Der graue Mann

Seit Jahren lebte er in dem grauen Plattenbauviertel, 4. Stock, 2 Zimmer, Küche, Bad ohne Fenster. Jede Platte 3,65m lang.

Er pendelte zwischen dem Grau und dem Kellerbüro, in dem er arbeitete. Jeden Tag. Auch am Wochenende sah er im Büro nach dem Rechten, las e-mails und beantwortete sie. In Augenhöhe sah er in den Garten. Dort hatte er seine Agave im Topf. Im Winter holte er sie zu sich ins Büro. Eine Erinnerung an den Süden.

Eines Tages lief sie ihm über den Weg: bunt, fremd, frei, in einer sonnigen Stadt mit einer sonnigen Wohnung. Sie träumten von einer weißen Villa in seiner Stadt, und er fühlte sich bunt. Sie wollten miteinander leben.

Sieh nur, sagte sie und blickte zum Horizont, sie reißen die Hochhäuser ab, Platte für Platte.
3,65m jede, sagte er. Ja, sagte er, sie wollen einen Wald pflanzen, für jede Platte einen Baum.

Er fuhr ins Büro und sagte ich komme bald wieder.
Am Abend kehrte er zurück. Sie blickte zum Horizont und sagte, das Haus ist weg.

Sie sahen sich weiße Villen an. Er wollte in der Nähe des Büros bleiben. Er wollte es ihnen zeigen, den hohen Herren. Sie sollten an seiner Villa vorbeilaufen und sagen, da wohnt er, er ist ein feiner Mann geworden. Wir haben ihn nie gesehen, er war so grau. Jetzt ist er weiß und bunt und sonnig. Guten Tag, Herr.

Jeden Tag fuhr er von der grauen Plattenbauwohnung, 3,65m jede Platte, in sein dunkles Büro. Auch als er längst im Ruhestand war, fuhr er hin. Er wollte sparen. Sein Leben bestand aus Sparen. Er sparte Telefon, Internet und Heizung. Und wenn sie bei ihm war, ging er nur kurz ins Büro und kam abends wieder.

Sie wartete zwischen den grauen Platten.
Sie kommen näher, sagte sie, sie reißen noch mehr Häuser ab. Graue Häuser, 3,65m jede Platte. Ihr war kalt, er sparte Heizung. Er sparte Leben. Ihr Bunt verblasste. Ihr Weiß wurde grau und sie fühlte sich gefangen.

Sie kommen näher, sagte sie.

Er ging ins Büro. Er suchte im Internet nach bunten Frauen.
Du bist nicht mehr bunt, sagte der graue Mann...3,65m

Sie rissen die Nachbarhäuser ab.

Sie sind da, sagte sie zu dem grauen Plattenmann.

Er ging in sein Kellerbüro und sparte Heizung und weinte und liebte andere bunte Frauen im Traum. Er fühlte sich jung und bunt und sonnig.

Sie ging.

Er blieb, 3,65m...grau...dunkel...Keller.

Es ging ganz schnell. Das Haus fiel zusammen, grau, ein grauer Haufen, 3,65m.
Auf sein Grab pflanzten sie einen Baum.

Sie kam nicht, um ihn zu gießen.

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