Jung sein ist keine Frage des Alters? Gedanken zum Älterwerden - zur Lebensfreude und zum Lebensglück

Ich möchte mich heute sichtbar zu machen in einem mir wesentlichen Thema, das mich schon länger bewegt und das für mich so viele Facetten hat, dass ich mich gerade frage, wie kann ich mich in EINEM Post möglichst umfassend dazu äussern? Vermutlich gar nicht umfassend, sondern einfach mal mit dem, was mich gerade dazu bewegt.

Also los:

In diesem Jahr werde ich 64 Jahre alt. Oder eher jung? Ich könnte ja sagen: Eigentlich ist die 64 ja auch nur eine Zahl wie alle anderen auch – und es gibt ja auch den Spruch: jung sein ist keine Frage des Alters.

Und doch merke ich, dass mich das Thema Älterwerden immer mehr und auf verschiedene Weise beschäftigt. Mich als Mensch im Allgemeinen. Und nochmal mehr im Speziellen in meinem Dasein als Frau.

Das Thema hat sich langsam in mein Leben eingeschlichen. Da ich keine Kinder habe, gab es keine Zäsuren durch Lebensstationen der Kinder in meinem Leben und ich fühlte mich eigentlich, nach der Trennung von meinem Mann vor einigen Jahren und dem Umzug vom 12-jährigen Leben auf dem Dorf zurück in die Stadt, wieder mehr und mehr lebendig, tauchte ein in neue Lebenswelten und probierte und probiere immer noch vieles aus: wie z.B. Tanztheater und Tango, verschiedene Formen der Körperselbsterfahrung, Massagen, habe jetzt erst eine neue Stelle als Psychoonkologin angefangen - bis hin zu meiner Vision, wieder als Kunsttherapeutin und zusätzlich als Coachin aktiv zu werden und – mein grosses Herzensziel, das sich zur Zeit immer mehr herauskristallisiert: meiner Sehnsucht noch mehr zu folgen, dem, was in mir ist, gestalterisch oder spielerisch Raum zu geben, sei es in Musik, Tanzen, Malen oder auch im Schreiben.

So war mein Lebensgefühl bis vor einiger Zeit eher geprägt von Neugierde, wachem Staunen, Aufnehmen und Ausprobieren neuer Möglichkeiten. Ich fühlte mich ziemlich jung und wach - und machte mir irgendwie nicht so wirklich Gedanken über mein Alter. Bis ich immer mal wieder darauf aufmerksam gemacht wurde, so z.B. vor 2 Jahren bei einem Körperselbsterfahrungs-Workshop in England, als eine Teilnehmerin sagte, sie wolle mit mir keine Übung machen, weil ich sie an ihre Mutter erinnere. Schluck. Das sass. Und auch die männlichen jüngeren Teilnehmer die Übungen lieber mit jüngeren Frauen machten. Diese Erlebnisse machten mir bewusst, dass ich mich zwar jung fühlen kann, es aber für andere nicht unbedingt bin.

Seither merke ich es immer öfter und an verschiedenen Stellen – und vor allem auch in mir.

Wie merke ich es in der Gesellschaft? Was ich hier angeboten bekomme, macht mich oft wütend. Den Begriff Seniorin, den ich absolut nicht auf mich beziehen kann und möchte, finde ich grauenvoll!! Er signalisiert mir: Schau, du bist nun alt. Nicht mehr jung. Nicht mehr im Aufbruch. Du bist nicht mehr wirklich ein Teil der lebendigen Gesellschaft, es geht nicht mehr wirklich um deine Träume oder darum, etwas ins Leben zu bringen und zu wachsen. Lass den Jungen den Platz in der Welt und ziehe dich zurück!

In den Ruhestand! Ja, ja, du darfst dein Leben schon noch geniessen und dies und das NOCH tun (ich erlebe dieses NOCH dann aber nicht als eine Einladung, nun erst richtig loszulegen und ENDLICH!! all die Träume zu leben, für die bisher keine Zeit war und sich vielleicht nochmal völlig neu ins Leben zu verschenken, sondern eher als eine Aufforderung, sich zur Ruhe zu setzen, vielleicht noch ein bisschen zu reisen oder im Ehrenamt zu wirken, um sich nicht ganz unnütz zu fühlen - und so irgendwie die Zeitspanne zu überbrücken, bis es nicht mehr geht – weil man entweder körperlich oder geistig nicht mehr fähig bist oder ganz simpel tot. – Also ins Altenteil zu gehen und aufs Ende hin zu leben, und sich bei neuen Aktivitäten eigentlich immer zu fragen: lohnt sich dies oder jenes NOCH?)

Und nicht mehr sich zu fragen, was will ich eigentlich im Leben? Wie will ich leben? Wie will ich wachsen und mit wem und in welcher Weise? Etc.

