"Tag der Deutschen Einheit"
"Tag der Deutschen Einheit"
Es gibt immer wieder Geschichten, die sich fest in unserem Gedächtnis abspeichern, davon werde auch ich nicht verschont, auch wenn der Vorfall vom Inhalt her für mich eher null und nichtig war. Und da sich das Ereignis an einem Feiertag abspielte, an dem ein völlig anderer Tagesablauf geplant war, bleibt alles besonders nachhaltig in Erinnerung. So geschehen am “Tag der Deutschen Einheit“. Nicht, dass ich am besagten Mauerfall besonders involviert war, nein, ganz im Gegenteil, ich war zu der Zeit meilenweit vom Geschehen entfernt. Und habe selbst erst von der friedlichen Revolution und der Reisefreiheit gen Westen alles über die Medien erfahren.
Da der 3. Oktober diesmal fast mittig der Woche fiel, war er mir als Ruhetag herzlich willkommen. Allerdings musste ich morgens die Fahnen hissen, da an öffentlichen Gebäuden, bei staatlichen Feiertagen und besonderen Begebenheiten geflaggt werden muss. Und diesmal war ich in der Pflicht.
Um meine Ruhe und Schlafphase am Morgen zu verlängern, habe ich schon abends geflaggt. Und damit ich den morgendlichen Genuss der Bettruhe so richtig auszukosten konnte, trotzdem den Wecker gestellt. Es gibt nichts Schöneres für mich am frühen Morgen, als den Weckton abzustellen und anschließend weiter im Bett kuscheln oder nach Bedarf genüsslich im Bettzeug wühlen. So weit meine Theorie, aber meistens kommt es anders.
Es kam so, wie es kommen sollte. Am frühen Morgen rappelte mein Wecker und nach einem sanften Klick auf die Funktionstaste gab er Ruhe. Einfach herrlich, jetzt konnte ich weiter die Bettruhe genießen und schlafen. Gerade war ich da bei wieder ins Land der Träume abzugleiten, da weckte mich das Biest von Wecker erneut. Mist, hatte ich nicht alles richtig ausgestellt? Doch es war gar nicht der Wecker, sondern mein Telefon, was neben dem Bett lag.
Wer ruft den an einem Feiertag so früh an? Es war immerhin erst Viertel nach sieben! Und dazu war mir die Nummer auf dem Display unbekannt! Meine Reaktion war durchaus verständlich: Der Anrufer kann mich mal, denn für mich ist heute Sonntag und Ruhetag. Löschtaste gedrückt, Liegeposition verändert mit dem Versuch, weiter zu geschlafen. Ich hätte es auch fast geschafft, wenn nicht fünfzehn Minuten später ein weiterer Weckruf erfolgt wäre. Herrje, was soll denn das? Selbe Rufnummer also gleiche Nervensäge. Hätte ich das Ding mal nicht mit ans Bett genommen, ja hätte, aber ich habe. Wieder spontan Löschtaste gedrückt und vorsichtshalber das Telefon mit einem Kissen abgedeckt. Und siehe da, es klingelte nach einer kurzen Pause wieder. Diesmal aber in gedämpfter Lautstärke. Lass es bimmeln, bis der Arzt kommt, ist mir egal. Und kurze Zeit später wurde der Anruf auch automatisch unterbrochen.
Meine Nachtruhe war eh vorbei und so langsam machte ich mir einen Kopf über den Banausen, welcher mich da so kontinuierlich nervte. Es musste schon was Wichtiges sein, vielleicht lag doch ein triftiger Grund vor? War irgendwas am Fahnenmast verkehrt? An der Deutschland-Fahne oben und unten verwechselt? Schwarz nach unten und den Goldton oben? Gestern in der Dunkelheit konnte es schon passiert sein! Oder war mit meiner Familien irgendwas nicht okay? Jetzt folgten die Gewissensbisse: Warum hatte ich nicht einfach den Anruf entgegengenommen, auch bei einer unbekannten Rufnummer? Langsam wurde aus mir ein Nervenbündel. War das nun der geruhsame Morgen, den ich mir gewünscht hatte? Jetzt wartete ich auf den nächsten Anruf, doch der blieb aus.
