Lilli II

15. Juli 2009 in Weblogs

Beim Italiener finden sie einen Tisch in der Ecke. Das Licht ist gedämpft und auf dem Tisch brennt eine Kerze. Feddersen bestellt Wein und eine Flasche Wasser. Als der Kellner die Gläser füllt sagt Feddersen: „Für mich nur Wasser, bitte.“
Lilli schüttelt den Kopf. „Herr Feddersen, wollen sie nicht mit mir anstoßen?“
„Ich trinke nicht“; sagt Feddersen. Kerzengerade sitzt er auf seinem Stuhl, ein hilfloses Lächeln in seinem gutmütigen Gesicht.
„Ich trinke sonst auch nicht, aber wir folgen doch keinen festen Regeln, oder?“
Der Kellner füllt Feddersens Glas und Lilli hebt ihr Glas um mit Feddersen anzustoßen.
„Auf uns“, sagt sie.
Feddersen lächelt widerstrebend, er befeuchtet kaum die Lippen.
Während Lilli ein Stück Brot zerkrümelt, bemüht sich Feddersen um die Unterhaltung. Tatsächlich gelingt es ihm, Lilli ein oder auch zwei mal zum Lachen zu bringen. Der Kellner stellt die Lasagne auf den Tisch und füllt ungefragt die Gläser nach.
Feddersen grinst. „Ich heiße übrigens Hans Günther. Wollen wir nicht du sagen?“
Lilli lächelt charmant. „Gerne, Hans Günther!“, und nimmt einen großen Schluck aus ihrem Glas.

Feddersens Wangen haben sich gerötet. Während sie beide mit dem Besteck hantieren erzählt er von seinen Reisen nach Griechenland und Rom, von einem Urlaub am Lago Magiore und einem aufregenden Erlebnis in den Bergen. Feddersen redet und redet, immer bemüht seinen Scharfsinn und Humor hervorzukehren und nichts anzusprechen, was mit ihnen beiden zu tun haben könnte. Schließlich ist er müde und schaut auf die Uhr.
„Lilli, weißt du eigentlich wie spät es ist?“, fragt er verwundert.
„Keine Ahnung“, sagt Lilli und betrachtet ihr leeres Glas.
„Halb elf!“ Feddersen schüttelt entsetzt den Kopf. "Wir haben total die Zeit vergessen. Lass uns schnell bezahlen.“
Lilli versteht nicht. „Hast du eine Verabredung heute Nacht?“
„Wie, Verabredung? Natürlich nicht. Aber um elf pflege ich im Bett zu liegen.“
„Und was passiert wenn du um elf nicht im Bett liegst?“
„Machst du Witze? Oder gehörst du zu den Frauen, die die Nacht zum Tag und den Tag zur Nacht machen. Du hast mir übrigens noch gar nicht erzählt welchen Beruf du ausübst.“
„Hast du mich danach gefragt?“
„Was willst du damit andeuten?“
„Nichts Hans Günther, gar nichts.“

Vor dem Hotel sagt Feddersen: „Für morgen hab ich mir was ausgedacht.“
„Fein Hans Günther, verrätst du mir was es ist?“
„Rund um Solingen verläuft der Klingenpfad. Wir können den ganzen Tag wandern.“
„Ja, da werde ich jetzt erst mal zu Bett gehen. Danke Hans Günther für das nette Essen!“
„Gute Nacht Lilli, schlaf gut. Um neun hol ich dich ab.“
„Warum nicht um acht?“, fragt Lilli scherzend.

Feddersen läuft quer durch die ganze Stadt zu seiner Wohnung. Es hat zu regnen angefangen. Er springt über Pfützen und balanciert den aufgespannten Regenschirm über seinem Haupt. Lilli, wie süß sie ist, denkt er. Eigentlich weiß ich so gut wie nichts über sie, fällt ihm ein. Frauen sind schon komisch. So verschwiegen und geheimnisvoll.

Lilli I

15. Juli 2009 in Weblogs

Wie jeden Tag verlässt Feddersen, auch an diesem Freitag, pünktlich um 16.30 Uhr sein Büro im zweiten Stockwerk des Amtsgerichtes in Solingen. Der Pförtner in der Eingangshalle sagt: „Pünktlich wie immer, Herr Regierungsrat.“
„Stimmt genau“, erwidert Feddersen. „Schönes Wochenende!“
Durch die Drehtür tritt er hinaus auf die belebte Straße. Gewohnheitsmäßig schaut er zum Himmel hoch. Die Wolken hängen tief. Feddersen fasst seinen Stockschirm, den er täglich mit sich führt, fester. Es wird bald regnen, überlegt er und schlägt den Weg zum Bahnhof ein.
Mit langen Schritten überquert er den Bahnhofsplatz, auf dem auch der Bus wartet, mit dem er sonst täglich nach Hause fährt. Doch heute winkt er dem Busfahrer nur freundlich zu und eilt weiter.

Ich werde Sie am Wochenende besuchen. Sie freuen sich doch?Lilli.

Die Postkarte lag vor zwei Tagen in Feddersens Briefkasten.

Bereits zum dritten Mal schreitet Feddersen die Bahnsteigkante ab. Ein kalter Windstoß fegt über die Gleise. Feddersen schließt den obersten Knopf seines dunklen Wollmantels und drückt den grauen Hut tiefer in die Stirn. Angespannt beobachtet er den Zeiger der Bahnhofsuhr, der sich nur ruckartig und langsam weiter bewegt.

