Meine Zwergschule (Fortsetzung)
Wir hatten zu damaliger Zeit mit Beginn des 4. Schuljahres die Möglichkeit, in einer Sonderprüfung unsere Befähigung für eine weiterführende Schule nachzuweisen, natürlich nur auf Empfehlung des Lehrers und mit Zustimmung der Eltern. Mein bester Freund, der älteste Sohn vom Lehrer und ich, wir drei, unterzogen uns dieser Prüfung, die nach Aussage der Erwachsenen nicht leicht war. Das Ergebnis erscheint unglaublich, aber es war so: von den rund 20 bis 25 Schulen aus dem gesamten Bezirk hatten wir drei die ersten drei Plätze inne! Und zwar mit Abstand zu allen anderen! Da sage noch jemand was gegen die Zwergschule!
Aus dem Schulwechsel wurde allerdings zunächst nichts, da die bedrohlicher werdenden Kriegswirren allmählich die Eltern vorsichtiger werden ließen.
Der Krieg wirkte sich dann auch bald direkt auf unsere kleine Schule aus: der bewährte Lehrer wurde eingezogen und der Unterricht von Fremdlehrern aus den Nachbarschulen mit übernommen. Für uns bedeutete das einen ziemlichen Einschnitt, denn wir mußten nur noch an drei Tagen in der Woche zur Schule. Acht verschiedene Lehrer haben sich nach meiner Rechnung während der Volksschulzeit mit uns befassen müssen.
Gegen Ende des Krieges verschlug es einen ehemaligen Gymnasiallehrer in unser Dorf. Ich nehme an, daß die schlechten Zeiten in der Großstadt, sprich der Hunger, ihn dazu mit veranlaßt haben. Ein etwas schmächtiger, sehr gestrenger Herr, der allerdings nur selten den Rohrstock gebrauchte, weil das Klopfen mit dem Zeigefinger auf das Pult uns schon alle zur Ruhe brachte.
Wenn man heute gelegentlich von mir sagt, ich hätte eine einigermaßen akzeptable Karriere gemacht, dann verdanke ich das zunächst meinen Eltern, aber auch diesem Lehrer und seinem Hunger.
Er hatte wohl bemerkt, daß ich nicht ganz unfähig war, wurde mit meinen Eltern bekannt und bot sich an, mir neben dem normalen Volksschulunterricht noch Privatstunden zu geben, so daß ich, hieraus resultierend, den gleichen Unterricht genießen konnte, den gleichaltrige Kinder in der sogenannten Aufbauschule in Oldenburg hatten. Als Salär für seine Mühen bat er um Naturalien, die man essen konnte.
Über letzteres ließ sich reden, zumal mein Vater Landwirt war und seine Familie das Geforderte wohl entbehren konnte. So radelte bzw. marschierte ich fortan jeden zweiten Nachmittag mit einem Pfund Butter, einer Mettwurst oder auch mal einem Sack Kartoffeln hinten auf dem Fahrrad noch mal zur Schule und erfuhr in der besten Stube des Lehrers, was ein Euklid, ein Pythagoras und andere schlauen Köpfe sich alles ausgedacht hatten. Auch die englische Sprache und die ersten Gesetzmäßigkeiten der Physik bestimmten bald meinen Tagesablauf. Das derzeit für mich interessanteste war jedoch, daß in der guten Stube des Lehrers ein Klavier stand. Und wenn ich mal ganz fleißig gewesen war und nichts anderes mehr vor hatte, dann durfte ich noch für einige Minuten darauf klimpern, spielen konnte man das nämlich nicht nennen.
Zu diesem für mich so wichtigen Lehrer ist noch zu sagen, daß er als Mitglied der NSDAP sofort nach Kriegsschluß von den Alliierten vom Schuldienst entbunden wurde. Insofern waren meine Mitbringsel für ihn und seine Familie lebenswichtig geworden, da sie über anderthalb Jahre zu den nur ganz wenigen Einnahmequellen zählten.
Man stellte jedoch später die zweifelsfreie Anständigkeit dieses Mannes als Pädagoge und auch als Staatsbürger fest, und somit konnte er seinen Beruf noch lange Jahre ausüben.
Ich habe somit ab dem 12. Lebensjahr gleichzeitig zwei Schulen besucht: die kleine, ländliche Volksschule an der großen Heide und die Privatschule in der guten Stube des Lehrers. Letztere hat mir den späteren Übergang auf ein Gymnasium in der nahen Kleinstadt ermöglicht.
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