Selbsttötung

Hat man das Recht auf Herbeiführung des eigenen Todes ?

`Ja, ́ sagen die Einen; `Nein ́ wiederum Andere. Die Gründe für die gegensätzlichen Ansichten mögen vielfältigster Natur sein; doch sind es Gründe, welche man unter allen Umständen ernst nehmen und respektieren sollte.

Dass jemals eine endgültige und verbindliche Antwort gegeben werden kann, wage ich zu bezweifeln....

Die nachfolgende Geschichte ist zwar in allen Einzelheiten frei erfunden - könnte sich jedoch durchaus jederzeit und überall so ereignen....

Helga Breitner war die Tochter des angesehenen Architekten Eberhard Breitner und Dessen Gemahlin Gerlinde, - geborene Schuhmacher.

Aus gutem Hause stammend, absolvierte Helga – wohlerzogen und lernfreudig – die Mittleren und Höheren Schulen; schloss ihr Universitätsstudium mit Bravour ab, um anschließend in einem Unternehmen ihrer Heimatstadt eine Beschäftigung als Biochemikerin anzutreten.

Hans Baumgartner arbeitete bereits seit vier Jahren im gleichen Unternehmen. – Ihm gefiel die neu hinzu gekommene Helga und er begann, Diese zu umwerben. Helga, immer freundlich, höflich, zuvorkommend und zugleich arglos, erkannte nicht den Frauenheld in dem selbstbewussten, adretten Schönling und verliebte sich in ihn.

Hans sprach von Verlobung, Heirat und einer sonnigen, gemeinsamen Zukunft und die ehrliche, offene Helga wollte diesen seinen Worten nur zu gerne glauben. Bis dahin ohne jegliche Erfahrung mit dem männlichen Geschlecht, gewährte sie ihrem zukünftigen Verlobten und Ehemann die erste Liebesnacht.

Dieser folgten noch zwei oder drei weitere; danach verlor Hans Baumgartner das Interesse an seiner neuen Errungenschaft und er wandte sich neuen Eroberungen zu....

Helga, zutiefst verzweifelt und verletzt, musste zu allem Überfluss feststellen, dass das nächtliche Zusammensein mit jenem Gewissenlosen nicht ohne Folgen geblieben war.

Zur Verzweiflung gesellte sich die Scham, so dass Helga bald kaum mehr in der Lage war, einen klaren Gedanken fassen zu können.

Die Sechziger waren längst vorüber und eine unverheiratete Mutter beileibe keine Seltenheit oder gar ein Stein des Anstoßes mehr; doch im Kopfe der armen jungen Frau mochte sich Ungeahntes abspielen. –

Fest steht, dass Helga Breitner am 9. März 2004 um 2 Uhr dreißig nachts auf den Zuggleisen wenige Kilometer außerhalb der Stadt stand, wo sie vom heranbrausenden ICE erfasst und getötet wurde.....

- - Arnold Hermann, 42 Jahre, war Zugführer aus Leidenschaft bis zu jener schrecklichen Nacht im März 2004. –

....Des kleinen Arnold Lieblingsspielzeug war eine Modelleisenbahn, welche er auch in späteren Jahren keineswegs in Vergessenheit geraten lassen wollte; sondern diese ständig vergrößerte und die Anlage ausbaute, wobei ihn der Vater tat– und finanzkräftig unterstützte.

- Selbst Eisenbahner, teilte Dieser die Begeisterung des Sohnes für alles, was mit der Eisenbahn auch nur im Entferntesten zu tun hatte. – Der Junge besaß Uniformjacken, Mützen, Kellen, Trillerpfeifen und was noch so zu den Utensilien der früheren Eisenbahn gehören mochte.

Der Fernseher war das Stiefkind in der Familie, denn auch die Mutter zog es vor, sich in ein Buch zu vertiefen, während Papa und Sohn die Weichen stellten, Signale gaben oder wieder einmal dabei waren, den Schatz der Familie auszubauen und zu vergrößern.

Arnold Hermann trat, mit Hilfe des Vaters, nach Beendigung der Schule seine Arbeit als Eisenbahnerlehrling an und, fleißig und gelehrsam, saß er nach einigen Jahren zum ersten mal im Führerstand einer Lok.

Man lernte den jungen Arnold als gewissenhaften Zugführer kennen, welcher es niemals versäumte, trotz bereits stattgefundener Kontrollen, alles selbst noch einmal in Augenschein zu nehmen. –

Seine berufliche Karriere war geprägt von Schulungen und Fortbildung neben seiner gewohnten Arbeit, so dass er stets Schritt mit den Neuerungen im technischen Bereich hielt.

Mehrere Auszeichnungen erhielt Arnold Hermann im Laufe der Jahre für seine Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit im Dienst.

Dann der schreckliche 9. März: - Arnold, pünktlich wie stets, gewahrte die etwa einhundertfünfzig Meter entfernte Gestalt, welche die Gleise betrat – und mit ausgebreiteten Armen stehenblieb.

Signal ertönen lassen und Notbremsung einleiten, war Eines ; doch der Zugführer wusste, dass es sinnlos war ...!

Eine junge Frau, - mit krampfhaft geschlossenen Augen und angstvoll verzerrter Miene, erwartete ihren Tod ...!

