Erinnerung an (m)einen Schicksalstag vor 60 Jahren

  • Erinnerung an (m)einen Schicksalstag vor 60 Jahren

     happyday antwortete vor 1 Jahr, 6 Monate 8 Teilnehmer · 27 Beiträge
  • happyday

    Teilnehmer
    16. August 2021 um 13:33

    @Driftwood ,@Heide79 ,@Mondin ,@lachegern

    Mein großes Dankeschön von Herzen geht an dich, @Driftwood .

    Lieber Driftwood, was mir inzwischen selten passiert, hast du mit deinem offenen, ehrlichen Bericht ausgelöst: mir stockte der Atem beim Lesen.- Diese Einheit, in der du “dienen” durftest, was mir bisher unbekannt. Danke auch dafür, dass du eine meiner Bildungslücken geschlossen hast.

    Unbekannt wird es wohl auch bleiben, wie viele junge Männer an dem unmenschlichen Druck, den Schießbefehl ausführen zu müssen, zerbrochen sind, wie viele ihrem Leben ein Ende gesetzt haben, weil sie für sich keinen anderen Ausweg sahen.

    Deine Schilderung, fast schon mit “schwarzem Humor”, hat mich sehr berührt und ging mir unter die Haut.

    Komme nochmal zurück auf meinen Vater, dessen Verhalten mich in mehrfacher Hinsicht geprägt hat. Was immer passierte, er schien frei von Angst zu sein. Ein wenig von dieser “Verrücktheit”, weil Angst uns ja auch schützen soll, habe ich wohl auch.

    Nur ein Beispiel: In der 10. Klasse sollte die Jungen sich schriftlich sich freiwillig für drei Jahre Dienst bei der NVA verpflichten. Mir war das bekannt und ich sagte meinem Sohr sehr eindringlich, bitte nichts unterschreiben, weil du nicht dazu berechtigt bist, du bist nicht völljährig. – Es kam, wie es kommen musste, mein Sohn und ich wurden zum Direktor bestellt. Er erklärte mir in seinem Büro, dass er meinem Sohn die Beurteilung derartig “versauen” ( jawohl, der Ausdruck fiel ) werde, so dass er zur 11 Klasse und zum Abitur nicht zugelassen werde. Meine Frage, mit welcher Begründung, wurde dann so beantwortet: Mein Sohn habe nicht unterschreiben, damit sei er ein Gegner des Friedens ! – Meine Schnappatmung dauerte nur kurz, dann bat ich den Herrn, meinen Sohn aus dem Zimmer zu schicken. Er: warum… Ich: weil Sie nicht wollen, dass mein Sohn hört, was ich dazu sagen will. – Mein Sohn wurde aus dem Zimmer geschickt und ich begann zu pokern, dass ich alle meine Einflüsse geltend machen werde, um aufzudecken, was er für eine Erpressung betreibt. – Mein hat sein Abitur…

    Mein Vater hatte er seinen Plan, zurück nach Hamburg zu ziehen, trotz Mauer nicht aufgegeben. Als meine Mutter völlig unerwartet durch einen Ärztefehler starb, ist er völlig zusammengebrochen. Damit begann sein Weg ins “Vergessen”, die Demenz. –

    Was er mir mit seinem “dekadenten” Verhalten auch “eingebrockt” hat, erfuhr ich erst nach Mauerfall. Bevor ich eine neue Arbeitsstelle antrat, hatte “Horch und Guck”, also die Stasi schon dem jeweiligen Chef der Dienststelle einen Besuch abgestattet. – Das war dann für mich, zwar spät, eine der Erklärungen für manches Mobbing-Verhalten.

    Den Mauerfall hat mein Vater nicht erlebt. Doch er hat mir voller Überzeugung wieder und wieder fest versichert, bevor ich Rentner bin, werde ich Hamburg wieder sehen… Er hat recht behalten.

    Auch das habe ich gelernt, mich anders zu verhalten als mein Vater. Kann ich die Dinge oder Situationen nicht ändern, dann akzeptiere ich sie und versuche, damit bestmöglich zu leben. – Das konnte mein Vater leider nie.

