Der Wolf im Schafsfell

Der Wolf im Schafsfell (RockyP)

Laut Wetterbericht sollte es heute den ganzen Tag heiter bis wolkig sein. Mit einer Regenwahrscheinlichkeit von zehn Prozent. Soweit es Sonne und Wolken betraf, hatte der Wetterfrosch mit seiner Prognose recht und die heiteren zehn Prozent durchnässten gerade mein T-Shirt, welches jetzt wunderbar auf der nackten Haut klebte. Und bevor der Abend auf meiner Gassirunde noch mehr Überraschungen parat hatte und ich weiterhin kalt duschen musste, beschloss ich, den direkten Heimweg durch das nächste Pättken anzutreten. (Pättken ist ein mundartlicher Ausdruck für einen schmalen Verbindungspfad) So hatte ich mir meinen schnellen Heimweg zumindest vorgestellt, jetzt musste ich es nur in die Tat umsetzen.

Doch schon nach wenigen Metern wurde meine Überlegung durch ein eigenartiges Geräusch gestoppt. Meine beiden Podhalaner blieben abrupt stehen, lauschten und hinderten mich am weitergehen. Am Verhalten meiner Hunde merkte ich, dass sie selbst versuchten, diese seltsamen Geräusche einzuordnen. Dazu muss man bedenken, dass ein Hirtenhund bei Dämmerung ein ganz anderes Verhalten anzeigt als am Tage. Im Dämmerlicht, des mit hohen Hecken umsäumten Pättken, hatte ich den Eindruck, dass die Hunde gegenseitig mit gerunzelter Stirn fragende Blicke austauschten. Doch dann erfolgten urplötzlich laute spitze Schreie von einer Frau und einem Kind. Nur das Wort Wolf war deutlich aus dem Gekreische zu verstehen. Jetzt war Hilfe erforderlich. Und wir eilten an den Ort des Grauens.

Meine Podhalaner zogen mich mit Gewalt nach vorne, um zu erkunden, was dort los war. Ich hatte Mühe Schritt zu halten. Gut, dass sie angeleint sind, schoss es mir durch den Kopf. Eine ängstliche, hysterisch, schreiende Frau mit Kind und zwei anstürmende weiße Riesen, das hätte einfach nicht zusammengepasst. Die Panik wäre perfekt gewesen. Doch an der nächsten Wegkrümmung lüftete sich das Geheimnis der Hilferufe. Der Wolf lag leblos mit lang ausgestreckten Gliedern mittig im Pättken und verkörperte keinen besonders angriffslustigen Eindruck.

Da der Wolf laut Medienberichten wieder in aller Munde ist, hatten zwei Kids im Rahmen einer schulischen Projektwoche den Versuch gestartet, einen Wolf als Gruselobjekt zu basteln. Nach meiner Meinung ein misslungener Versuch, da er so wie er dalag, sich schon langsam auflöste. Doch alles liegt wie immer im Auge des Betrachters. Mein Rüde Endros teilte meine Ansicht und hob verächtlich sein Hinterbein. Jetzt hatte dieses Wolfsgebilde wenigstens den Geruch eines Canis Lupus.

Die Kids waren da wohl anderer Meinung und um die Wirkung ihrer Bastelkunst zu testen, hatten sie das zottelige Objekt im Dämmerlicht so postiert, dass man fast schon drüber stolperte. Säbelzahntiger nannten sie ihre Bastelkunst und das zottige Gebilde sollte ja nur Angst und Schrecken verbreiten; dieses war ihnen auch leidlich gelungen. Und durch die ängstlichen Schreie von Mutter und Kind wurde ihr makaberer Scherz noch bestätigt. Sie freuten sich wie die Schneekönige über ihren gelungenen Streich.Als Korpus für ihre Idee diente ein altes mit Schafsfell bespanntes Schaukelpferd. Eine Rute fehlte zwar ganz, aber dafür hatten sie sich beim Kopf mehr Mühe gegeben. Aus den Augenhöhlen flackerte blaues LED Licht, welches die langen weißen Holzzähne im Maul anstrahlte. Und ein altes Handy mit Stimmverzerrer lieferte die passende Tonuntermalung.

Die hysterisch schreiende Frau mit Kind hatte sich mittlerweile beruhigt und ging ihrer Wege. Am Ende meines Fußweges wartete allerdings die Polizei. Ein besorgter Nachbar hatte sie alarmiert. Und schon stand ich in Verdacht, meine Hunde seien schuld an ihrem Einsatz. Sie überzeugten sich dann selbst vom Bastelwolf und schmunzelten über diesen Dummjungenstreich. Genau zwei Tage später stand in den Lokalnachrichten unserer Stadt Folgendes zu lesen: "Wolf im Schafsfell löste bei Mutter mit Kleinkind einen Schock aus"! Ob die Jugendlichen mit ihrer Bastelei das Ziel im Schulprojekt erreicht haben, das entzieht sich meiner Kenntnis. Doch der Zeitungsartikel vom bösen Wolf hängt bestimmt eingerahmt über ihrem Bett.

So erlebt von Rocky und seinen Podhalanern.b 🙂

Ein Text von: RockyP

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