Viel weiß er nicht von der jungen Frau, die in wenigen Minuten mit dem Zug aus München eintreffen wird. Als er Lilli auf einer Urlaubsfahrt mit dem Bus kennungelernt hatte, war es Sommer gewesen. Inzwischen hatte der Herbst das Laub auf den Bäumen bunt gefärbt. Lilli, klein und zierlich, ordentlich frisiert und blauäugig, so hatte er sie in Erinnerung. Feddersen hatte sich einen Spreißel in die Hand gerammt und Lilli, die den Vorfall beobachtet hatte, war ihm zu Hilfe geeilt. „Ich kann das, vertrauen Sie mir“, hatte sie gelacht und ihn erfolgreich verarztet. Sie roch gut, auch ihr Lachen gefiel ihm. „Besuchen Sie mich doch einmal in Solingen“, hatte er gesagt und ihr seine Visitenkarte gegeben.

Herbstlaub fliegt durch den zugigen Bahnsteig, ein Blatt heftet sich auf Feddersens blank geputzten Schuh. Feddersen findet ein Taschentuch in der Manteltasche und bückt sich tief hinunter zu dem Ärgernis, das er schnell mit dem weißen Tuch entfernt. Schon kommt der Zug laut dröhnend angebraust.

Er erkennt sie sofort wieder und ist überrascht. Lilli trägt knallrote Handschuhe zu einer modisch schwarzen Jacke. Lachend kommt sie auf hohen Stöckelschuhen auf ihn zu.
„Hallo, da bin ich!“, ruft sie schon von Weitem und hält ihm einen kleinen Koffer entgegen.
Feddersen drückt, die in rotes Leder verhüllte Hand, und verneigt sich tief.
„Sehr erfreut!“ Eine Duftwolke strömt aus Lillis blonden Haaren und verwirrt ihn für Sekunden.
„Ich freue mich sehr, Herr Feddersen“, sagt Lilli, schwenkt ihr Handtäschchen und stöckelt neben Feddersen her, der sie um Längen überragt.
„Hoffentlich gefällt Ihnen das Hotel, das ich für Sie gefunden habe?“, versucht Feddersen seine eigenen Bedenken zu beruhigen. Nur wenige Straßen weiter erreichen sie ein kleines bescheidenes Haus. Über dem Haus leuchtet ein Schild. Hotel.
Der Wirt kommt ihnen aus der Gastwirtschaft entgegen. Bevor er nach dem Schlüssel greift. reibt es sich die massigen Hände mit einem Stück Stoff trocken. Die Treppe zum oberen Stock ist steil, das kleine Zimmer einfach. Feddersen tritt ans Fenster und schaut auf die Gleise des Rangierbahnhofs. Nicht gerade schön, denkt er besorgt.
„Einfach, aber dafür auch nicht teuer!“, bemerkt Lilli verbindlich mit einem Blick auf den Aushang an der Tür. Feddersen nickt erfreut. Sparsamkeit war eine Tugend, die er schätzte und selbst verwirklichte.

Blaue Stunde I

14. Juli 2009 in Weblogs

Er ging am Ufer des Flusses entlang, die Sonne stand tief und malte lange Schatten auf den Weg. Seevögel ließen sich auf den Wellen treiben, er hörte das Rauschen des Wassers und seine Blicke schweiften über die weite Landschaft. Alles schien so ruhig, so glücklich, ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Am Ende des Weges erreichte der junge Mann die Brücke, bog in eine kleine Straße ein und wenige Meter weiter stand er vor einem hohen Zaun, hinter dem sich eine weiße Villa verbarg. Das Gartentor knarrte, als er die Klinke nieder drückte. Gregor wartete einen Augenblick bevor er das Grundstück betrat. Auch wenn er diesen Weg schon oft gegangen war, fühlte er immer noch Nervosität und Herzklopfen in dem Bemühen, in lässiger Haltung zur Haustüre zu gelangen.

Der silberne Klang der Türglocke schickte elektrische Stöße durch sein Rückgrat. Er hörte Schritte, die Türe öffnete sich. Martha! Sie trug ein weißes, hauchdünnes Etwas, sein Pulsschlag beschleunigte sich, die Brust wurde ihm eng.

