Der Nagel

Der Nagel (Fluse)

Schon seit Wochen steht das Ölgemälde einer Berglandschaft angelehnt an der Zimmerwand und wartet auf den besagten Nagel, der es endlich an der Wand befestigen soll. Heute sollte es sein, denn selbst ist die Frau. Soweit meine Theorie. Doch ganz so einfach wie gedacht gestaltete sich diese Aufgabe nun doch nicht. Ein Bilderhaken mit drei Löchern und sehr dünnen Stahlnägeln war vorhanden, das sah schon mal ganz gut aus. Und nachdem auch der Hammer gefunden war, steht meinem Schaffensdrang nichts mehr im Weg. Noch mal tief Luft holen, dann konnte ich loslegen. Doch halt - ich musste ja erst den genauen Punkt für den Haken festlegen.

Mit Zollstock die Höhe der Befestigung ausgemessen und genaue Markierung gemerkt. Nägel im Mundwinkel und Haken in der Hand. Wo ist der Hammer? Der lag auf dem Teppichboden und ruhte sich aus. Keine Panik, nur bücken und Hammer aufheben, ohne den Messpunkt aus den Augen zu verlieren. Die Hand paddelte frei in der Luft rum, ohne den Hammer zu erreichen. Die Arme waren einfach zu kurz. So ein Mist. Dann kam mir die zündende Idee: Markierungspunkt im Gedächtnis abspeichern, Hammer aufheben und dann zuschlagen. Der Hammer sauste durch die Luft, der Nagel und Bilderhaken fiel zu Boden. Aber mein Daumen, der wurde fett getroffen.

Daumen erst mal unter kaltem Wasser gekühlt. "Reine Startschwierigkeit am frühen Morgen", dachte ich so bei mir. Denken ist so eine Sache, erleben eine andere. Also Befestigungspunkt erneut ausgemessen und die Stelle mit einem Filzstift markiert. Super, zwei der Stahlstifte brachen bei der Berührung mit dem Hammer sofort ab. Logisch, sie waren ja auch nicht viel dicker wie Stecknadeln. Der dritte Nagel wollte die Last der Verantwortung auf Dauer auch nicht alleine tragen, er gab nach wenigen Minuten den Geist auf und gesellte sich zu seinen Artgenossen. Folglich polterte das Bild mit Getöse in Richtung Fußboden. Ich stellte es wieder zurück zum alten Stammplatz.

Dumm nur, man gewöhnt sich mit der Zeit all zu leicht, an so frei abgestellte Gegenstände in Zimmerecken und findet alles halb so schlimm. Um am Bild Staub zu entfernen, war der Standort sogar günstig, ich brauchte mich nicht recken. Nur bei der Fußbodenreinigung war es allerdings nervig. Ein solider dicker Nagel musste her. Also zum Baumarkt und ein Nagelsortiment gekauft. Laut Verpackungsaufdruck: "Drahtstifte für jegliche Gelegenheit und Zweck". Offensichtlich kam meine Anfrage, über diverse Befestigung eines Bildes bei der Verkäuferin, etwas komisch rüber. Sie erklärte, mit Blick auf meinen arg lädierten Daumen: "Die Spitze vom Nagel muss immer zur betreffenden Wand zeigen." Danke blöde Zicke - verarschen kann ich mich selber!

So ein Nagel ist an sich ein simples Drahtstück, vorne schlecht angespitzt und hinten etwas dicker gestaucht. Ich nahm einen Nagel zwischen Daumen und Zeigefinger und versuchte erneut, diesen mit kräftigen Hammerschlägen, in die Wand zu treiben. Wieder Daumen getroffen und dafür lag der neue Nagel krumm auf dem Fußboden und grinste mich von dort blöde an. Eins ist mir bei der ganzen Prozedur klar geworden, der Fachmann würde anders zu Werke gehen. Die ausgefeilte Technik besteht wahrscheinlich darin, kurz bevor der Hammer zuschlägt, den Nagel einfach loslassen. Doch auch diese Methode ist blöde, sie schonte nur den Nagel, der fiel direkt zu Boden. Dafür meldete sich jetzt vehement mein Rücken, er war es ein für alle Mal leid, sich immer wieder nach demselben ollen Nagel zu bücken.

