Schlachtfelder (eine Reisebeschreibung)

Wer sich von meiner Heimatstadt Düsseldorf in Richtung Paris bewegt, sei es per Bahn oder mit dem Auto, der bewegt sich auf weiten Strecken dieser Reise über die Schlachtfelder mehrerer Kriege. Meine kurze Abhandlung beschränkt sich, bis auf eine einzige Ausnahme (Waterloo), auf die beiden großen Kriege des vergangenen Jahrhunderts. Ich bin kein Historiker, deshalb bleiben meine Beschreibungen ungenau und enthalten nur das, was ich mir im Laufe der Jahre angelesen habe. Gerade einmal fünf Stunden benötige man mit dem Auto von Düsseldorf nach Paris und mich überkommt dabei immer wieder der Gedanke, warum hat es hunderttausende von Toten und Verwundeten bedurft, bis es reichte eine Eisenbahnfahrkarte zu kaufen oder die Autobahnmaut zu zahlen, um bequem vom Rheinland bis in das Herz Frankreichs zu reisen?

Meine Heimatstadt und die Nachbarstadt Neuss wurden im Zweiten Weltkrieg durch Luftangriffe stark zerstört. An die Ruinen und Trümmerberge erinnere ich mich noch gut. Erinnerungen an den Bombenkrieg habe ich nur wenige, dazu war ich noch zu klein. Sobald man mit dem Auto Neuss hinter sich gelassen hat, wird es ländlich um einen herum. Man durchquert das Rheinische Braunkohlengebiet und erreicht nach einiger Zeit Jülich. Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde diese Stadt vernichtet. Durch Luftangriffe und Artilleriefeuer wurde die Stadt faktisch dem Erdboden gleich gemacht. Einhundertfünfundfünfzig Tage lag die Stadt im Kampfgebiet und sie war eine der am schwersten zerstörten Städte des Krieges. Luftangriffe und Artilleriefeuer beruhten auf einem Irrtum, auf militärischen Karten war die Stadt als Festung ausgewiesen, die Festung stammte aus dem 16. Jahrhundert und hatte für die moderne Kriegsführung keinerlei Wert.

Im weiteren Verlauf der Autobahn wird Aachen passiert. Diese Stadt ist die westlichste Großstadt Deutschlandes und wurde im Zweiten Weltkrieg auch als erste deutsche Großstadt vom Joch der Nazis befreit. Wie alle deutschen Großstädte wurde auch diese Stadt durch alliierte Luftangriffe stark beschädigt. Am 10. Oktober forderten die alliierten Truppen die deutsche Besatzung zur Kapitulation auf. Da die Besatzung dieser Aufforderung nicht nachkam, wurde die Stadt durch Luftangriffe und Artillerie weiter bombardiert. Die Kapitulation der Wehrmachtsverbände erfolgte am 21. Oktober.

Hinter Aachen wird die Grenze nach Belgien überquert und schnell landet man auf Schlachtfeldern des Ersten und des Zweiten Weltkrieges. Der Weg nach Liege (Lüttich) ist nicht weit. Im Jahr 1914 begann der Angriff auf die vorgelagerten Forts am 4. August und die Schlacht um Liege endete am 16. August mit der Kapitulation von Fort Hollogne und Fort Flemalle. Der Angriff 1940 begann am 10. Mai, die letzten vorgelagerten Forts der Stadt kapitulierten am 22. Mai.

Nur wenige Kilometer weiter wird Huy passiert. Im Zweiten Weltkrieg diente die Zitadelle von Huy den deutschen Besatzern als Internierungslager. Von Juni 1941 bis September 1944 wurden an die 7500 Menschen dort interniert. Ein Teil dieser Internierten wurde von Huy aus in die Konzentrationslager deportiert.

Sobald man sich den Städten Namur und Charleroi nähert, fährt man über das Gebiet, auf dem die Schlacht an der Sambre stattfand. Diese Schlacht im Ersten Weltkrieg dauerte vom 21. bis 23. August 1914. Verbunden ist diese blutige Schlacht mit zwei Kriegsverbrechen in den Orten Tamises (heute Sambreville) und Dinant. Während der Kampfhandlungen wurden in diesen beiden Orten 1058 unbeteiligte Zivilisten, unter ihnen Frauen und Kinder als angebliche Freischärler von kaiserlichen Truppen ermordet. Namur wurde im Zweiten Weltkrieg stark zerstört. Die Stadt lag sowohl während des Westfeldzuges 1940, als auch beim alliierten Vormarsch 1944, sowie bei der Ardennenoffensive und der amerikanischen Gegenoffensive in der Frontlinie. Auf der Höhe von Charleroi gibt es einen Hinweis auf Waterloo. Die Schlacht von 1815 bei Waterloo ist in den Geschichtsbüchern beschrieben, die Geschichtsbücher meiner Zeit unterschlugen uns ein wichtiges Detail. Rund 50.000 Soldaten der verschiedenen Nationen kostete diese Schlacht das Leben.