Martha! Er war Vierundzwanzig, auf dem Weg zu einem erfolgreichen Pianisten und ziemlich unerfahren, was den Umgang mit Frauen betraf. Auf einem Empfang war er ihr begegnet, auf einer dieser langweiligen Einladungen, die man versuchte, schnell wieder zu verlassen. Doch plötzlich erschallte ein Lachen, dem sich alle Köpfe im Raum zuwandten. Eine Frau betrat den Raum, begleitet von einigen jungen Herren, die sich um sie herum bewegten, als wollte ihr jeder als erster zu Füßen liegen. Sie war groß, rothaarig und ihre wogenden Formen steckten in einem unglaublichen Kleid, das mehr preisgab als verhüllte.
Gregor konnte den Blick nicht von ihr wenden, genauso wenig wie all die anderen Männer, die von ihr fasziniert und begeistert waren. Da war etwas an dieser Frau, das nicht real zu sein schien. Sie verströmte sexuelle Energie, die geradezu beängstigend war. Er versuchte sich dichter an sie heran zu schieben und als er es endlich geschafft hatte, fuhr ein heißer Strom der Erregung durch ihn hindurch. Sie hatte ihn entdeckt, ihre Augen begegneten sich für Sekunden, hielten einander fest, ein Taumel erfasste ihn und drohte, ihn davon zu tragen. Von diesem Augenblick an wusste Gregor, dass er sie haben musste. Die Tatsache, dass diese Frau mit den roten, wallenden Locken, den grünen Augen und den ausladenden Kurven um so viel älter als er zu sein schien, war nicht wichtig, eine schmale Kluft nur, die mit Charisma und Begehren leicht zu überwinden war.
Einem glücklichen Umstand war es zu verdanken, dass Gregor auf einen Freund stieß, der die Frau kannte und ihn vorstellte. Es kostete ihn einige Überwindung, ihr seine zitternde Hand zu reichen. „Sagen Sie Martha zu mir“, sagte sie und schenkte ihm einen tiefgründigen Blick. Später flüsterte sie ihm zu, er solle sie doch einmal in ihrer Villa besuchen. „Kommen Sie am Mittwoch zur Blauen Stunde.“ Als er sie fragend anschaute meinte sie: „Mein Mann ist dann in der Oper. Bei den Proben.“ Und sie lachte, kein bisschen nervös, wie er fand.

Nur wenige Tage später lief Gregor am späten Nachmittag durch den fremden Garten, an duftenden Blumen und Sträuchern vorbei, die im Glanz der untergehenden Sonne purpurn leuchteten, und schellte an Marthas Tür. Sie trug ein schwarzes Kleid mit einem tiefen Ausschnitt und sah bezaubernd aus. Als sie ihm zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange hauchte fühlte er sich von schweren Düften benebelt, die aus der Tiefe ihres wogenden Busens zu kommen schienen. Der Salon erstrahlte im Licht unzähliger brennender Kerzen, die Drinks waren vorbereitet. Gregor war beeindruckt und auch sprachlos.
„Nun?“, fragte sie.
„Nun?“, erwiderte er mit einem Schulterzucken.

Blaue Stunde II

14. Juli 2009 in Weblogs

Marthas rot geschminkte Lippen schimmerten aufreizend und tanzten im Kerzenlicht. Sie zögerte nicht lange, nahm ihn bei der Hand und führte ihn zu einem Sofa aus grünem Samt, in dessen verlockend weichen Kissen sie beide versanken. Gregor fasste ihre Hand und ihre Finger verstrickten sich ineinander. Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander, dicht genug, dass er ihre üppigen Körperformen spüren konnte, was seinen Herzschlag beschleunigte und seinen Leib vor Ungeduld, vor Verlangen und Lust erschauern ließ.
Den langen Reißverschluss, der Marthas Kleid am Rücken zusammen hielt, entdeckte Gregor rein zufällig. Einige Male fuhr er mit den Fingerspitzen hinauf und hinunter, schließlich nahm er sich ein Herz und zog daran. Das Kleid ging auf. Zu seiner Verblüffung trug Martha nichts darunter, außer den halterlosen Strümpfen. Ihr prächtiger Busen sprang ihm entgegen. Scheu und andächtig berührte er die weiße Haut, die sich warm und weich anfühlte. Martha lachte, schob sich schwungvoll auf seinen Schoß und betastete mit flinker Hand seinen Leib. Sie gab ihm Küsse aufs Gesicht, auf den Mund und auf die Augen. Geschickt streifte sie ihm die Kleider ab und als er nackt war, ließ sie sich mit ihm zusammen auf den weichen Teppich gleiten. Plötzlich empfand Gregor ein Gefühl von großer Zärtlichkeit. „Mein Liebling“, murmelte er und schmiegte seinen Körper eng an ihren. Marthas Augen glänzten, ihre Lippen bebten, wortlos gab sie sich ihm hin.

Einige Zeit hatten sie eng verschlungen verharrt und dem Klopfen ihrer Herzen gelauscht.
„Kommst du wieder, mein Engel?“, hatte Martha mit rauer Stimme gefragt.
„Möchtest du das denn?“, hatte er geantwortet und genau gewusst, dass er sich für dieses Abenteuer bereits entschieden hatte.

Seniorentag im Golfclub

12. Juli 2009 in Weblogs

Donnerstag. Dieser Tag gehört den Senioren, die auch heute wieder, in großer Zahl, auf dem Platz erschienen sind, um sich in einem Turnier zu messen.
Als ich gegen 10 Uhr meinen Wagen auf dem Parkplatz abstelle, sehe ich meine Golf Freunde eifrig damit beschäftigt, ihre Bags auf den Trollies zu platzieren und sich die Golfschuhe zuzubinden. An diesem warmen Spätsommertag tragen die meisten karierte Bermudas, und obwohl die meisten der anwesenden Clubmitglieder schon weit über 60 Jahre alt sind, bewegen sie sich ziemlich forsch.

Im Clubhaus treffe ich die beiden Herren, mit denen ich zusammen in einem Flight eingeteilt bin. Mit Harry verstehe ich mich ganz ausgezeichnet. Theo ist etwas ruhiger und versucht manchmal zu mogeln. Eine Tatsache die mich eher amüsiert, als ärgert. In der Vorfreude auf einen erfolgreichen und schönen Tag, ziehen wir mit unseren Trollies zum ersten Abschlag und beginnen die Runde.