Und wie merke ich es in mir?

Seitdem ich meinen Exmann vor drei Jahren ins Sterben begleitet habe, ist mir nochmal viel mehr bewusst geworden, dass es ums LEBEN geht. Jetzt! Möglichst erfüllt! Der Freude zu folgen! Jeden Tag! Und das ist meine Sehnsucht! Da fühle ich mich absolut jung – und auch wieder nicht, weil ich ja mittlerweile auch selber merke, dass sich manche Endlichkeitsgedanken einstellen – und auch ich mich bei manchen Themen frage, was davon wirklich NOCH möglich ist, bzw. ich den Fokus anders setze und mich frage, was ich WIRKLICH will. So gesehen findet bei mir durch das Älterwerden immer mehr auch eine Fokussierung auf das Wesentliche statt. Irgendwie ist es für mich nicht mehr so einfach, so zu tun, als hätte ich noch ewig Zeit!!

Und so sind die Fragen: was will ich wirklich in meinem Leben? Was will ich (noch? Oder überhaupt endlich?) leben? Was für Wünsche möchte ich mir erfüllen?

gerade sehr intensiv und öfter auch schmerzlich in mir zugange.

Schmerzlich, weil ich merke, dass es mir zwar wichtig ist, erfüllend wirksam zu sein und doch nicht mehr wirklich wichtig ist, mir eine BERUFLICHE Perspektive oder Karriere aufzubauen oder im Sinne des äusseren Erfolges erfolgreich zu sein. Ich möchte mich am liebsten in das Leben verschenken in vielfältiger Weise, mit meinem Wesen und all meinen Erfahrungen und meiner Lebensweisheit - und meiner inneren Spur folgen, wohin auch immer sie mich führt. Und das am liebsten, ohne dabei ans Geldverdienen denken zu müssen.

Was mir leider nicht ganz möglich sein wird, da ich – solange es mir irgend möglich ist, arbeiten müssen werde, da ich nicht genug Rente bekommen werde, um ein gutes Leben zu führen.

Und schmerzlich auch in Bezug auf meinen tiefen Wunsch nach einer erfüllenden Liebesbeziehung. Es fällt mir nicht leicht, mich von den alten Bildern der älter werdenden Frau, mit denen ja auch ich gross geworden und auch heute umgeben bin, zu lösen und mich so wie ich bin, auch äusserlich - mit jeder Falte und jedem grauen Haar - schön und attraktiv zu finden.

Öfter gelingt es mir, jede Falte in meinem Gesicht zu feiern, weil jede von ihnen ja ein Zeichen gelebten Lebens ist und ich finde mich wunderschön, attraktiv und lebendig und liebe das Strahlen meiner Augen– und manchmal, wenn ich mich müde fühle oder mich gerade selbst nicht so mag, fällt es mir auch schwer, anzunehmen, dass ich nicht mehr so jung und knackig bin und daran zu glauben, dass alles möglich ist und mein König und ich uns begegnen werden. Und ich merke, dass ich dann dem Äusseren einen grossen Stellenwert gebe – fast so, als sei das mehr und wichtiger, als all das, was ich in meinem Wesen und aus meinem gelebten Leben an Weisheit, Liebe und Erfahrung mitbringe.

Und ich bin dann ein wenig neidisch auf Männer in meinem Alter, da ich den Eindruck habe, dass es für sie auch heute immer noch einfacher ist, älter zu werden, und dass die patriarchale Sichtweise - Männer werden reifer, Frauen werden älter – halt doch schon noch weit verbreitet ist, bzw. es immer noch „normaler“ ist, wenn ein Mann meines Alters sich mit einer (durchaus auch wesentlich) jüngeren Frau verbindet, als anders heraum.

Soweit einmal meine - eher unvollständigen – Gedanken. Ich danke euch fürs Lesen und würde mich  auf einen Austausch freuen – Wie geht es euch?. Wie seht ihr dies?

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Kommentare

  1. Vielen Dank für diesem reflektierten, ehrlichen und sensiblen Artikel. Du spricht verschiedene Perspektiven des Älterwerdens an, die alle für sich allein genommen, diskussionswürdig sind.
    Besonders interessant finde ich den Aspekt bzw. die Diskrepanz der Selbstwahrnehmung und der Wahrnehmung von aussen.
    LG
    Seestern47

    1. Liebe*r Seestern47

      Vielen Dank für diesen schönen und differenzierten Kommentar und sorry, dass ich erst so spät darauf antworte. Ich war in den letzten Wochen sehr viel beschäftigt und habe nicht die Zeit gefunden, hier hereinzuschauen. Und mich umsomehr über Deine / Ihre Resonanz gefreut.

      Mich interessiert, wie Du / Sie diese Diskrepanz der Selbst- und Aussenwahrnehmung erlebst.

      Herzliche Grüsse
      Lucia

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