Kurz bevor die französische Grenze erreicht wird, passiert man Mons. Am 23. und 24. August 1914 lieferten sich deutsche und englische Truppen bei dieser Stadt eine Schlacht, die von den Deutschen gewonnen wurde. Die Stadt war bis 1918 von den Deutschen besetzt. Im Mai 1940 wurde Mons erneut von den Deutschen besetzt. Am 2. September 1944 kam es nahe der Stadt zu einer Kesselschlacht, bei der 25.000 Deutsche in Gefangenschaft gerieten. Am 3. September 1944 wurde Mons befreit.

Man überquert jenseits von Mons bald die Grenze nach Frankreich und nach einiger Zeit gelangt man nach Cambrai. Dieser Stadt liegt an einem strategisch wichtigen Eisenbahnknotenpunkt. Paul von Hindenburg errichtete hier sein Hauptquartier. Ende 1917 fand bei der Stadt die Schlacht von Cambai statt, die als die erste große Panzerschlacht der Geschichte bekannt wurde. 1918 wurde die Stadt von den abziehenden deutschen Truppen in Brand gesetzt. Im Zweiten Weltkrieg forderten alliierte Angriffe auf das Eisenbahnnetz zahlreiche Opfer. Große Teile der Stadt wurden zerstört.

Nach nur wenigen Kilometern erreicht man Péronne. Diese Stadt liegt an der Somme und somit im Bereich der Schlacht an der Somme. Die Schlacht begann am 24. Juni 1916 mit einem siebentägigen Trommelfeuer, welches die am 1. Juli beginnende eigentliche Schlacht einleitete. Bis zum 18. November 1916 dauerten die Kämpfe. Das Ergebnis der Schlacht war nach einer groben Schätzung der Tod oder die Verwundung von etwa einer Million Soldaten vieler Nationen. Am Frontverlauf hatte sich den nach Monaten des Kampfes kaum etwas geändert.

Die Stadt Péronne wurde sowohl im Ersten, als auch im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört. Heutzutage beheimatet die Stadt das Museum L’Historial de la Grande Guerre, das sich mit der Geschichte des Ersten Weltkriegs gefasst.

Meine Reisebeschreibung endet mit der Stadt Compiègne. Am 11. November 1818 wurde im Wald von Compiègne in einem Eisenbahnwaggon der Waffenstillstand unterzeichnet, der den Ersten Weltkrieg beendete. An gleicher Stelle wurde am 22. Juni 1940 der Waffenstillstand zwischen Nazideutschland und Frankreich unterzeichnet, der die Niederlage Frankreich besiegelte.

Von Juni 1941 bis August 1944 wurde unter den Nationalsozialisten ein Internierungs- und Transitlager eingerichtet. Am 6. Juli 1942 verließ ein erster Zug mit politischen Häftlingen das Lager in Richtung Auschwitz.

Meine Aufzählung ist so unwissenschaftlich, wie lückenhaft. Es gibt vieles, über das ich noch schreiben könnte, so fallen zumindest den Beifahrern auf dem Teil der Route, der durch Frankreich verläuft, immer wieder kleinere Gräberfelder links und rechts der Autobahn auf, die Ruhestätten einiger Gefallener der großen Kriege. Die großen Gräberfelder sieht der Durchreisende nicht. Wer sich die Mühe macht, die Autobahn zu verlassen, erreicht nach kurzer Fahrt Gräberfelder, bei denen bereits die schiere Größe Schaudern auslöst. Wie bereits zu Anfang meiner Reisebeschreibung erwähnt, ich schreibe über das was mich bewegt, wenn ich auf dieser Strecke unterwegs bin. Ich kann nicht nachvollziehen, was Menschen dazu bringt, sich solcher Kämpfe auszuliefern. Was nützen alle Siege, am Ende stirb jeder Mensch, das ist, das einzig was gewiss ist und im Grabe liegend braucht er weder Eroberungen, noch Macht. Selbst aller Reichtum, den er erworben hat, ist dann für ihn wertlos geworden. Was bleibt, ist das Leid der durch Kriegshandlungen verwundeten und getöteten Menschen, sowie das Leid der Angehörigen.

Das Original der Geschichte findet Ihr hier

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Kommentare

    1. Danke @Sassine, ich habe die Abhandlung mit meinen Erkenntnissen zur Geschichte beschrieben. Das ist meine subjektive Sicht der Dinge, aus dem Gefühl heraus, das mich immer wieder auf unseren unzähligen Reisen nach Südwestfrankreich oder auf die iberische Halbinsel überkam - wir fahren über Schlachtfelder.

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