In gemächlichem Tempo wandern wir über das Fairway, freuen uns über jeden gelungenen Abschlag, ziehen an blühenden Blumenrabatten vorüber und an Wasserläufen, in denen Enten schwimmen. Bald erreichen wir die Obstwiese mit den hübschen Apfelbäumchen.
Immer die Fahne im Auge, versuchen wir die gut gepflegten Greens zu erreichen. Das Putten erweist sich oft als schwierig. Während ein Mitspieler die Fahne hält, versuchen die anderen das Kunststück, den viel zu großen Ball, in dem viel zu kleinen Loch zu versenken. Beruhigend zu wissen, dass auch der widerspenstigste Ball irgendwann in jedes der 18 Löcher plumpst.
Nach den ersten 9 Loch kehren wir zu einer kurzen Frühstückspause im Clubhaus ein. Wie immer sind auch heute die Brötchen fertig gerichtet. Der Kaffee ist heiß, er muntert uns auf. Nach einem Besuch im Waschraum ziehen wir schon bald weiter.

Das Loch 10 ist die pure Herausforderung. Hier muss man über einen See schlagen und es passiert immer wieder, dass die Bälle darin versinken.
Heute klappt es, wir laufen über eine Brücke, überqueren die Zufahrtsstraße, um den nächsten Abschlag zu erreichen. Die kleine Gruppe von Spielern vor uns hat gebummelt. Wir müssen warten. Endlich geht es weiter. Über weichen, kurz geschnittenen Rasen wandern wir einen sanft abfallenden Hang hinunter.
Angeregt durch den Kaffee und das herrliche Wetter, macht sich bald eine ausgelassene Stimmung breit. Jeder Ball, der in einem Hindernis landet, löst Gelächter aus.
Am späten Nachmittag erreichen wir Loch 17. Ein nicht ganz einfaches Loch, zumal heute ein leichter Seitenwind von rechts nach links bläst und hinter dem Loch ein großer Sandbunker lauert. Harry schlägt seinen Ball auch flink hinein und braucht mindestens drei Schläge, um ihn endlich sicher auf das Green zu setzen.

Viel zu lange verweilen wir an diesem Loch. Der nachfolgende Flight rückt uns bedenklich nahe auf die Fersen. Am nächsten Abschlag schlägt Theo seinen hoch aufgeteeten Ball mitten ins Rough. Zu dritt machen wir uns auf die Suche. Weit von hinten höre ich den Warnruf FORE , drehe mich um und sehe einen kleinen weißen Ball auf uns zuschießen. Wir ziehen die Köpfe ein und gehen in die Hocke. Ein heftiger Schlag an meinem Kopf löst den Schmerz aus, der mein Rückgrat hinunter schießt. Alles dreht sich im Kreis. Ich fühle, wie ich falle, dann wird es dunkel um mich herum.

Ich schlage die Augen auf und blicke in besorgte Gesichter, die sich über mich beugen. Mein Kopf schmerzt. Ich liege auf dem Rasen, versuche zu begreifen was passiert ist. Eine kleine Menschenansammlung hat sich um mich herum gebildet. Aus den Augenwinkeln heraus sehe ich nackte Beine in karierten Bermudas. Ich liege auf dem Golfplatz, das weiß ich jetzt.

" Bleib ganz ruhig liegen, Amelie, der Krankenwagen muss gleich hier sein."

Fritz drückt mir einen nassen Lappen auf den Kopf und versucht mich zu beruhigen. Mir ist übel, ich habe das dringende Bedürfnis, mich zu übergeben. Zwei Sanitäter eilen herbei, knien sich neben mich auf den Boden und betrachten meinen Kopf.
"Sie haben Glück gehabt " sagt der eine. "Einen Zentimeter weiter und ihre Schläfe wäre getroffen", teilt er mir sachlich mit.
Ich würge meinen Brechreiz hinunter. Mit tiefen Atemzügen versuche ich mich selbst zu beruhigen. Als er meinen Kopf anhebe, um die Wunde versorgen zu lassen, fällt mein Blick auf Lore, die einem Nervenzusammenbruch nahe zu sein scheint. Zwei meiner Golf Freunde versuchen sie zu trösten. Aus dem Nebel tauchen Bilder in meiner Erinnerung auf. Ich sehe den Golfball durch die Luft schießen. Da wird mir klar, wem ich das Malheur zu verdanken habe.

Vierzehn Tage später bin ich schon wieder fit und ziehe meinen Caddy übers Fairway. Lore habe ich längst verziehen. Die Flasche Champagner, die sie mir schenkte, tranken wir gemeinsam.

