Das Heilwässerchen

Das Heilwässerchen (MichaelKuss)

Oder: Der Glaube versetzt Berge. Urlaubsgeschichte von der Insel.

Auf einer spanischen Ferieninsel. Ein Radiosender für deutsche Touristen. Der Moderator verpackt gerade geschickt Fußballergebnis-se der Bundesliga zwischen Schlagergedudel und spanischen Ausflugstipps. Da klingelt das Hörertelefon. Der Moderator schaltet auf Sendung. Einige zehntausend deutsche Touristen hören zu."Moin, moin!" Eine polternde Männerstimme am anderen Ende der Leitung lässt die Frequenzen vibrieren. "Hören Sie mal, junger Mann vom Radio: Hier spricht der Kegelklub Alle Neune aus Gelsenkirchen! Wir sitzen hier beim Frühstück im Hotel gerade so gemütlich zusammen und diskutieren über ein ernsthaftes Problem.""Interessant!" unterbricht der Moderator. "Wie können wir Ihnen dabei helfen ...?"

"Also", sagt der Mann, "Das will ich Ihnen erklären. Wir haben doch gestern oben in den Bergen ein Dorf entdeckt, dort stehen die Einheimischen in langer Warteschlange geduldig an einem Brunnen und füllen sich diese Fünfliter-Plastikkanister mit Wasser ab, mit so einer andächtigen Miene standen die da geduldig wie in der Kirche, - und deshalb dachten wir, also wir waren uns eigentlich einig, das muss sich doch bestimmt um ein besonderes Wässerchen handeln, vielleicht um eine Heilquelle, also um Wasser mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, denn für was sonst sollten die Dorfbewohner dort Schlange stehen, als für ein gesundes Quellwässerchen, das Heilung und Wohlbefinden verschafft.?!"

Der Kegelbruder macht eine erwartungsvolle Pause. Der Radiomoderator überlegt. Sollte er - seiner journalistischen Sorgfaltspflicht entsprechend - den Anrufer und alle Kegel- und sonstigen Brüder aufklären und mit der Wahrheit konfrontieren? Die Wahrheit ist, dass es auf der Insel kaum noch Trinkwasser gibt, denn das bisschen Grundwasser wird in den Badewannen der Hotels und den Pools der Bungalows vergeudet. Und das Meerwasser dringt in das Grundwasser ein und lässt es salzig werden, während die Bauern in den Bergen von der Inselmafia nur limitierte Wassermengen für teures Geld zugeteilt bekommen und deshalb auf der ganzen Insel das Trinkwasser versiegt und sich die Dörfler mit Kanistern an den letzten Quellen anstellen müssen, um wenigstens ihr Vieh, die Kinder und den Haushalt mit dem letzten bisschen trinkbaren Nass zu versorgen.

Und wie erklärt sich der geduldige Gesichtsausdruck der Dörfler? Das ist Fatalismus und Resignation! Die Dörfler wissen, sie werden seit vielen Jahren veräppelt und ausgenommen wie die Hühnchen und es ändert sich nichts, denn sie sind machtlos gegen die Inselmafia.

Aber den Moderator plagte weder das journalistische Gewissen, noch die Wahrheit, sondern einzig die Höhe der Einschaltquoten und die Anzahl der Werbespots bei seinem Radiosender. Außerdem ist der Kunde König und der Urlauber hat immer Recht.

Denn wie oft hört man von Wallfahrtsorten, die erst aus dem Rinnsal eines trägen Bächleins oder ein paar Tropfen auf Felsgestein bestanden, und plötzlich durch wunder-same Erkenntnis zum Heiligtum und Pilgerort geworden waren.

Darum sagte der Radiomoderator "Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen! Eigentlich ist es ja ein Geheimnis, aber wir wollen es jetzt lüften, das Geheimnis: Dieses heilige Wasser dort oben in der Dorfquelle hat die Kraft, Gischt und Rheuma, Arthrose und viele andere Zipperlein zu heilen. Es hilft auch gegen Impotenz und gegen Kinderlosigkeit.!"

Am anderen Ende der Leitung herrschte aufmerksames Schweigen und der Moderator fuhr fort: "Am besten, Sie mieten sich bei der Autovermietung ´Germancar´ ein Auto, bewaffnen sich mit vielen Plastikkanistern und begeben sich in das Bergdorf zu der Quelle mit dem wundersamen Heilwässerchen, um es abzufüllen und zu Hause zu genießen!"

Da die Autovermietung ´Germancar´ zu den Werbekunden des Radiosenders gehörte, rief der Moderator sofort dort an und vereinbarte für ihn eine prozentuale Beteiligung für jeden Mietwagen, der in den nächsten acht Tagen von Deutschen angemietet werden würde.

Auf Grund seiner Empfehlungen wurden in den folgenden Tagen tatsächlich viele, viele Autos gemietet und die Menschen machten sich ins Bergdorf auf und warteten brav an der Quelle, zapften Wasser in viele Kanister und die Dörfler wunderten sich und dachten, jetzt sind die Touristen also völlig übergeschnappt.

Nach einigen Wochen bekam der Radiomoderator ein Paket aus Gelsenkirchen; darin einen geräucherten westfälischen Schinken und eine Flasche Korn und in dem beiliegenden Brief schrieb der Vorsit-zende des Kegelklubs:

"Lieber Freund! Wir möchten uns ganz herzlich für Ihre guten und brauchbaren Ausflugstipps während unseres Urlaubs und besonders für den Tipp mit der Heilquelle bedanken. Wir haben fünf Kanister abgefüllt und mit zurück nach Deutschland genommen, und die ganze Familie trinkt regelmäßig vor jeder Mahlzeit ein Glas dieses Wundermittels und ich und meine Frau haben kein Rheuma und keine Kopfschmerzen mehr, sexuell klappt es auch wieder bei mir, meine Frau ist sogar schwanger geworden und überhaupt geht es unserer Gesundheit jetzt glänzend und deshalb möchten wir Ihnen einen Geschäftsvorschlag unterbreiten: Wir eröffnen ein Importgeschäft und werden Ihr Heilwasser in ganz Deutschland oder sogar weltweit vermarkten, damit alle Menschen in den Genuss dieses spanischen Wunderwassers kommen. Ist das nicht eine geniale Geschäftsidee? Bitte teilen Sie uns doch Näheres über eine Zusammenarbeit und die Lizenzbedingungen mit..."

Ein Text von: MichaelKuss

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