wenn es dich noch gibt ...

„wenn es dich noch gibt, sag wo ich dich finde ...“

Liebster Klaus,

eine kleine braune Pappschachtel liegt auf meinem Schreibtisch. Zwischen Fotos und Zeichnungen steckt ein dünn zusammengefalteter Luftpost Brief. Dein letzter Brief aus Caracas. Geburtstagsgrüße an mich, vor vierzig Jahren geschrieben. Welch eine lange Zeit! Ein halbes Leben, mein halbes Leben, dein halbes Leben. Wenn ich heute an dich schreibe, so klopft mein Herz und meine Hände zittern. Dieses Sehnen, Liebster, hört das niemals auf?

Dein Brief, mit blauer Tinte, von Hand geschrieben, ist voller Zweifel, ob ich dich noch liebe. „Meine liebste Prinzessin! ...“ Auf diesen Brief musste ich zwei ganze Jahre lang warten. Aus meinem Leben hatte ich dich entlassen, nicht jedoch aus meinem Herzen. Als dein Brief eintraf, hing an meinem Kleiderschrank ein Brautkleid. Ich hatte meinen Mann kennen gelernt und wollte in wenigen Wochen heiraten. Meine Gefühle fuhren Karussell. Du wolltest für kurze Zeit nach München kommen, wolltest mich wiedersehen. Ich musste mich entscheiden, Liebster. Entscheiden zwischen einem Leben in festen, bequemen Schuhen und einem Leben in Ballerinas über den Regenbogen.

In der braunen Pappschachtel liegen Fotos. Da sind einmal die drei Bilder vom Faschingsball im Regina Palast Hotel, von einem Fotografen geschossen. Wirklich hübsch! Unser erstes Kennenlernen! Ich trage eine blonde Perücke, du einen Fez. Wir sitzen an der Bar, du schenkst mir Veilchen. Die Bilder sind eine Fotofolge, wie für einen Film gemacht. Auf dem letzten Bild küsse ich deinen Mund mit meinen Fingerspitzen. Tatsächlich schließt du die Augen. Ich denke, das war der Augenblick, in dem wir uns ineinander verliebten.

Wir verabredeten uns immer häufiger. Damals entdeckten wir unseren Lieblingscocktail, Flying Ship. Mit der blauen Laus, deinem Auto ohne Winterreifen, fuhren wir in die Berge, in den Schnee. Ich saß am Steuer, als wir im Schneehaufen stecken blieben. Du bekamst einen Lachanfall, als ich vorsorglich die Handbremse zog. Ich erinnere mich an unsere erste Nacht bei Bachmeier am Tegernsee. Drei geschnitzte Engel hingen über unserem Bett. In deinem Gepäck befand sich eine Kerze, Champagner und ein Brathähnchen. Das Badezimmer setzten wir mit der Brause unter Wasser.

Du warst so wunderbar anders, als all die jungen Männer, die ich bis dahin kannte. Du stecktest voller Ideen und warst ein so zärtlicher Liebhaber.

In meiner Schachtel liegt eine Kinokarte. Es war ein Sonntag, du hattest mir die Karte geschenkt. Faust stand auf dem Programm. Ich ging alleine in die Vorstellung. Und plötzlich saßest du neben mir. Die Überraschung war gelungen.

Mitten in der Nacht holtest du mich manchmal ab. Du hattest Appetit auf Goulaschsuppe. Wir fuhren in den Zigeunerkeller nach Schwabing, wo man auch um diese Zeit kaum einen Platz fand.

Dass eine Frau in Venezuela auf dich warten würde, wusste ich lange Zeit nicht. Als du mir deine Frau gebeichtet hast, war es zu spät. Ich liebte dich, ich konnte nicht los lassen. Verzweifelt kämpfte ich darum, dich nicht zu verlieren. Doch du gingst zurück nach Caracas. Ich hatte dich verloren.

Nach vier Monaten warst du plötzlich wieder da. Zusammen mit deiner Frau. Mein Leben im Schatten fand seinen Anfang. Heimlichkeiten, Hoffen, Warten auf ein Zeichen, Einsamkeit und immer wieder rote Rosen. Es gelang dir, eine Reise zu organisieren. Wir fuhren nach Verona. Unsere Liebe trug das Zeichen der Verzweiflung. In deinen Armen verströmte mein Leben, drohte mich zu ersticken. Gott, wie sehr liebte ich dich!

Dass diese Reise unsere Abschiedsreise sein würde, ahnte ich nicht. Deine Geschäfte liefen nicht so, wie erwartet. Wieder kehrtest du Deutschland den Rücken. Wieder fuhrst du nach Caracas zurück. Du schicktest mir Ansichtskarten. Auf einer ist der Hafen zu sehen. Ein dickes Herz mit einem Pfeil darauf. „Ich habe die Hoffnung, dich hier eines Tages zu erwarten! ...“

Dann hörte ich zwei Jahre lang nichts mehr von dir. Meine Briefe verschwanden irgendwo in einem Postschließfach, eine Antwort bekam ich nie. Der Schmerz lies nach, die Sehnsucht blieb. Ich lernte einen Mann kennen. Er war so, wie alle Männer vor dir. Er hatte keine Kerze und keinen Champagner im Gepäck, wenn wir übers Wochenende verreisten, doch ohne Winterreifen fuhr er niemals in den Schnee. Er war nicht verheiratet, er wurde mein Mann.

Jetzt ist er tot, jetzt bin ich wieder alleine. Und ich krame in der braunen Schachtel. Vor mir dein Bild. Eine erstklassige Portraitaufnahme. Wie gut du ausschaust! Deine Augen, dein sinnlicher Mund. Ich schließe die Augen und träume mich zu dir.

„ wenn es dich noch gibt, sag wo ich dich finde!“

Deine Prinzessin

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Kommentare

  1. ...die braune Pappschachtel......
    eine wunderbar erzählte Geschichte, wie sie nur autobiographisch erzählt werden kann.
    "Wenn es Dich noch gibt, sag mir, wo ich dich finde!" - diese sehnsüchtige Frage wird durch die Geschichte mehr wie begründet.
    Sehr gerne gelesen.
    Psachno

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