Die Erwählten

10. Juli 2009 in Weblogs

Der Tag war gekommen. Als wir aus dem Haus traten, schien die Sonne. Ich hielt einen Strauß Veilchen in der Hand und folgte meinem Mann zur Garage, in der unser Wagen stand. Beim Losfahren fühlte ich einen stechenden Schmerz in der Herzgegend.
„Otto, meinst du es ist alles in Ordnung?“
„Wie meinst du das? Natürlich, für mich schon. Für dich nicht?“
„Ist halt meine Mutter. Ein bisschen schlecht fühle ich mich doch.“
„Musst du nicht. Sie war ja einverstanden.“
„Hat aber lange gedauert. Wir mussten sie ganz schön überreden.“
„So ein Blödsinn! Per Gesetz müsste sie in zwei Jahren sowieso gehen.“
„In zwei Jahren. Ja. Mit neunzig wird man gezwungen. Schon komisch.“
„Denk doch mal an die Kosten. Ruth will in Amerika studieren, wie sollen wir das alles bezahlen?“
„Ob Mutti Angst hat?“
„Die bekommen sicher eine Spritze. Die merken nichts. Fang bloß nicht zu heulen an!“
„Ich heul ja nicht!“

Das Altersheim Gertrudes lag am Rande der Stadt, mitten in einem Park. In den Beeten blühten erste Frühlingsblumen, auf den Bänken saßen alte Menschen in der Sonne. Wir liefen mit langen Schritten dem Eingang zu, durchschritten die Pforte und eilten durch endlose Flure dem Zimmer meiner Mutter entgegen. Die Türe stand weit offen, von meiner Mutter fehlte jede Spur.
„Sind wir zu spät? Um Himmels Willen!“
„Es ist genau zehn Uhr. Wir sind pünktlich. Absolut zur richtigen Zeit!“
„Aber Mutti, wo haben sie Mutti hingebracht?“
Eine Schwester, in weißer Tracht, kam auf uns zu. „Herr und Frau Ruppert?“
„Wo ist meine Mutter?“
„Kommen Sie bitte mit. Die Erwählten sind im großen Saal!“
„Die wer?“

Wir ließen uns von der Schwester führen und als sie eine Türe öffnete sah ich Blumen, Kerzen und viele Betten, die dicht aneinander gereiht standen und in denen alte Menschen lagen, die man in weiße Gewänder gehüllt und ihnen Kränze aus Blumen auf die Häupter gedrückt hatte. Eine Gänsehaut rieselte mir den Rücken hinunter.
„Großer Gott, Otto!“

Ich entdeckte meine Mutter, ganz am Rande der Reihe, und eilte auf sie zu. „Hallo Mutti!“
Tränen rannen mir übers Gesicht und benetzten die eingefallenen Wangen meiner Mutter, als ich sie küsste. „Wie fühlst du dich, Mutti?“
„Es geht mir gut, Kind. Da ist ja auch dein Mann!“
Otto reichte Mutter förmlich die Hand. Ich beobachtete ihn genau, er vermied es, sie anzusehen.

Inzwischen hatte sich der Saal mit Angehörigen gefüllt. Sie drängelten sich an die Betten, betatschten ihre Großmütter, ihre Mütter. Es gab nur einen einzigen Mann. Den Kranz hatte man ihm auf den Bauch gelegt, seine knochigen Finger zupften an den weißen Blüten, die Augen, in tiefen Höhlen, starrten an die Decke, die ebenso weiß war, wie sein Totenhemd.

Ein Pfarrer betrat den Saal. Wir mussten uns von unseren Angehörigen verabschieden, bevor sie mit geweihtem Wasser besprengt wurden. Mutti hielt sich die Augen zu. Sie war sehr blass, ich spürte wieder den Stich in der Herzgegend. Der Geistliche stimmte einen Gesang an. „Näher mein Gott zu dir“. Der Boden schwankte plötzlich unter meinen Füßen. Ich musste an die Titanic denken und als ich wieder zu mir kam, lag ich draußen im Garten auf einer Bank.
„Otto?“
„Geht es dir wieder besser? Es ist alles überstanden. Gut, dass du ohnmächtig wurdest. Mutter wollte plötzlich nicht mehr. Ich hab‘s ihr aber ausreden können.“
„Was ist mit Mutti? Sag‘s mir Otto!“
„Die schliefen alle ganz sanft ein. Nebel und Musik von Mozart.“
„Otto?“
„Ja?“
„Ich habe Angst.“

(Anmerkung: die Geschichte ist frei erfunden, weder zu lebenden noch zu verstorbenen Personen gibt es einen Bezug)

wenn es dich noch gibt ...

9. Juli 2009 in Weblogs

„wenn es dich noch gibt, sag wo ich dich finde ...“

Liebster Klaus,

eine kleine braune Pappschachtel liegt auf meinem Schreibtisch. Zwischen Fotos und Zeichnungen steckt ein dünn zusammengefalteter Luftpost Brief. Dein letzter Brief aus Caracas. Geburtstagsgrüße an mich, vor vierzig Jahren geschrieben. Welch eine lange Zeit! Ein halbes Leben, mein halbes Leben, dein halbes Leben. Wenn ich heute an dich schreibe, so klopft mein Herz und meine Hände zittern. Dieses Sehnen, Liebster, hört das niemals auf?

Dein Brief, mit blauer Tinte, von Hand geschrieben, ist voller Zweifel, ob ich dich noch liebe. „Meine liebste Prinzessin! ...“ Auf diesen Brief musste ich zwei ganze Jahre lang warten. Aus meinem Leben hatte ich dich entlassen, nicht jedoch aus meinem Herzen. Als dein Brief eintraf, hing an meinem Kleiderschrank ein Brautkleid. Ich hatte meinen Mann kennen gelernt und wollte in wenigen Wochen heiraten. Meine Gefühle fuhren Karussell. Du wolltest für kurze Zeit nach München kommen, wolltest mich wiedersehen. Ich musste mich entscheiden, Liebster. Entscheiden zwischen einem Leben in festen, bequemen Schuhen und einem Leben in Ballerinas über den Regenbogen.