Dann dieses so schreckliche Geräusch...., - ein Geräusch, welches den Zugführer fortan nicht wieder loslassen sollte....

Arnold erwachte im Spital – und wusste sofort, was geschehen war; kein gnädiges Vergessen, - wenn auch nur für kurze Zeit....

- Es folgten Beurlaubung und therapeutische Behandlung, doch Arnold, längst verheiratet und Vater zweier Kinder, wusste: Nie wieder würde er den Führerstand einer Lok betreten.

- `Eine Frage der Zeit, ́ hämmerten die Worte des Therapeuten in seinem Kopf; - `eine Frage der

Zeit. ́ -

- - Die Modelleisenbahn war abgebaut und eingemottet. Arnold mied Bahnhöfe und Gleisanlagen, doch jenes schreckliche Geräusch verfolgte ihn bei Tag und in der Nacht.

Sechs Monate nach diesem schrecklichen Ereignis verließ Arnold Hermann seine Familie und nahm eine kleine Wohnung zur Miete. – Nicht länger wollte er die Familie mit seinen nächtlichen Schreien stören....

Weiterhin erwachte er des Nachts schweißgebadet durch jenes furchtbare Geräusch, von dem er wusste, dass es sich doch lediglich in seinem Kopf befand. – Festgefrorene Erinnerung..!

- - Vier Monate lebte Arnold zurückgezogen in seiner engen Dachwohnung, ohne dass auch nur ein einziger Tag ihm die Gnade erwiesen hätte, ihn jenes Geräusch nicht mehr hören zu lassen. - -

- Am frühen Abend des 24. Dezember ging Arnold Hermann in den nahen Wald – und erhängte sich in der herrschenden Eiseskälte mit einem mitgebrachten Strick an einem Baum.

Zu seinen Füßen fand man ein mit einem Stein beschwertes Stück Papier, auf welches nur drei Worte gekritzelt waren:

`Dieses schreckliche Geräusch....

BMG

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Kommentare

  1. Die Geschichte ist erfunden, doch in all ihrer Tragik könnte sie sich ereignet haben. Das schreibst du auch. Wie viele Lokführer haben genau vor dieser Situation Angst. Wie viele haben das erlebt, sind z.T. nicht mehr arbeitsfähig. - Recht auf Selbsttötung ? Diese Frage wird immer wieder mal auch öffentlich diskutiert. Das will und werde ich keinesfalls werten. - Was ich aber kennen gelernt habe, das ist die "andere Seite", die Situation von Hinterbliebenen. Über einen längeren Zeitraum habe ich z.B. versucht, eine Mutter professionell zu "begleiten", nachdem sich die bildhübsche Tochter im Alter von 16 Jahren erhängt hat. Bewusst schreibe ich "versucht", denn der Schmerz und die Schuldgefühle der Hinterbliebenen verblassen zwar irgendwann. Doch sie werden bis ans Lebensende die Hinterbliebenen begleiten. Die Zeit heilt alle Wunden, das ist aus Erkenntnis der Traumaforschung falsch. Betroffene lernen mit der Zeit, anders mit dem Geschehen umzugehen. Doch auch da ist z.B. eine gute Resilienz ( Widerstandskraft ) notwendig. - Ein weites Feld...

      1. @BMichaelGrosch Bin nicht mehr sicher, ob du angezeigt bekommst, wenn ich dich nicht, wie es jetzt "notwendig" ist, anspreche. Was mich betrifft, ich habe rein zufällig entdeckt, dass du auf meinen Kommentar geantwortet hast.
        Es ist viele Jahre her, da fuhr ich zweimal im Jahr von Bayern nach Basel zur Fortbildung. Gezählt habe ich es natürlich nicht, doch mindestens auf jeder zweiten Fahrt kam ich mit großer Verspätung in Basel an. - Wie kam das ? Auf der Strecke kam es jeweils zum plötzlichen Stop wegen eines "Personenschadens" ...Bis die Fahrt dann weiter gehen konnte, das dauerte. Der Lokführer musste ausgetauscht werden, ihn und die Männer vor Ort, die den "Personenschaden" beseitigen mussten, habe ich jedes mal von Herzen bedauert. Vor allem galt mein Mitgefühl der unbekannten Person, die für sich keinen anderen Ausweg sah. Gruß von happyday

        1. Ging mir jetzt ebenso mit der Benachrichtigung - bekam eine Mail, doch hier nichts. Ist wohl öfter so hier. In Bayern lebe ich jetzt erst seit 2013, kann also über diese Sache nichts sagen.
          Hab einen schönen Tag

          1. Mit Bayern hatten die sich wiederholende "Stops" des ICE auch nichts zu tun. Das passierte jeweils hinter Freiburg. Meiner Kollegin in Basel war das bekannt, allerdings auch nicht, warum jeweils nach Freiburg Lebensmüde sich aufs Gleis stellten... Für mich war das eine Zeit, in der ich noch kein Mobilphon hatte. Und jedes mal war es die Überraschung, werde ich in Basel am Bahnhof erwartet oder nicht... Das ist schon einige Jahre her, 2009 bin ich von Unterfranken nach Elbflorenz gezogen. - Einen gemütlichen Abend wünsche ich . LG happyday

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