    • Dieser Beitrag wurde vor 2 Jahren, 8 Monate von  happyday bearbeitet.
  • Hundefreund1

    Teilnehmer
    16. August 2021 um 14:40

    @Driftwood….ja, so ähnlich ging es mir auch, wie du das beschreibst…GST Grundausbildung usw…wurde später ausgemustert wg zu hohem Blutdruck…Wollte phil. studieren und wurde vom Betriebsleiter und dessen Parteisekretär gefragt ob ich dafür in die SED ginge….hatte auch gerade drei Jahre Berufsausbildung mit Abi hinter mir…Ich sagte nein, dummerweise, wie ich eben damals war, sagte ich nein, nicht in diese Partei die Verwandte nicht zu Verwandten lässt und wenn diese es versuchen in den Rücken schiesst…Ich hatte ja meine Patentante in Kiel ua und wollte immer mal hin, weil ich als Kind dort immer war in den Ferien. Dieses nein war mein aus, durfte aber erst mal Kraftwerkstechnik usw in Glauchau studieren, später dann noch in Magdeburg an der Otto von Guericke mein Diplom und an der Uni in DD mein zweites machen für TGA usw. Als ich später promovieren wollte, nein, sie nicht. Von diesem nein an wurde ich als Staatsgegner geführt und überall von der Stasi beobachtet und auch verfolgt. Es gab einige Schlägereien mit ihnen, die ich einmal nur knapp überlebte, weil Freunde vorbeikamen und mir halfen, war ja im Ringer und Juodokaverein, die kamen und halfen mir…es hatte Gottseidank keine weiteren Konsequenzen…Trotzdem habe ich auch weiter meine Meinung gesagt, aber abgeschwächter….Lange Geschichte, dann kam aber bald die Wende und als erstes besuchte ich Freunde un Bremen usw, die vorher schon abgehauen waren, wie auch immer, einige schafften es halt doch ab und an. Mein bester Freund war Ddr Judokameister, er war Arzt in einem Klinik, stellte Antrag auf Ausreise wurde dann zum Pfleger degradiert, durfte aber ausreisen mit Kindern und Frau, hat heute eine eigene Klinik in München. Das Gute dann später war, ich konnte dann mein eigenes Ingbüro aufmachen, plante Heizkraftwerke, Hotels, Alten und Pflegeheime und zum Schluss bis zu meinem Unfall 2010 nur noch Krankenhäuser, was mich sehr erfüllte. Mein Spezialgebiet waren zum Schluss Operationssääle und die hesamte Technik dort bis hin zum MRT….

    Für ein paar Jahre hat es es sich dann doch noch zum guten geändert….Bin beileibe nicht mit allem einverstanden, aber jeder konnte das tun, was er wollte, wenn er es denn wollte…c’est la vie…..

    • Dieser Beitrag wurde vor 2 Jahren, 8 Monate von  Hundefreund1 bearbeitet.
  • Driftwood

    Teilnehmer
    16. August 2021 um 14:53

    @Hundefreund1 , vielen Dank auch dir, S. für einen Beitrag und die offenen Gedanken zur eigenen Geschichte aus dieser Zeit. So gab es doch, und das habe ich schon öfter erfahren, ähnliche Wege in den Jahren vor dem Mauerfall. Sei es die Ausbildung oder das Thema Verwandte bis hin zur Freizeit und dem Sport. Es zeigt aber auch, wie streng und beinahe lückenlos dieses System funktionierte. Für manche besser und für einige, die Widerstand aufbrachten, nicht so gut. Auch ich habe ein- oder zweimal das Angebot zum Beitritt in die Partei dankend abgelehnt. Mein Opa verließ diese irgendwann kurz nach Eintritt ins Rentenalter – er war der Meinung, dies wäre nicht mehr die Partei, für die es sich einmal lohnte. Mein Vater war irgendwann nur noch zahlendes Mitglied. Mir hat der Nichtbeitritt kaum oder keine Nachteile gebracht – zum Glück. Doch es gibt andere Fälle und nicht zu knapp. Viele Grüße, Driftwood

  • happyday

    Teilnehmer
    16. August 2021 um 17:23

    @Hundefreund1

    Auch ich bedanke mich bei dir, lieber Hundefreund, für deinen offenen Beitrag.

    Vermutlich erinnert ihr euch, @Driftwood und @Hundefreund1 , es gab Studienrichtungen, da ging kein Weg vorbei am Parteibeitritt.

    Das hatte ich in keinster Weise bedacht, als ich zu Hause meinen Studienwunsch, ermuntert von meinem Deutschlehrer, mitteilte. Studieren wollte ich Literaturwissenschaft und Sprachen, und mein größter Wunsch war es, Auslandskorrespondentin zu werden.