In der braunen Pappschachtel liegen Fotos. Da sind einmal die drei Bilder vom Faschingsball im Regina Palast Hotel, von einem Fotografen geschossen. Wirklich hübsch! Unser erstes Kennenlernen! Ich trage eine blonde Perücke, du einen Fez. Wir sitzen an der Bar, du schenkst mir Veilchen. Die Bilder sind eine Fotofolge, wie für einen Film gemacht. Auf dem letzten Bild küsse ich deinen Mund mit meinen Fingerspitzen. Tatsächlich schließt du die Augen. Ich denke, das war der Augenblick, in dem wir uns ineinander verliebten.

Wir verabredeten uns immer häufiger. Damals entdeckten wir unseren Lieblingscocktail, Flying Ship. Mit der blauen Laus, deinem Auto ohne Winterreifen, fuhren wir in die Berge, in den Schnee. Ich saß am Steuer, als wir im Schneehaufen stecken blieben. Du bekamst einen Lachanfall, als ich vorsorglich die Handbremse zog. Ich erinnere mich an unsere erste Nacht bei Bachmeier am Tegernsee. Drei geschnitzte Engel hingen über unserem Bett. In deinem Gepäck befand sich eine Kerze, Champagner und ein Brathähnchen. Das Badezimmer setzten wir mit der Brause unter Wasser.

Du warst so wunderbar anders, als all die jungen Männer, die ich bis dahin kannte. Du stecktest voller Ideen und warst ein so zärtlicher Liebhaber.

In meiner Schachtel liegt eine Kinokarte. Es war ein Sonntag, du hattest mir die Karte geschenkt. Faust stand auf dem Programm. Ich ging alleine in die Vorstellung. Und plötzlich saßest du neben mir. Die Überraschung war gelungen.

Mitten in der Nacht holtest du mich manchmal ab. Du hattest Appetit auf Goulaschsuppe. Wir fuhren in den Zigeunerkeller nach Schwabing, wo man auch um diese Zeit kaum einen Platz fand.

Dass eine Frau in Venezuela auf dich warten würde, wusste ich lange Zeit nicht. Als du mir deine Frau gebeichtet hast, war es zu spät. Ich liebte dich, ich konnte nicht los lassen. Verzweifelt kämpfte ich darum, dich nicht zu verlieren. Doch du gingst zurück nach Caracas. Ich hatte dich verloren.

Nach vier Monaten warst du plötzlich wieder da. Zusammen mit deiner Frau. Mein Leben im Schatten fand seinen Anfang. Heimlichkeiten, Hoffen, Warten auf ein Zeichen, Einsamkeit und immer wieder rote Rosen. Es gelang dir, eine Reise zu organisieren. Wir fuhren nach Verona. Unsere Liebe trug das Zeichen der Verzweiflung. In deinen Armen verströmte mein Leben, drohte mich zu ersticken. Gott, wie sehr liebte ich dich!

Dass diese Reise unsere Abschiedsreise sein würde, ahnte ich nicht. Deine Geschäfte liefen nicht so, wie erwartet. Wieder kehrtest du Deutschland den Rücken. Wieder fuhrst du nach Caracas zurück. Du schicktest mir Ansichtskarten. Auf einer ist der Hafen zu sehen. Ein dickes Herz mit einem Pfeil darauf. „Ich habe die Hoffnung, dich hier eines Tages zu erwarten! ...“

Dann hörte ich zwei Jahre lang nichts mehr von dir. Meine Briefe verschwanden irgendwo in einem Postschließfach, eine Antwort bekam ich nie. Der Schmerz lies nach, die Sehnsucht blieb. Ich lernte einen Mann kennen. Er war so, wie alle Männer vor dir. Er hatte keine Kerze und keinen Champagner im Gepäck, wenn wir übers Wochenende verreisten, doch ohne Winterreifen fuhr er niemals in den Schnee. Er war nicht verheiratet, er wurde mein Mann.

Jetzt ist er tot, jetzt bin ich wieder alleine. Und ich krame in der braunen Schachtel. Vor mir dein Bild. Eine erstklassige Portraitaufnahme. Wie gut du ausschaust! Deine Augen, dein sinnlicher Mund. Ich schließe die Augen und träume mich zu dir.

„ wenn es dich noch gibt, sag wo ich dich finde!“

Deine Prinzessin

Traum in Grün

9. Juli 2009 in Weblogs

Es hatte sich herumgesprochen, schneller als der Wind. Ja, bei Emelys, bei Emelys lag der Traum im Schaufenster, und das schon seit Tagen. Der kleine Laden befand sich nur einige Ecken von den Räumen der Tanzstunde entfernt, in der wir Schülerinnen der siebten Klasse des Lyzeums, jede Woche, nach den Klängen eines Grammophons, unsere Beine schwangen. Wir lernten Foxtrott, Langsamen Walzer, Tango und vieles mehr. Neben der Hopserei interessierten uns vor allem die jungen Herren, die vom Gymnasium zu uns geschickt wurden, und denen wir gefallen wollten.