Vor einer halben Stunde hätte ich das dusselige Telefon noch vor Wut an die Wand klatschen können, doch jetzt weiß ich nicht, was nerviger ist, ständig durch Klingeltöne gestört zu werden oder auf einen Anruf zu warten, der nicht erfolgte? Es war ruhig – zu ruhig. Dafür pochte das schlechte Gewissen in mir umso lauter. Was konnte ich tun, um es zu beruhigen? Wahlwiederholung klicken, das war die Lösung, um mein Gewissen zu beruhigen. Am anderen meldete sich eine hysterische Frauenstimme und schrie mich wütend an, um ihren Frust über ein angesagtes Feinkostgeschäft in unserer der Stadt loszuwerden.
Zuerst musste ich mal den Abstand vom Telefon zu meinem Ohr ändern, um keinen Hörsturz zu bekommen. Dann ergab sich folgende Konversation. Das heißt, an sich war ich nur Zuhörer. Habe mehrmals versucht, ihren Redefluss zu unterbrechen, hatte keine Chance. Wir waren verkehrt verbunden, ich war nicht der richtige Ansprechpartner.
»Herr Schernei? Dass sie sich trauen zurückzurufen ist schon mutig, wenn man so schlechte verdorbene Ware feilbietet. Sie sind für mich der größte Scharlatan in unserer Stadt. So etwas nennt sich Feinkostgeschäft, Herr Schernei? Ich hätte da einen ganz anderen Namen für ihren Laden! So eine miserable und verdorbene Obstlieferung ist mir ja noch nie untergekommen. Alle gelieferten Aprikosen und Pfirsiche sind faul und stinken. Und die Kisten einfach vor die Tür zu stellen, ohne sich zu melden, ist eine Frechheit. Alles sieht matschig und eklig aus.«
Alle neuen Versuche, ihren Redeschwall zu unterbrechen, stießen auf taube Ohren, ihr Tonfall schraubte sich immer höher. Es schien, als holte sie gar keine Luft, sie schrie ohne Pause. Die Frau war atemtechnisch das reinste Weltwunder. Es war einfach nicht möglich, sie auf die verkehrte Verbindung des Feinkostgeschäftes hinzuweisen. Alle Versuche scheiterten. Allein der Gedanke daran, das Gespräch einfach zu beenden, war keine gute Option, sie würde sofort wieder einen neuen Anruf starten und dann ging das Ganze von vorne los.
Was konnte ich tun? Ihre Beschuldigungen wurden immer schlimmer. Sie belegte mich und das gesamte Firmenpersonal des Feinkostgeschäftes mit krassen Schimpfwörtern. Eine damenhafte Ausdrucksweise war das schon lange nicht mehr. Doch dann – unterlief ihr ein folgenschwerer Fehler, – sie machte eine Pause – und holte Luft.
Nun nutzte ich die Gunst der Stunde, mich in ihrer Atempause fürchterlich zu rächen. Denn mittlerweile war ich stinke sauer. Erstens wegen ihrer obszönen Ausdrucksweise, welche sie ohne Pause vom Stapel ließ. Dazu kamen noch zwei schöne Stunden meiner Morgenruhe, welche sie mir geraubt hat. Es reichte, das Maß war voll! Revanche war angesagt, die Rache war mein!
»Wissen sie was?« Sagte ich. »Nehmen sie die Verpackung mit samt ihrer saublöden Pfirsiche und Aprikosen und stecken sie sich die sonst wo hin, wo keine Sonne scheint und lassen mich endlich in Ruhe.«
Ich hörte nur noch einen eigenartigen Ton am anderen Ende der Leitung und mein restlicher Feiertag war gesichert.
		
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