    Der Wutausbruch meines Vaters folgte auf dem Fuß…Als er sich wieder beruhigt hatte, machte er mir klar, dass ich da “beweisen” muss, “linentreu” zu sein. – Bekannt war mir, dass Studiengänge wie Pharmazie und Medizin weitestgehend vom Zwang, in die Partei einzutreten, verschont blieben. So hat vermutlich, so wie auch ich, mancher einen dieser Studiengänge gewählt. Voraussetzung war natürlich auch damals der numerus clausus.

    – Auch ich wurde mehrfach “aufgefordert”, in die Partei einzutreten, erfolglos für den “Werber”. Auch für “die Langohren” wollten sie mich mehrfach anwerben, war da doch mein Vater, der regelmäßig nach Hamburg fuhr. Doch keine Chance. Dann wurde mir jedes Mal erklärt, so hätte ich keine Chancen, Karriere zu machen. Das hatte ich auch nie vor…

    • Dieser Beitrag wurde vor 2 Jahren, 8 Monate von  happyday bearbeitet.
  • Heide79

    Teilnehmer
    16. August 2021 um 19:02

    Liebe @happyday lieber @Driftwood , lieber @Hundefreund1 , danke für Eure offenen und berührenden Schilderungen Eurer Vergangenheit, die für mich fast unglaublich wirkten. Zwar habe ich Bücher und Berichte gelesen, Filme gesehen, weiß auch einiges aus der Familie meines Mannes, aber das von direkt Betroffenen so zu hören ist nochmals viel eindringlicher. Ich bin froh, dass Ihr es alle geschafft habt, Euer Leben selbstbestimmt weiterzuführen. Vielleicht ist es gut, sich manchmal zu erinnern, auch für uns, die wir auf der anderen Seite gelebt haben. So manches Mißverständnis könnten wir uns ersparen.

    LG Heide

  • Wattfrau

    Teilnehmer
    16. August 2021 um 19:54

    Schön, happyday, dass du diesen Thread eröffnet hast. Ich danke dir und den Mitschreibern für

    die Schilderung eurer Erlebnisse in der DDR. Eure interessanten Beiträge haben mich sehr bewegt.

  • happyday

    Teilnehmer
    16. August 2021 um 20:12

    @Heide79

    Danke dir, liebe Heide79, für deinen mitfühlenden Beitrag, besonders für diesen Satz, dem ich (m)einen Satz voranstellen möchte: Wenn wir es lernen, uns endlich gegenseitig wirklich zu zuhören, dann…:So manches Mißverständnis könnten wir uns ersparen.” LG happyday

  • happyday

    Teilnehmer
    16. August 2021 um 20:21

    @Ricarda01

    Danke auch an dich, liebe Ricarda01, für deinen Beitrag…

    Du beziehst dich offenbar auf den Parteibeitritt mit …”Aber: so was gab es nicht nur in der DDR, sondern in abgemildeter Form auch in der BRD.” – Für mich persönlich hinkt dieser Vergleich, den du anstellst. –

    Wenn die “Ausrede”, warum der/die Gefragte nicht in die Partei eintreten will, nicht gut gewählt war, dann konnte es auch passieren, der/die Gefragte verschwand im Gefängnis der Staatsssicherheit ohne jegliche Perspektive ! LG happyday

  • happyday

    Teilnehmer
    16. August 2021 um 20:29

    @Wattfrau

    Es freut mich, liebe Wattfrau, auch von dir einen Kommentar zu lesen. –

    Als ich die Idee zu diesem Thema hatte, vermutete ich, dass ich damit allein hier stehen bleiben könnte. Das Gegenteil ist eingetreten. Mit sehr offenen und ehrlichen Beiträgen haben sich einige beteiligt. – Was mich besonders freut, das sind eure Beiträge von der “anderen Seite” der ehemaligen Mauer.

    Danke schön an euch alle, die ihr meinem Thema zu so viel Lebendigkeit verholfen habt.

    LG happyday

    • Dieser Beitrag wurde vor 2 Jahren, 8 Monate von  happyday bearbeitet.
  • Wattfrau

    Teilnehmer
    16. August 2021 um 20:37

    happyday, ich würde mich freuen, noch viele Beiträge über eure Erlebnisse in der DDR

    lesen zu können.

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