Auf der Suche nach verführerischem Tand, durchforsteten wir alle Geschäfte unserer kleinen Provinzstadt, es fanden sich Ketten, Ringe, Haarschmuck und Gerüschtes jeglicher Art. Spätestens wenn der Tanzlehrer in die Hände klatschte und rief: „Bitte die Herren, zum Tanz auffordern!“ hielten wir Mädchen die Luft an und hofften, das begehrte Ziel einer der Jünglinge zu sein, die wir als besonders attraktiv eingestuft hatten. Mein Favorit hieß Hans, ein hoch aufgeschossener Junge, der mich um Ellen überragte. Ich mochte sein Lachen, seine blauen Augen und sein Temperament, mit dem er mich im Saal herumzuwirbeln verstand. Seine Kurzsichtigkeit störte mich genauso wenig wie die Tatsache, dass er riesige Füße hatte, mit denen er mir des öfteren auf die Zehen trat.

Der Abschluss der Tanzstunde bildete ein Ball, auf den wir Mädels uns seit Wochen vorbereiteten und der uns regelmäßig in Aufregung versetzte, wann immer wir darüber sprachen. Ein Ballkleid musste gekauft werden, es war das erste in unserem Leben und von größter Wichtigkeit.

Bei Emelys nun lag ein Ballkleid im Schaufenster, das uns allen gleichermaßen den Atem raubte. Es war aus grün schillerndem Taft, mit einer roséfarbenen Schärpe und einer Blume am schulterfreien Oberteil. Davon abgesehen, dass nur eine von uns sechs Mädchen dieses Kleid haben konnte, kostete es mehr als dreihundert Mark und somit galt es als unbezahlbar. Trotzdem ließ ich nichts unversucht, schleppte meine Mutter vor den Laden, schwärmte bei meiner Großmutter von diesem Traum und bettelte meinen Vater an, er möge mir das Kleid kaufen. Es half alles nichts, ich musste nach einer Lösung suchen. Tante Uschi fiel mir ein.
„Ob mir Tante Uschi so ein Kleid nähen könnte?, fragte ich meine Mutter.
„Warum nicht, wir müssten grünen Taft auftreiben“, meinte sie.
„Und rosafarbene Seide für die Schärpe und eine Blume“, gab ich zu bedenken.

Die Zeit drängte, in zwei Wochen sollte das Fest stattfinden. Tante Uschi wurde zu Emelys zitiert, sich das Kleid ganz genau anzusehen. Sie brachte gleich ihren Fotoapparat mit und wusste auch, wo sie den Stoff dafür finden würde. Sie nahm Maß und fing zu nähen an. Tante Uschi war geschickt, drei Tage später durfte ich zur Anprobe kommen und wenige Tage später hing das Kleid an meinem Schrank. Der Anblick entzückte mich. Einige Male probierte ich es an und drehte mich vor dem großen Spiegel im Schlafzimmer meiner Eltern. Das Kleid umspielte meinen Körper, der Taft schillerte in allen Nuancen von Tönen in Grün und die zarte Blume, am Ausschnitt, schmeichelte meinem Teint ganz wunderbar. Das absolute Highlight aber war die Schärpe aus rosa Seide. Sie betonte meine schmale Taille und verlieh dem Kleid seinen einmaligen Charme. Wie würden mich meine Freundinnen beneiden. Und Hans? Er würde mich stolz aufs Parkett führen und vielleicht fiele ihm irgendetwas Schmeichelhaftes ein, etwas über meinen ausgezeichneten Geschmack? Vielleicht?

Der Abend war gekommen, die Aufregung hatte ihren Höhepunkt erreicht und überschritten. Ich zog das Ballkleid an, schlang die Schärpe um meine Taille und schlüpfte in meine hochhakigen Pumps. Meine Augen glänzten und meine Wangen glühten wie im Fieber, ich gefiel mir sehr. Mit beiden Händen wuschelte ich meine dunkle Lockenpracht zurecht, bevor ich zu meinen Eltern in den Wagen stieg.
Hans sah ich schon von Weitem. Er stand am Straßenrand und begrüßte mich mit einem Blumensträußchen. Gut sah er aus, in seinem dunklen Anzug mit der Fliege.
„Tolles Kleid!“, lachte er.
Warum lachte er? War etwas komisch an mir? „Ist was, Hans?“
„Lass uns zu den anderen gehen“, antwortete er, reichte mir seinen Arm und führte mich in den Saal.
Da standen sie alle beisammen, die Mädels, alle in Grün. Grün mit rosa Schärpen und Blumen am Dekolletee. Mir verschlug es die Sprache. Nur Gisela trug ein gelbes Kleid. Ein gelbes Kleid aus Organza, mit weißen Margaritten am Gürtel. Fabelhaft! Die jungen Männer lachten in allen Tonlagen, einige kicherten verschämt hinter vorgehaltener Hand, die Mutigen wieherten und lachten uns schamlos aus. Wie peinlich! Hans meinte. “Mach dir nichts draus!“, und als der Ball eröffnet wurde verbeugte er sich vor Gisela und führte sie zum ersten Tanz. Schuft, dachte ich und zerknitterte den grünen Taft zwischen meinen schweißnassen Händen.

Reise durch die Nacht

9. Juli 2009 in Weblogs

Es ist eine düstere Novembernacht und ich bin allein Zuhause. Der Hund hat schon ein paar Mal angeschlagen, als er gegen Mitternacht endlich Ruhe gibt. Ich wälze mich noch eine Weile hin und her, höre das alte Haus ächzen und knarren und bin gerade eingeschlafen, als ich spüre, dass es ganz hell im Zimmer ist. Ich öffne die Augen.

