OTTO

Otto »So, genug mit Smalltalk«, sagte mein Nachbar am Gartenzaun. »Muss unbedingt einen Kaffee haben und Handwerker kommen heute auch zu mir!« Auf einen Handwerker wartete ich auch schon eine ganze Woche, dachte ich und Otto müsste auch kommen. Das Leben im Garten erwachte langsam und der Frühling schien nun doch Einzug zu halten, die Sonnenstrahlen zeigen ihre Wirkung. Die Tage sind länger und früh morgens zwitschern munter die Vögel. Selbst im Gartenteich zeigt sich reges Leben. Die Goldfische schwimmen munter umher und so bald sie von mir eine Bewegung sehen, fordern sie laut schmatzend ihr Futter ein. Aber wo ist Otto? Auch das neue Vogelfutterhaus erfreut sich über regen Besuch von Amseln, Meisen, Fink und Star und selbst die Vogeltränke wird freudig angenommen. Einige Vögel benutzen die Tränke als Erfrischungsbad für ihr Gefieder, derweil andere in der Nähe auf die Gelegenheit warten, um mit dem benutzten Badewasser ihren Durst zu stillen. Ein Bachstelzenpärchen ist auch vom Winterurlaub zurück und sucht auf der gepflasterten Fläche der Einfahrt nach Futter. Während Blaumeisen fleißig Hundehaare aus den Fugen picken, um damit ihr Netz auszupolstern. Ich wunder mich, wie ein Vogel mit dem dichten Bündel weißer Hundehaare im Schnabel überhaupt noch etwas sehen kann. Alles wiederholt sich wie jedes Jahr, nur Otto ist noch nicht da! Schön ist anzusehen, wie sich die verschiedenen Vogelarten miteinander vertragen, kein Futterneid ist zu erkennen. Entweder sie hocken nebeneinander und picken das Vogelfutter gemeinsam, oder sie warten darauf bis ein entsprechender Platz an der Futterstelle, für sie frei wird. Mit Ausnahme, wenn eine Elster anfliegt, der trauen die kleinen Piepmätze nicht über den Weg, sie halten lieber Sicherheitsabstand. Gerade machen zwei Elstern im nahen Gehölz ein riesiges Palaver. Sie scheinen sich über irgendeine Sache nicht so ganz einig zu sein, denn nach inniger Freundschaft hört es sich nicht an. Jetzt fliegen sie zum Futterhaus und das Gezeter wurde dadurch noch lauter. Trotz grässlichen Lärm vom Elstergeschrei meinte ich meinen Namen gehört zu haben. Beim Umdrehen sehe ich, wie Nachbarin Karin ihre Schubkarre abstellt und mir zugerufen: »Hast du Otto ...?« Der Rest des Zurufs ging im lauten Geschrei der Elstern unter, die just im Moment den Standort wechseln und mir direkt in die Ohren plärren. Wollt ihr wohl den verfluchten Schnabel halten, ihr alten Mistviecher rutschte es mir raus! Ich sehe, wie Karin abrupt ihre Schubkarre abstellt und verschwindet. Oje, – oje, Nachbarin Karin scheint meinen Kraftausdruck in Bezug auf die Elster falsch interpretiert zu haben und ist sauer. So schnell entstehen falsche Eindrücke. Das musste sofort geklärt werden, also bin ich zu ihr rüber gestiefelt. Auch wollte ich wissen, was sie mir zugerufen hatte! Es klärte sich alles schnell auf. »Ich wollte nur erfahren, ob Otto wieder eingezogen ist?«, erklärte sie mir. Otto, ein kleiner grüner, daumennagelgroßer Laubfrosch, hüpfte vor zwei Jahren auf dem Hof herum. Ich habe ihn auf ein Blatt im Gartenteich gesetzt und täglich mit Insekten gefüttert, bis er zu einer stattlichen Größe herangewachsen war. Man kann sagen, er war handzahm und wartete täglich auf seine Fütterung. Seine Erinnerung an die tägliche Versorgung muss durchaus positiv gewesen sein, denn auch voriges Jahr hat er den Gartenteich wieder aufgesucht. Und weil jedes Ding bei mir einen Namen haben muss, nenne ich ihn Otto und warte auch dieses Jahr auf seine baldige Rückkehr.

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Kommentare

  1. Hallo RocyP,
    Deine Verarbeitung des Erwachens der Natur im Frühling liest sich erfrischend und sogar Spannung hast Du eingebaut. Spannung, wer nun Otto ist. Die Nachbarin hat den Ordnungsruf an die Elstern missverstanden, aber nicht nach getragen. Danke!
    Gruß Bernd

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