So viel Heimlichkeit - Teil 2
Als ich an der Reihe war, bekam ich heiße Ohren und hatte natürlich mein Weihnachtsgedicht längst vergessen. Oma Tuta wollte helfen und forderte mich auf, ein Gedicht aus meinen Bilderbüchern aufzusagen, worauf mir nur einfiel: Ach, Weihnachtsmann, du tust mir leid, vorüber ist bald deine Zeit
Weiter wollte mir nichts einfallen.
Jetzt erhielt ich mein Geschenk.
Mit erwartungsvoll strahlendem Gesicht, wie das bei allen Kindern so ist, die im Frieden und in der Obhut sie umgebender Menschen Weihnachten feiern dürfen, packte ich es aus. Heu, Heu, Heu kam zum Vorschein. Und ganz zu unterst meine Kuh!
Nun wusste ich, wies zugegangen war: Der Weihnachtsmann, der allen Leuten, auch den Kindern, ins Herz sehen kann, hatte meinen Herzenswunsch erfüllt, mir die heißersehnte Kuh beschert, eine Flasche ihrer Milch hinzu gefügt und natürlich auch Heu zum Füttern, damit sie auch weiterhin kräftig Milch geben kann, die dem kleinen Micke Kraft zum wachsen gibt.
Und ich Schlaumeierchen war dem Weihnachtsmann doch auf die Schliche gekommen. Er hatte das Heu auf den Stufen verloren, aber ich hatte es aufgehoben, oben in der Kammer. Das würde einen Becher voll Milch mehr ergeben.
Die Bauersleute und Oma Tuta haben es dabei gelassen, dass ich die Geschichte so sah und nicht anders. Sie hatten noch den unsagbar wichtigen Sinn für Heimlichkeiten, der inzwischen vielen Leuten verloren gegangen ist. Schade drum! Zweimal schade, wenn man selbst einmal erlebt hat, was für ein zusätzliches Geschenk sie sind. Die Heimlichkeiten. Und jeden künftigen Tag war etwas mehr von dem Heu verschwunden, aber ein voller Becher Milch stand auf dem Frühstückstisch, bis wir Schneiderende verließen und nach Königsberg zurück fuhren. Aber so schlimm es später auch immer wurde, Oma Tuta hat die Heimlichkeiten stets aufs Neue belebt
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