Das Beste wäre es natürlich, wenn rein zufällig ein Mann anwesend wäre. Man müsste ihn nur noch davon überzeugen, dass nur er alleine die fachliche Kompetenz besitzt, den Bilderhaken an der richtigen Stelle zu platzieren, damit das Bild auch perfekt zur Geltung kommt. Sollte der Mann allerdings den Dienst am Hammer verweigern, muss man sehr geschickt vorgehen; indem man ihn bittet, mit spitzen Fingern den Drahtstift an der Wand zu fixieren, damit man selbst beidhändig mit dem Hammer kräftig zuschlagen kann. Ich kann mir keinen Herrn der Schöpfung vorstellen, welcher dann nicht die Initiative ergreift oder es zumindest versucht, das Bild aufzuhängen. Aber das ist alles nur graue Theorie. Ein Mann - woher nehmen?

Doch zurück zum eigentlichen Übeltäter, der nicht so will, wie ich es gern möchte. Eine richtige Heimwerkerin werde ich wohl nie, damit hatte ich mich bereits abgefunden. Doch es musste eine logische Erklärung dafür geben, warum es bei mir nicht funktionierte? Irgendetwas machte ich falsch. Wozu hatte ich eigentlich zwei Augen, wenn ich sie nicht gezielt einsetze? Also musste sich ein Auge konstant auf den Daumen und Zeigefinger richten und das andere auf den Nagelkopf. Schwungvoll holte ich zum Schlag aus. Das Ergebnis war frappierend: Der Nagel fiel zu Boden, der Finger war blutig und an besagter Stelle fiel der Putz von der Wand. Dort klaffte stattdessen ein großes Loch. Und das Bild wartet immer noch auf seine Befestigung.

Mein Daumen war jetzt auf die doppelte Dicke angeschwollen. Das gleiche Schicksal würde wohl meinem Finger widerfahren. Alles färbte sich rot, blau und grün. Jetzt konnte ich mir schon mal Gedanken über den passenden Farbton vom Nagellack machen oder alles dick mit Leukoplast überdecken.Meine Versuche für die Bildbefestigung verlagerten sich in immer höhere Regionen zur Zimmerdecke, weil so nach und nach das Loch zu einer ansehnlichen Größe gewachsen war. Jetzt weiß ich auch, warum in einigen Wohnzimmern die Bilder so hoch hängen. Da wurde wohl auch versucht, einige Zentimeter höher, zum Erfolg zu gelangen. Denn nur so lassen sich die unzähligen Fehlversuche letztendlich kaschieren und das Bild hängt dann dicht unter der Decke.

Meine Wand sah ohne Bild inzwischen schon heftig malträtiert aus. Doch eine wichtige Regel bei mir lautet: Nicht aufgeben; auch nicht in schwierigen Fällen. Einem Nagel ist der Kampf mit der widerspenstigen Wand dann doch noch gelungen. Er hat es geschafft in eine Fuge, zwischen zwei Mauersteinen, einzudringen. Das Bild hängt jetzt zwar ganz wo anders wie ursprünglich geplant, aber immerhin es hängt. Und nachdem nun auch die Scherben meines Wirkens beseitigt waren, hatte ich reichlich Muße meine Wunden zu lecken und mein Wunderwerk zu betrachten. Schön ist was anderes, aber es war selbst von mir erschaffen. Doch sollte mal wieder jemand ein Ölgemälde im Handgepäck haben und damit bei mir aufschlagen, dem werde ich stante pede ich die Freundschaft kündigen. So erlebt und dabei schmerzhaft gelitten, Eure Fluse.

Ein Text von: Fluse

Ähnliche Beiträge

Kommentare

Verstoß melden

Schließen