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  • Victor Klemperer und Dresden (11/die Letzte)

     nordlichtw antwortete vor 2 Jahren, 7 Monate 3 Teilnehmer · 4 Beiträge
  • Constantia

    Teilnehmer
    1. September 2021 um 10:57

    Nun also im Haus Zeughausstraße 1 in der dritten Etage. Es klingt nicht gut, was Victor Klemperer am 14. Dezember 1943 schreibt.
    An eine Diele stoßen die Türen dreier Ménages: Cohns, Stühler, wir. Badezimmer und Klo gemeinsam. Küche gemeinsam mit Stühlers, nur halb getrennt – eine Wasserstelle für alle drei-, ein kleiner anstoßender Küchenraum für Cohns. Zwischen Cohns und Stühlers starke Spannungen.
    In den beiden Häusern Zeughausstraße 1 und 3 befindet sich die jüdische Gemeinde und nun auch als Judenhaus die Adresse der Klemperers. Die Häuser gehörten zum Komplex der Dresdner Synagoge am Hasenberg.
    Meine Mutter musste am 9. November 1938 etwas in dieser Gegend erledigen. Damals 15jährig kam sie an der brennenden Synagoge vorbei. Sie erzählte einmal von den Rabbinern, die vor dem Gebäude in ihrem Ornat und für sie eigenartigen Bewegung beteten. Diese Bilder haben sie tief geprägt und sie hat sie nie vergessen.
    Im Gegensatz zu der Villa in Blasewitz wohnten die Familien auf engsten Raum zusammen. Unendlich viele Probleme sich hier irgendwie etwas einzurichten. Alles muss beantragt, Vorschriften beachtet werden. Irgendwie scheint sich vieles zu wiederholen. Gerüchte haben Depressionen zur Folge und alle hoffen im tiefsten Innern auf das alles ein Ende habe im positiven Sinne der Betroffenen.
    Am 12. Februar 1945 erhielt er die Anweisung am nächsten Vormittag beim Austragen von Briefen behilflich sein. Zunächst keine Ahnung welche dramatische Botschaft er zu überbringen hatte. Am nächsten Morgen erfuhr er: Evakuation für alle Einsatzfähigen, es nennt sich auswwärtiger Arbeitseinsatz, ich selber als Entpflichteter bleibe hier. …
    … Das auszutragende Rundschreiben besagte, man habe sich am Freitag frküh im Arbeitsanzug mit Handgebpäck, das eine längere Strecke zu tragen sei, und mit Proviant für zwei bis drei Reisetage in der Zeughausstraße 3 einzufinden. …
    Obwohl ausdrücklich als Arbeitseinsatz ausgewiesen – wird es von den Betroffenen als Reise in den Tod verstanden.
    Am Abend dieses Tages traf die Bewohner Dresdens die erste Welle des Zerstörungsangriffs, der bis heute diese Stadt so prägt. Unter “Piskowitz, 22. – 24. Februar” hat Victor Klemperer seine Erlebnisse aufgeschrieben.
    In all dem Elend und Chaos, dem Kampf ums Überleben war immer auch das jüdisch sein präsent.
    “Wir müssten unsere Leute zu trreffen versucheh, ich müßte den Stern entfernen, so wie er den seinen schon abgeemacht hätte. Darauf riß Eva mit einem Taschenmesserchen die Stella von meinem Mantel.”
    Etwas weiter lese ich
    “Er muß doch wissen, daß Sie und ich einen Stern getragen haben.” – “Das ist dochd jetzt ganz egal! Alle Listen sind vernichtet, die Gestapo hat anderes zu tun, und in vierzehn Tagen ist sowieso alles zu Ende!”
    Nach einem Umherirren in der Stadt machen sich Eva und Victor Klemperer Richtung Osten in die Lausitz auf. Später Richtung Vogtland und weiter nach München.
    Nach dieser Odyssee kehren sie im Juni 1945 zurück nach Dresden. Er übt Lehrtätigkeiten an der Uni Grreifswald und Halle aus. 1950 kehren sie endgültig in ihr Haus nach Dölzschen, Am Kirschberg zurück.

    Noch einmal zurück zur Dresdner Synagoge, die von Gottfried Semper entworfen worden war. Ganz in der Nähe der alten und auch der neuen Synagoge befindet sich ein Mahnmal. Es wurde von Friedemann Döhner entworfen und soll seit dem 22. April 1975 an die Synagoge und an die Ermordung der Juden zur Zeit des Nationalsozialismus erinnern. Allerdings weist die Stele eine Besonderheit auf. Sie ist nur sechsarmig. Jeder Leuchterarm soll jeweils eine Million ermordeter Juden symbolisieren.

    Hier beende ich meinen ganz persönlichen Victor-Klemperer-Rundgang in Dresden. Ich selbst habe beim Schreiben, Nachschlagen und Googlen manches Neue entdeckt. Auch mein Bücherregal um 2 Bände Victor Klemper-Tagebücher erweitert. Allerdings ca. 2 000 Seiten wollen erst einmal gelesen sein.
    Sollte ich wen genervt haben, entschuldige ich mich. Aber ich finde in diesen Zeiten kann nicht genug erinnert werden.
    Zuletzt noch ein paar Fotos von der Neuen Synagoge, deren Inneres ich im Rahmen einer Führung kennenlernen durfte (Allerdings ohne Kamera und Smartphone).

    Ich bin dann mal weg.

    ConstantiaFace With MonocleBooksCamera

    • Dieser Beitrag wurde am vor 2 Jahren, 7 Monate von  Constantia geändert.
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  • seestern47

    Teilnehmer
    1. September 2021 um 11:09

    Gerne würde ich mal mit Dir auf Klemperers Spuren in Dresden und Umgebung wandeln. Einen Abschluss mit dem Besuch der Synagoge würde ich mir dann sehr wünschen.

    Vielen Dank für Deinen bebilderten Rundgang durch sein Leben. ClapHeart Eyes

    Nachtrag: Viel Vergnügen beim Lesen und ja, es ist ein richtiges Lesevergnügen, der Tagebücher. Ich habe habe alle 4 großen Bände verschlungen. Jetzt lese ich gerade seine Briefe.

    • Dieser Beitrag wurde vor 2 Jahren, 7 Monate von  seestern47 bearbeitet.
  • Constantia

    Teilnehmer
    1. September 2021 um 11:20

    @seestern47 , Danke für Deine Zeilen. Ich musste aufpassen mich nicht zu “Verzetteln”, vom Hundertsten ins Tausendste zu kommen. Es hätte noch so vieles gegeben.

    Von einem ehemaligen Kollegen habe ich mal den Tipp bekommen. Beim Thema bleiben, also hier Klemperer und Dresden.

    Ich fand in einem Buch einen Zettel von mir “Wie sah das eigentlich Eva?” Jetzt beim Nachschlagen stellte ich fest, er bezieht sich mehr auf Eva als ich beim ersten Lesen registriert hatte. Was sagt das über die beiden aus? Auch beim Googeln liest man das Beklagen, von Eva wisse man wenig.

    Vielleicht findet sich mal jemand, der dem mal nachspürt – ganz in die Tiefe. Jemand, der so etwas gelernt hat.

    Constantia

    • Dieser Beitrag wurde vor 2 Jahren, 7 Monate von  Constantia bearbeitet.
  • nordlichtw

    Teilnehmer
    1. September 2021 um 12:40

    Constantia , danke für dein unendliches Wissen, dass du hier vermittelt hast .

    Von aussen sieht die neue Synagoge wie eine Festung aus , sehr schade , dass es so sein muss .

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