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  • Von Victor Klemperer über Klaus Mann zu Anna Joachimsthal-Schwabe

     Constantia antwortete vor 2 Jahren, 7 Monate 2 Teilnehmer · 3 Beiträge
  • Constantia

    Teilnehmer
    16. Oktober 2021 um 13:29

    Am 8. November 1925 schreibt Victor Klemperer u. a. in sein Tagebuch:
    Für morgen Abend hat uns durch Brucks Vermittlung irgendein Literaturweib, Hana Joachimsthal-Schwabe, eingeladen, einer Vorlesung Klaus Mann’s beizuwohnen, der als Sohn des berühmten Thomas schwer um sein künstlerisches “Da-Sein” (sic n Steilschrift) ringe! Die Sache sei halb privat u. halb offiziell. Gedruckte Karten, Saal – aber der Frau gehörig, in der Bergstr. u. Schreiben an Bruck, der es mir weiterreichte, mein Kommen möchte für den Autor von Wert sein. Wieso?

    Am 12. November berichtet er dann
    Am Montag Abend Klaus Mann. Es regnete so, daß ich allein hinfuhr. Meine Maecenatin, eine üppige Villa, ein Hausherr, der in Eisen macht u. das Geld verdient. Er war es wohl, der in Hausflur sagte: ich müßte stehen, es sei kein Platz mehr. Ich stellte mich vor, er bat um Entschuldigung, ließ einen Lehnstuhl in die vordertste Reihe rücken. Ein Saal Wohl 100 Menschen, auch etliche in anstoßenden Zimmern, neben mir Dr Pfandl von den Dresdner N.N., Anna Brunnemann vom Anzeiger. Podium mit Leuchter. Blutjunger blonder hübscher Mensch, der gut u. nicht affectiert liest. Er ist eben als Schauspieler u. Dramatiker vorgetreten, sein Bild war in der Ill. Ztg. Herzlichst unbedeutende Legende von Kaspar Hauser. Verschwommen abgegriffen symbolisch. Der Fremde u. Sehnsüchtige dem Leben gegenüber. Dann ein “Fragment” Bekenntnnisse, Ideen, Kritiken. Nichts Originelles, aber sehr interessant. Der Junge, etwa 20 Jahre, spricht für die Jugend. Wir sind gar nicht revolutionär. Krieg und Politik interessiert uns nicht – Breitenstärter, der Boxer, der 16 000 Zuschauer hat, ist unser Feind. Wir sind auch keine Expressionisten mehr. Stille, “Anmut”, (das war das Stichwort), neue Klassik auf Novalis aufgebaut. Knut Hamsun u. Radiguet, dessen Name mir schon irgendwo begegnet ist, als Vorbilder genannt. Es scheint mir der Weg der neuen französ. Klassik zu sein. Vielleicht ein europäischer Weg. – Der Jungen selber scheint mir als Dichter weniger Eigenes zu geben, als ich selber mit meinem “Schwesterchen” tat.

    Hans Joachimsthal, Besitzer einer Eisen- und Metallgroßhandlung, Zinkschmelzerei, ist mit Anna Schwabe verheiratet.

    Anna Joachimsthal-Schwabe war die Tochter des Kaufmanns Robert Moses Schwabe (Textilkaufhaus in Varel) und dessen Ehefrau Elisabetha Schwabe, geb. Landau. Sie wurde am 8. Juli 1892 in Varel in Niedersachsen geboren. Sie heiratete 1913 den Dresdner Kaufmann Hans Joachimsthal, jüdischer Herkunft, und lebte mit ihm, bis zu ihrem Tod, in Dresden in der von Klemperer genannten Villa auf der Bergstraße. Ähnlich wie Ida Bienert sich als Mäzenin der Malerei hervortat, widmete sich Anna Joachimsthal-Schwabe der Dresdner Literaturlandschaft. Lyrische und musikalische Abende boten ihr aber auch anderen Gelegenheit eigene Werke vorzutragen. So muss es auch zu dem Abend mit sehr jungen Klaus Mann gekommen sein. Die Familie Mann hatte familiäre Bindungen nach Dresden-Blasewitz. Dort wohnte das Vorbild für Tony Buddenbrook. Vielleicht kam so die Möglichkeit dieser Begegnung zustande.

    1937 stirbt Anna Joachimsthal-Schwabe nach längerer Krankheit mit nur 44 Jahren. Ihr Grab befindet sich auf dem Neuen Israelitischen Friedhof Dresden. Ob es sich tatsächlich um ihre Grabstätte oder nur um eine Gedenkplatte handelt, ist nicht sicher.

    Zu einer Veröffentlichung ihrer eigenen Gedicht kam es leider zu Lebzeiten nicht mehr. Erst posthum erschien ein kleiner Band mit 65 Gedichten von ihr.

    Ein Teil ihrer Familie hatte zu diesem Zeitpunkt Deutschland bereits verlassen.

    Sie gehört zu den Frauen, deren Schicksal das Frauen-Stadtarchiv festgehalten hat.

    Ich wollte euch, insbesondere @seestern47 diesen Abstecher nicht vorenthalten.

    PS. Klaus Mann auf eine Art Lesereise im Jahr 1925. Ich kann mich nicht erinnern, darüber etwas gelesen zu haben. Ein erneuter Blick in den “Wendepunkt” lässt mich nichts finden.

    Constantia

    • Dieser Beitrag wurde am vor 2 Jahren, 7 Monate von  Constantia geändert.
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  • Heide79

    Teilnehmer
    17. Oktober 2021 um 20:37

    @Constantia , ich möchte mich mal bedanken für die interessanten Folgen über Victor Klemperer, die ich immer lese und mich darauf freue. Das Zusammentreffen mit Klaus Mann war heute besonders spannend, Klemperer hat wohl etwas gezweifelt, doch selbst seine Jugend von 20 Jahren betont. Klaus Mann hat seine wichtigen Bücher, wie z. B. den Mephisto, der mich sehr beeindruckt hat, ja erst viel später geschrieben. – LG Heide

  • Constantia

    Teilnehmer
    18. Oktober 2021 um 9:07

    @Heide79, vielen Dank für Deine Reaktion auf die Klemperer-Folgen. Ich freue mich immer sehr, wenn es zu meinen Beiträgen Reaktionen gibt. Zeitgeschichte, persönliches Schicksal und viele örtliche Begebenheiten liegen so eng beieinander und faszinieren und beschäftigen mich immer wieder.

    Gerade in den Nachhrichten gehört, auch das Lesen wird wohl teurer werden.

    Allen eine schöne Woche

    Constantia

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