Schlafe oder träume ich? Junge Mädchen, in wunderschönen Gewändern, bewegen sich anmutig um mein Bett herum. Schnell ziehe ich die Bettdecke hoch, verstecke mich darunter und beobachte die elfengleichen Gestalten aus der Tiefe meiner Kissen. Wer sind sie, woher kommen sie und was wollen sie in meinem Haus?
Musik dringt an mein Ohr, Stimmen vermischen sich mit den Klängen. Die zierlichen Geschöpfe tragen weiße Kleider aus hauchdünnen Stoffen, um ihre Haare und Schultern wehen zarte Schleier. Sie tanzen, lachen und trinken Wein aus funkelnden Gläsern. Immer wenn sie sich im Kreise drehen, fliegen die Röcke hoch und entblößen ihre nackten Beine. Ihre Haare sind hell und kunstvoll geflochten. Zwei Mädchen setzen sich auf den Rand meines Bettes, ihre Gesichter sind blass, kindlich und sinnlich zugleich. Sie halten einen Kranz in Händen, der Duft von Orangenblüten umschmeichelt meine Nase. Flinke Hände huschen unter mein Deckbett und ziehen mir das Nachthemd vom Körper.
Wie gelähmt lasse ich sie gewähren. Die Frauen hüllen mich in ein langes weißes Kleid, das mit Blüten bestickt ist und nach Yasmin und Rosen duftet. Kühl und glatt liegt es auf meiner Haut. Sie drücken mir den Kranz ins Haar, kichern und klatschen in die Hände.

Ein Ruck geht durch mein Bett, es ist ein Bett mit Holzrahmen, eines das quietscht, wenn man sich hineinlegt und eines das knarrt, wenn man aufsteht. Jetzt setzt es sich in Bewegung, nimmt Fahrt auf und schießt auf den Spiegel zu, der goldgerahmt an der Wand hängt. Aufrecht sitzend sause ich auf mein Spiegelbild zu, sehe die Frau, geschmückt wie eine Braut, erkenne, dass ich es bin, fühle den Schreck, wie er durch meine Glieder fährt und mein Herz, das droht, aus der Brust zu springen. Sekunden später fliege ich mit meinem Bett durch den Spiegel hindurch in die Nacht. Der Wind zerrt an dem Blütenkranz auf meinem Haar, die bauschigen Ärmel meines Kleides blähen sich, bläuliches Mondlicht liegt auf meinen Kissen, spiegelt sich matt im Wasser, tief unter mir.

Nebelschleier begleiten mich auf meiner nächtlichen Reise, werden dichter, hüllen mich ein und verwehren mir die Sicht. Ich höre Flötenspiel, vernehme Flüstern und Raunen. Plötzlich gibt es einen Ruck, mein Bett bleibt stehen. Bin ich angekommen? Flackernde Lichter schwirren herum, necken mich, verstecken sich, tauchen neben mir auf und lassen Geister ahnen, die sich irgendwo verbergen. Wo bin ich? Der Klang einer Glocke lockt Elfen herbei, schwebende Geschöpfe auf nackten Füßen. Hände heben mich hoch und tragen mich davon. Mir schwinden die Sinne.

Als ich erwache liege ich auf seidenen Kissen, über mir ein hoher Himmel. Fahles Mondlicht wirft geheimnisvolle Schatten an die Wand. Ich halte den Atem an, ein Mann steht vor meinem Bett. Er trägt eine goldene Krone auf dem Haupt, seine dunklen Augen sind auf mich gerichtet und als er den purpurnen Mantel zurückschlägt, sehe ich, dass er nackt ist. Seine Ohren sind lang und spitz. Der Elfenkönig! Gefangen in einer Mischung aus Furcht und Erregung liege ich still, wage es nicht, mich zu bewegen. Ohne einen Laut schlägt er die Decke zurück und legt sich neben mich. Der Mann riecht nach würzigen Kräutern, nach Farnen, nach Gräsern und wildem Wein. Seine Arme umschlingen mich, ich kann mich nicht wehren. Ich fühle seinen heißen Atem auf meiner Brust, seine weichen Hände, die wie Flügel über meinen Körper huschen. Seine Hand gleitet hinab in das Tal meiner Lust, ich werde ganz schlaff, ganz weich. Er legt seinen Mund auf meinen, berührt meine Lippen mit seiner Zungespitze, sanft, vorsichtig, wartend. Ich fühle seine tastenden Finger, kreisend wie ein Adler um seine Beute. Mein Körper empfängt Signale, Lust breitet sich aus, überschwemmt mich wie ein reißender Bach. Wie zufällig berührt meine Hand den Blütenkranz auf meinem Haar. Erschrocken zucke ich zurück. Bin ich seine Braut? Will er mich besitzen? Für immer? Nein! Nein! Ich will das nicht. Sein Mund auf meinen Lippen, seine Hände auf meinem Leib. „Hilfe!“

Wer schreit so laut, bin ich das? Der Hund bellt. Ich schlage die Augen auf, fühle mein Herz rasen. Morgendämmerung auf den Tapeten. Ich richte mich auf, schaue in den Spiegel an der Wand gegenüber, er ist unversehrt. Was für ein Traum! Ich schlüpfe aus dem Bett, laufe auf nackten Füßen zum Fenster, ziehe den Vorhang zurück und drehe mich um. Auf dem Boden liegt eine Blüte. Ich hebe sie auf und atme ihren Duft.

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