Startseite Foren Literaturzirkel Victor Klemperer und Dresden (1)

  • Victor Klemperer und Dresden (1)

     Constantia antwortete vor 2 Jahren, 9 Monate 2 Teilnehmer · 3 Beiträge
  • Constantia

    Teilnehmer
    26. Juli 2021 um 10:33

    Wenn ich über Victor Klemperer und Dresden etwas berichten will, muss ich im ganz Privatem anfangen. Mich verschlug es 1986 zu einer Dresdner Tageszeitung. Es gab eine Texterfassung. Jeder redaktioneller Beitrag der veröffentlicht werden sollte, musste von fleißigen Mädchen am “Computer” nochmal abgeschrieben werden, wurde auf einer Diskette gespeichert. Also jede Zeitungsseite eine Diskette. Diese musste dann pünktlich von einem Kraftfahrer in die Druckerei gebracht werden. Ja – so wurde nach dem Setzen von Bleibuchstaben moderne Zeitung gemacht.

    Es gab Seiten und Autoren, da schlug Frau gern in die Tasten. Beim Fortsetzungsroman verteilte es sich in der Truppe. Die eine liebte den Krimi, eine andere konnte selbstvergessen ohne Nachzudenken etwas abschreiben.

    Im Jahr 1987 entdeckte Uwe Nösner, ein junger Kulturredakteur, Originalschriften Victor Klemperes und erkannte welcher Schatz das war. Er entzifferte und übertrug in Notizbücher. Die Zeitung “Die Union” entschloss sich, Auszüge unter dem Titel “Alltag einer Diktatur” zu veröffentlichen.

    Ich reservierte mir die tägliche Erfassung. Auch weil ich schnell feststellte, zu vielem was Victor Klemperer in seinen Notizen schrieb, hatte meine Mutter etwas zu erzählen. Sie schnitt sich jede Folge aus und verwahrte sie sorgsam.

    Selten ist es mir passiert, dass mich abzuschreibende Texte so berührt, mitgenommen haben. Eigentlich nur, als wir eine Sonderausgabe zum 13. Februar 1945 veröffentlichten mit den Berichten von Betroffenen.

    Einer breiten, gesamtdeutschen Öffentlichkeit wurden die Tagebücher Victor Klemperers erst bekannt als Walter Nowojski sie unter dem Titel” Ich will Zeugnis ablegen bis zu Letzten” im Aufbau-Verlag veröffentlichte.

    Die Details dieser Geschichte veröffentlichte die ZEIT in ihrer Ausgabe 39/2011. Heute leider nicht mehr für alle zugänglich. Den Ruhm, dieses Buch veröffentlicht zu haben, nahm Walter Nowojski entgegen gemeinsam mit der Witwe Hadwig Klemperer u. a. mit dem Geschwister-Scholl-Preis. Nur in der Laudatio Martin Walsers taucht der Name Uwe Nößners auf.

    Ich schenkte meiner Mutter die komplette Ausgabe. Sie las sie aufmerksam und erzählte mir so manche Geschichte dazu. Ich hätte es sofort aufschreiben sollen oder ein Diktiergerät griffbereit haben sollen. Nach ihrem Tod landeten die beiden Bücher bei mir.

    Ich las sie nun in dieser Ausgabe. Manche Beschreibung, manche Formulierung war mir noch geläufig. So hatte es Uwe Nößner auch entziffert. Ich habe in den beiden Büchern unwahrscheinlich viele Memo-Zettel kleben. Adresssen, Namen u. ä. um mir späteres Suchen zu erleichtern.

    Später dann bin ich auf Suche gegangen. Was ist von dem Dresden Klemperers geblieben. Wo finde ich noch etwas. Es ist wenig, manchmal taucht ganz plötzlich etwas auf. Es ist kein ständiges Suchen. Aber wenn ich etwas finde, freue ich mich umso mehr.

    Beide, Uwe Nösner und Walter Nowojski, leben nicht mehr. Aber einem stehe ich emotional etwas näher als dem anderen. Ich habe erlebt, wie Victor Klemperers Tagebücher in die Öffentlichkeit kamen.

    Constantia

    • Dieser Beitrag wurde am vor 2 Jahren, 9 Monate von  Constantia geändert.
    • Dieser Beitrag wurde am vor 2 Jahren, 9 Monate von  Constantia geändert.
    • Dieser Beitrag wurde am vor 2 Jahren, 8 Monate von  Constantia geändert.
    • Dieser Beitrag wurde am vor 2 Jahren, 3 Monate von  Constantia geändert.
  • seestern47

    Teilnehmer
    28. Juli 2021 um 10:07

    Vielen lieben Dank für Deinen Einblick und Rückblick zu Klemperers Leben.

    Diese Tagebücher sind ein kultureller Schatz und so authentisch und wichtig. Vielleicht schaffe ich es noch mal nach Dresden, dann will ich die wichtigsten “Klemperer-Orte” besuchen.

    LG

    seestern47

  • Constantia

    Teilnehmer
    28. Juli 2021 um 10:53

    @seestern47 , manchmal habe ich in meiner Stadt schon Angst, dass mit mir die Phantasie durchgeht Grinning. Mir gehen selbst bei zwei schlichten Stolpersteinen Geschichten durch den Kopf …

    Hier will ich natürlich sachlich bleiben, aber ohne Gefühl geht es doch nicht ganz .

    ConstantiaFace With Monocle

    • Dieser Beitrag wurde vor 2 Jahren, 9 Monate von  Constantia bearbeitet.
Beiträge 1 - 3 von 3

Sie müssen angemeldet sein, um zu antworten.

Hauptbeitrag
0 von 0 Beiträge June 2018
Jetzt

Verstoß melden

Schließen