Gott der Gitarristen Jeff Beck (1944 bis 2023) EIN NACHRUF

  • Gott der Gitarristen Jeff Beck (1944 bis 2023) EIN NACHRUF

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    13. Januar 2023 um 16:09

    Um die Säkularisierung durch die Popkultur im 20. Jahrhundert zu verstehen, reicht es, sich die Szene in „Blow Up“ von Michelangelo Antonioni anzusehen und sich an die Gitarristen in den Sechzigerjahren zu erinnern. Damals wurden sie zu Göttern. An den Wänden stand „Clapton is God“. Die anderen Götter neben Eric Clapton spielten nach ihm miteinander bei den Yardbirds: Jimmy Page und – als Gitarre spielender Hohepriester in „Blow Up“ – Jeff Beck.

    Am Dienstag ist Jeff Beck gestorben, wie seine Familie über sein hinterlassenes Profil bei Twitter mitteilt, an einer bakteriellen Hirnhautentzündung.

    In den Nachrichten und Nachrufen wird der Gitarrengott wieder gefeiert und das Wunder der Verwandlung eines ursprünglich profanen Saiteninstruments mit arabischen Wurzeln in ein Heiligtum der westlichen Kultur. Jeff Beck hat selbst davon berichtet, wie er vom elektrischen Gitarrenklang erleuchtet wurde: Er war sechs, saß vor dem Radio und hörte, wie Les Paul „How High the Moon“ spielte. Der kleine Jeff baute Gitarren aus Zigarrenkisten, Zaunlatten und Kohlemikrofonen. Seine Lehrer waren 45er-Singles mit Steve Cropper aus den Stax-Studios und B. B. King auf Chess Records. Über Annetta, seine Schwester, freundete er sich mit Jimmy Page an. Jeff und Jimmy wurden Studio- und Sessiongitarristen, waren sich für nichts zu schade und schulten ihr Spiel durch alle Arten von Musik für Film und Fernsehen. Sie sprangen ein für schwächere Kollegen bei den angesagten Bands, sie unterhielten eigene Beatbands und fanden sich 1965 bei den Yardbirds wieder. 1967 stieg Jeff wieder aus. Mit „Hi Ho Silver Lining / Beck’s Bolero“ nahm er seine erste eigene Single auf und gründete mit der Jeff Beck Group seine eigene Band.

    So sehr die großen Gitarristen in den Sechzigern vergöttert wurden, so beschwerlich war die Arbeit mit ihnen für ihre Mitmusiker. Ständig stritten sie, verließen Bands, erklärten Bands für aufgelöst und riefen neue Bands ins Leben. So entstand das fruchtbare Milieu der späten Sechziger und frühen Siebziger, in dem die Rockmusik erwachsen werden konnte. Jimmy Page gründete mit Led Zeppelin eine der größten Rockbands aller Zeiten. Um Jeff Beck warben sie alle, von Pink Floyd bis zu den Rolling Stones. Aus der Jeff Beck Group wiederum gingen Rod Stewart und Ron Wood als Meister ihres jeweiligen Fachs hervor, als Sänger und als Gitarrist, gemeinsam bei den Faces und später getrennt als Superstar (Rod Stewart) und als guter Geist und zweiter Gitarrist der vielleicht wirklich größten Band der Welt, der Rolling Stones (Ron Wood).

    Jeff Beck spielte in diesem Rock’n’Roll-Zirkus bis 1972 nach den Regeln mit, in einer Supergruppe namens BBA. Beck, Bogert & Appice war wie Cream mit Eric Clapton, eine Überband mit einem Bass- und einem Schlagzeuggott, in Becks Fall mit Tom Bogert und Carmine Appice von Vanilla Fudge. Bravourmusik für Plattensammler, die den Pop der Sixties hinter und tief unter sich gelassen haben wollten. Danach trat Jeff Beck beiseite und spielte einfach Gitarre. Man kann ihn und die Gitarre überall hören, von Steve Wonders Album „Talkin Book“ von 1972 bis zu Ozzy Osbournes „Patient Number 9“ im Jahr 2022. Er hat für Bon Jovi und Joss Stone gespielt, für Roger Waters, Kelly Clarkson und Jan Hammer.

