Sternschnuppen, Lichtblitze, Begegnungen
Es gibt kurze Begegnungen, die man ein Leben lang nicht mehr vergisst, zumindest kenne ich solche. Sie sind wie Sternschnuppen, hell leuchtend und verglühend, oder eben wie Lichtblitze, die einen Augenblick zum leuchten bringen.
Ich sass im Zug ins Tessin, eine geschäftsreise wie ich sie hin und wieder unternehmen musste. Ich las in meinen Papieren oder auch in einem Buch. Ich war allein im Abteil. Irgendwann stieg eine Frau ein und setzte sich etwas entfernt, doch jedes Mal, wenn ich aufsah, begegnete ich ihrem Blick. Nach einer Weile stand ich auf und setzte mich ihr gegenüber und wollte mit ihr reden. Leider sprach sie nur Italienisch und Französisch und ich Deutsch und Englisch. Ich stand auf, beugte mich über sie und küsste sie,und sie erwiderte den sanften Kuss. An der nächsten Haltestelle stieg sie aus.
Ich sass beim Frühstück in einem kleinen Londoner Hotel. Ich flog in dieser Zeit oft nach London, denn ich liebte diese Stadt, ihre Theater und Kinos, die Chinesischem Restaurants.
Nicht weit von mir entfernt sass eine Frau alleine an einem Tisch und die Bedienung gab sich alle Mühe zu erfahren, wie der Gast die Frühstückseier zubereitet haben möchte. Die Frau konnte offenbar kein Wort Englisch. Ich dolmetschte, sie mochte scrambled eggs, Rühreier. Grosse Erleichterung auf beiden Seiten.
Nach dem Frühstück holte ich in meinem Zimmer ein Buch, denn ich liebte es, im Hydepark auf einer Bank zu sitzen und zu lesen. An der Türe des Hotels stand wieder diese Frau, wir kamen ins Gespräch und sie erzählte mir, dass sie einen Wochenendflug gebucht hatte, aber da sie kein Wort Englisch konnte, hatte sie das Wochenende im Hotel verbracht und noch nicht einmal den Hydepark gesehen, der kaum 10 Minuten zu Fuss erreicchbar war.
Ich lud sie ein, mit mir ein kleines Stückchen London zu erkunden, denn mittags musste sie zurückfliegen. So zeigte ich ihr im Schnelldurchlauf den Hydepark, die Oxford Street, den Piccadilly Circus und irgendwo auf dem Weg assen wir zusammen eine Pizza, bevor ich sie zum Hotel zurück brachte. Der Bus, der sie zum Flughafen brachte, wartete schon. Wir küssten uns lange und innig, bevor sie einstieg und zum Abschied winkte. Ich wusste nur, dass sie Marianne hiess, katholisch und verheiratet war und als Sekretärin bei einem Bürgermeister am Bodensee arbeitete.
Ich hatte von Bekannten eine kleine Wohnung in Istanbul zur Benutzung erhalten, mitten in einem Wohngebiet, im dritten Stock eines Wohnblocks. Ich erinnere mich noch heute an die Nächte, die oft erfüllt waren vom Wehklagen der Klageweiber, wie auch an die frühen Rufe der Muezzin, immer ein wenig zeitversetzt, weil die Uhren verschieden gingen.
Ich verbrachte Stunden in den unzähligen Moscheen, die für mich eindeutig weiblich waren, einmal wegen der vielen kleineren und grösseren Kuppeln, die von oben betrachtet wie reife Brüste aussahen, aber auch wegen der Geborgenheit in den Moscheen, die nicht zu vergleichen ist mit unseren Kathedralen.
Eines Tages läutete es an der Türe und als ich öffnete standen zwei bildhübsche junge Frauen vor der Türe. Ein Schwall türkischer Worte
ergoss sich über mich, von denen ich kein einziges verstand. So konnte ich nur sagen: Ich verstehe kein einziges Wort. Da lachte die eine und meinte, ebenfalls auf Deutsch: Das ist ja wunderbar, ich kann auch kein Türkisch. Es stellte sich heraus, dass sie die Bewohner über mir besuchen wollte, die aber nicht anwesend waren. So zeigte ich ihr während der vier Stunden, die sie zwischen zwei Flügen Zeit hatte, meine Lieblingsmoscheen, nicht die Hagia Sofia, aber die Blaue Moschee und ein paar andere. Dann musste sie wieder zum Flughafen.
Während einigen Aufenthalten in Neuseeland traf ich eine wunderbare Frau. Sie war gescheit, konnte gut kochen, sie liebte das Kino, auch ein wenig frivole Filme und wir konnten uns auf langen Spaziergängen stundenlang unterhalten. Sie hatte Brustkrebs, der später auf das Rückenmark übergriff. Sie starb kurz nach meiner Abreise, und es treibt mir heute noch die Tränen in die Augen, wenn ich daran denke und mich frage, warum bin ich nicht noch die letzten Wochen geblieben.
Lieber WKaiser,
auch ich hatte ähnliche Begegnungen, habe sie aber nie zu Papier gebracht und auch niemandem erzählt, weil ich ja nicht wußt, wie das ankommt.
Gruß sisi