Annas Weg

Als Anna erwachte, wusste sie, dass sie sich trennen würde.

Einfach so.

Dem Entschluss war keine bewusste innere oder äußere Auseinandersetzung vorangegangen, aber sie wusste es plötzlich ganz genau. Sie war trotzdem nicht erstaunt darüber – es fühlte sich "fest" an –, und sie hatte auch keine Angst.

Dabei war in ihrer Ehe alles in Ordnung.

Eigentlich.

Sie galten bei Freunden und Nachbarn als Traumpaar. Sie hatten alles, was sie brauchten – beide einen Job, beide ein Auto und gemeinsam eine wirklich schöne Wohnung.

Über 30 Jahre waren sie verheiratet und es hatte noch nie einen Streit gegeben. Noch nie!

Konnte es aber auch nicht. Denn im Grunde führte jeder sein eigenes Leben – er seines für sich und Anna ihres für ihn.

Das wurde ihr gestern wieder bewusst, nachdem sie das Abendessen bereitet hatte, er dann seinen Teller nahm und eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und damit dann ins Wohnzimmer entschwand. "Sportschau".

Dabei war er gar kein Egoist. Wenn es etwas zu tun gab, musste sie selten zweimal bitten. Klaus machte. Und er machte es auch noch ordentlich.

Darüber hinaus hatten sie gemeinsam eigentlich nur noch wortkarge Frühstücke und die Urlaube - Berührungen gab's schon lange nicht mehr, auch keine Träume. Und Nähe war durch Gewohnheit ersetzt.

Anna war froh über ihren Entschluss. Es würde nicht einfach sein, niemand würde sie verstehen. Trotzdem würde sie schon heute damit beginnen, diesen Weg zu gehen. Denn viel zu stark schon war die Sehnsucht in ihr, endlich wieder gesehen zu werden ...

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Kommentare

  1. Diese Situation, in die viele Ehen irgendwann geraten, ist gut dargestellt. Scheinbar ist alles in Ordnung, doch aus der Ehe, die doch aus Liebe geschlossen wurde, ist eine Zweckgemeinschaft geworden. Anna ist mutig genug, sie beenden zu wollen, solange das noch geht. Ängstlichere Gemüter finden sich damit ab, bleiben und hoffen, oft aus finanziellen Gründen. - Traurig, dass Gefühle oft so wenig dauerhaft sind, sich weder steuern noch berechnen lassen.

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