    Wenn er eigene Stücke aufnahm, überwiegend Instrumentals, wusste man nie, was es war. War „Blow by Blow“ von 1975, wovon damals alle überzeugt waren, tatsächlich Jazzrock oder Rockjazz? Und war „Crazy Legs“ von 1993, wie es damals hieß, nur eine Rückbesinnung auf den Rock’n’Roll der eigenen Jugend, ohne Metaebene? Aber was war „You Had It Coming“ von 2001? Der Blues des 21. Jahrhunderts? Die Entweihung der elektrischen Gitarre? Er spielte noch einen Klassiker „Rollin’ and Thumblin’“ – mit seinem Computer. Jeff Becks Blues war zur Musik der Beatmaschinen und der Sampler, Sequencer und Schaltkreise geworden. War der Rock, als sie den kleinen Jeff ereilt hatte, dem Blues entwachsen, ging der Blues nun ein in House und HipHop. Alles tanzte um die goldene Gitarre wie in einer Farce des alten, analogen Götzenkults.

    So albern er die Lebensrolle als Gitarrengott also gelegentlich selbst fand, auch wenn er sie genoss – es waren ja die großen Gitarristen selbst, die ihn vergötterten. Er war ein Musiker für Musiker. Als jugendlicher Bastler mit seinen Zigarrenkisten hat er die Gitarre noch einmal erfunden. Dann griff er zur Fender Stratocaster und ließ sie nie wieder los, dabei ging er so weit, wie niemand sonst, wenn er als erster mit den immer neuesten Effekten experimentierte, ganze Stücke mit dem Hebel für das Tremolo bestritt und immer lieber mit allen Fingern seiner rechten Hand spielte als mit dem Plektrum. Er hat die Gitarre in der Tat transzendiert. Das sehen auch die anderen so. „Einzigartige Technik“, gepaart mit „grenzenloser Imagination“, schreibt Jimmy Page in seinem letzten Gruß. „Er ließ die elektrische Gitarre singen“, schreibt Steve Hackett von Genesis. Rod Stewart schreibt: „Er war von einem anderen Planeten.“

    Ein letztes Album

    In den folgenden Jahrzehnten nahm sich Jeff oft länger Zeit für neue Projekte. Aber regelmässig wurde der Gitarrist, der täglich stundenlang vor dem stumm geschalteten Fernseher übte, von Kolleginnen und Kollegen aus Pop und Rock als Session-Musiker engagiert. Als «gun for hire», wie es hiess, setzte er ein Sahnehäubchen auf Studioaufnahmen zahlloser Musiker – etwa von StevieWonder, Mick Jagger, Tina Turner, Roger Waters.

    Jeff Beck lebte auf einem Landsitz, den die Tudors 1591 vor den Toren Londons angelegt hatten, mit 80 Morgen Wald. Davon lebte er sogar größtenteils, was ihn davon befreite, ständig neue Platten aufnehmen zu müssen. Seine letzte trug den Titel „18“. Um das Album hätte sich kaum jemand jenseits der Gitarristenwelt geschert, wäre nicht Johnny Depp dabei gewesen und hätten der Schauspieler und seine Ex-Frau Amber Heart nicht gerade öffentlich vor einem Gericht gestanden und den Rest der Welt elektrisiert. Für ihn, Jeff Beck, war „18“ nur ein Album. Jetzt bleibt es sein letztes.


    Seine Musikalität und Flexibilität bewies Jeff Beck auch jüngeren Generationen gegenüber. 2022 brachte er mit dem Hollywoodstar Johnny Depp ein letztes Album heraus. Auf «18» präsentierte der Gitarrist nochmals sein expressives Spektrum, das von nüchternen Rock-Riffs über elektrisierende Klangbilder bis zu honigsüssen Balladen reichte. – Am Dienstag ist Jeff Beck im Alter von 78 Jahren überraschend an einer Meningitis gestorben.

    https://www.youtube.com/watch?v=fyQeiz8a-j4

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