es ja nicht die Vertreter einer Landbevölkerung, einer Arbeiterklasse oder einer unterprivilegierten Bevölkerungsschicht, sondern wieder sind es die Söhne und Töchter aus wohlhabenden Bürgerhäusern. Ihr Anspruch, ganz Deutschland aus dem Zwang des Atomzeitalters befreien zu wollen, hat genauso den Zug ins Romantische und kraus Verstiegene wie damals, als Bürgerjugend Arbeiterjugend vom Zwang des Kapitalismus befreien wollte.
Dreiundvierzig Jahre nach der kapitalistischen Revolte wächst nun in Deutschland die zweite und dritte Generation heran, sich selbst ueberlassen, frei zu leben, zu lieben, zu reisen, zu konsumieren. Generationen konnten in Deutschland intakt und gesichert aufwachsen wann hat es das in der Vergangenheit gegeben?
Der Schlüssel zur Revolte damals und heute liegt in einer Jugend, die stark ist und meist ökonomisch gesichert, eine Generation berauscht und betäubt von ihrem neuen, subjektiven Freiheitserlebnis und zugleich frustriert von den objektiven Elementen autoritärer Herrschaft, die sie in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft vorfinden.
Das Sammelbecken fuer all diese Jungen und Junggebliebenen ist ein Bündnis, dessen Schnittmenge grün ist. Sie sind für den sofortigen Atomausstieg, gegen die Kastrortransporte, gegen Stuttgart 21. Heute, nach der Atomkatastrophe in Japan.
Die Jungen sind für Stromüberleitung aus der Nordsee nach Bayern, gewonnen aus erneuerbarer Energie in den Windparks an der Küste und auf See. Man braucht ja Strom um das Ökonomische zu sichern.
Die Junggebliebenen sind dagegen, der Heimat wegen, der unzerstörbaren mit ihren Wäldern, Auen und der Kreatur. Für sie kommt der Strom nach wie vor aus der Steckdose, oder?
In vielleicht fünf Jahre werden die Jungen in das Joch unserer Gesellschaft eintreten müssen. Wie werden sie entscheiden als Assistenten der Geschäftsleitung von RWE oder EON? Werden sie dann die Durchsetzung der Verlängerung des Betriebs von Kernkraftwerken für ihre Arbeitgeber vor deutschen Gerichten erstreiten, oder für den freiwilligen Verzicht darauf auf hohe Entschädigung aus Steuergeldern klagen? Oder werden sie gegen die Interessen der Betriebsräte an der Personalschraube drehen helfen, um Kosten zu minimieren, die wegen der hohen Energiekosten an anderer Stelle der Produktion explodieren? Oder werden sie komunale Biokraftwerke konzipieren und betreiben? Oder werden sie zielstrebig auf Hartz IV zusteuern, weil ihr mittelständischer Arbeitgeber nicht mehr wettbewerbsfähig ist der hohen Energiekosten wegen? Werden sie dann für den Zukauf von Energie aus den Atommeilern der Nachbarländer stimmen?
Fragen über Fragen, die niemand beantworten kann. Und doch Fragen, die über die Richtung entscheiden, in die sich Demokratie in Deutschland bewegt, nicht als Farbenspiel oder Ampel, politisch gesehen, sondern als Herzensangelegenheit aller Bürger.
© Marlies Sillinger-Rindsfuesser 04.04.2011
* ISBN 3-455-04018-7 Horst Krüger: Zeit ohne Wiederkehr, gesammelte Feuilletons, Seite 197
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