Annemarie, Babette, Christiane und Elvira
Annemarie, Babette, Christiane und Elvira (Julo)
Annemarie, Babette, Christiane, Dorothea und Elvira, das waren die Namen der fünf Damen, die mir die Kindheit unnötig erschwert haben. Alle nicht mehr ganz jung, die Haare schneeweiß und ein gewaltiges Goderl am Hals.Das waren zu Lebzeiten unsere Eierlieferanten und nach ihrem Ableben die Ingredienzien für Hühnersuppe mit Suppennudeln.
Die traurige Geschichte meiner Kindheit spielte auf dem Lande, genauer gesagt in meinem Elternhaus, und noch genauer gesagt, im Hof desselben.Es war Sommer, wohlgemerkt Sommer, wie ihn die Jungen gar nicht kennen: tagsüber heiß, nächtens gewittrig mit ergiebigem Regen, und am nächsten Morgen angenehm kühl. Im Verlauf des darauf folgenden Tages wieder heiß, Badewetter-heiß; eben Sommer.Meine Mutter ging früh morgens aus dem Haus um in der nahe gelegenen Fabrik unseren Unterhalt zu verdienen. Meine Aufgabe war es die 5 Damen zu füttern und zu mit Wasser zu versorgen. Und der allerwichtigste Teil meiner Aufgabe bestand darin, so gegen 18:00 Uhr die weißhaarigen Biester in den Stall zu bugsieren. Alles kein Problem, wäre nicht Sommer gewesen, wäre in der Nähe nicht der Fluss gewesen, der zum Baden einlud, und wären nicht Schulferien gewesen. Ein heranwachsender Zehnjähriger kann nun einmal nicht das nötige Verständnis dafür aufbringen, dass er um 17:00 Uhr das Badevergnügen beenden soll, obwohl seine Lippen vom vielen Inswassergehen noch gar nicht richtig blau waren. Und der zehn Jahre ältere Bruder war keine Hilfe für mich; der ging in jenen Tagen in eine Dachdeckerlehre. Nun ja, bis jetzt war ja noch alles glatt gegangen. Immer wenn die Glocke der Kirchturmuhr am Nachmittag 5 Mal geschlagen hatte, bin ich im gestreckten Galopp nach Hause geeilt und habe mich dem immer gleich währenden Prozedere hingegeben:   
Mit einer langen Bohnenstange das malefitzte Federvieh vom Kirschenbaum herunter treiben, auf welchem sie regelmäßig saßen, und dann hurtig ab in den Stall. 
Es war jedes Mal ein Rennen gegen die Zeit. Die Mutter konnte jeden Augenblick mit ihrem Fahrrad um die Ecke biegen, und das hätte fatale Folgen für mich. Was meine wenigen Pflichten betraf, so verstand die Mutter keinen Spaß. Sie war die wunderbarste Mutter, die man sich vorstellen kann; aber "Dienst war Dienst.."Heute sollte es passieren. Ich hatte mein Badevergnügen um eine Viertelstunde überzogen, und die fehlte mir jetzt. Und ausgerechnet heute waren die 5 Damen unwillig, wie noch nie. Babette flog vom Ast des Kirschbaums über den Zaun, der den Hof begrenzte, hinaus auf die Straße. Es war zwar nur eine Sackgasse mit minimalem Verkehr, aber das half mir jetzt auch nicht weiter. Die Nachbarin, eine Schulkameradin der Mutter, die mein alltägliches Treiben mit großem Vergnügen täglich beobachtete, wollte mir noch helfen, aber es war schon zu spät. In diesem Augenblick bog die Mutter mit ihrem Fahrrad um die Ecke und wurde Zeuge meiner Verzweiflungstat. Sie stieg wortlos vom Rad und half Babette einzufangen. Ihre Mine verriet nichts Gutes und mir war nicht gerade wohl.  
Welche Strafe mein Missverhalten nach sich zog, weiß ich heute nicht mehr. Aber ich erinnere mich noch gut an jene Sonntage, an denen Annemarie, Babette, Christiane, Dorothea und Elvira unser Sonntagsmahl bestritten. Und jeder dieser Sonntage war ein Festtag. Und als das letzte Huhn das Zeitliche gesegnet hatte, empfand ich ein ungeheures Gefühl der Freiheit. Heute verstehe ich die Mutter gleichwohl, war es doch in jenen Jahren nach dem Krieg kein Leichtes zwei Kinder satt zu kriegen und ihnen eine gute Erziehung angedeihen zu lassen. Aber sie hat es geschafft und sie hat ihre Sache gut gemacht. Danke, Mutter!  
Eine Text von: Julo
		
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