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  • Als es noch weibliche und männliche Computer gab.

     Webra antwortete vor 1 Jahr, 6 Monate 1 Teilnehmer · 1 Senden
  • Webra

    Teilnehmer
    18. November 2022 um 18:29

    Es ist noch gar nicht so lange her, da standen Computer nicht auf dem Schreibtisch, sondern saßen davor: Der Begriff, zu Deutsch »Rechner«, ist seit dem frühen 17. Jahrhundert im englischen Sprachraum in Gebrauch und bezeichnet eine Person, die beruflich rechnet, zum Beispiel in der Buchhaltung.

    Im Lauf des 19. Jahrhunderts wurden für solche Rechenaufgaben vermehrt Frauen eingestellt, denn ihnen konnte man für gleiche Arbeit deutlich weniger Geld zahlen als ihren männlichen Pendants. Und der Bedarf an Rechenleistung war seinerzeit schon hoch.

    Nicht anders war es in der Wissenschaft und im Speziellen an der Sternwarte Harvard College Observatory (HCO). Das hatte mit einer revolutionären Technik zu tun, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts durchzusetzen begann, weil sie der Astronomie ganz neue Möglichkeiten eröffnete: die Fotografie.

    Edward Charles Pickering hatte am HCO im Jahr 1877 den Posten des Direktors übernommen und mit seinem Team begonnen, systematisch den Nachthimmel zu fotografieren. Noch heute ist das HCO bekannt für seine riesige Fotoplattensammlung. Über eine halbe Million dünne Glasplatten füllen dort die Regale des Archivs. Denn einst wurde jede Nacht, in der der Himmel ausreichend wolkenfrei war, genutzt, um die Sterne zu fotografieren. Untertags wurden die Fotoplatten dann ausgewertet – von einer Abteilung ausschließlich weiblicher Rechner, den Harvard Computers. Sie führten mathematische Berechnungen durch, kartografierten den Nachthimmel oder bestimmten die Helligkeit von Sternen. Sie waren es, die aus den Bildern die Daten gewannen, die anschließend für die wissenschaftlichen Publikationen analysiert wurden. Auch Pickering entschied sich für weibliche Computer, weil sie günstiger in der Entlohnung waren als Männer.

    Eine Karte des Sternenhimmels

    Mit der Fotografie wurde eine neue Ära in der Astronomie eingeläutet: das Zeitalter der Astrophysik. Hatte man sich bislang damit begnügen müssen, die Position und Bewegung von Himmelskörpern zu vermessen, konnte man nun beispielsweise auch Informationen über ihre Eigenschaften gewinnen. Denn die Fotografie machte Dinge sichtbar, die das menschliche Auge nicht wahrnehmen kann. So zum Beispiel die Lichtspektren der Sterne, die Aufschluss über die darin enthaltenen chemischen Elemente geben. Bei der Auswertung der nächtlichen Aufnahmen zeigte sich schnell, dass nicht alle Sterne dieselben Spektren haben. Offenbar gab es ganz unterschiedliche Arten von Sternen.

    Eine Mitarbeiterin, die am HCO wissenschaftliche Pionierarbeit geleistet hat, war Antonia Maury, die Nichte von Henry Draper, dem es im Jahr 1872 erstmals gelungen war, das Spektrum eines Sterns zu fotografieren. Maury hingegen schaffte es als Erste, die Umlaufbahnen von so genannten spektroskopischen Doppelsternen zu berechnen. Das sind Doppelsterne, die mit so geringem Abstand umeinanderkreisen, dass das Auflösungsvermögen eines Teleskops nicht genügt, um sie voneinander zu unterscheiden. Erst wenn man den Lichtfleck, den sie bilden, in seine Spektralfarben zerlegt, sieht man, dass es sich in Wahrheit um zwei Sterne handelt.

    Williamina Fleming: Von der Hausarbeit zur Sternenklassifikation

    In den Jahrzehnten vor und nach der Jahrhundertwende waren um die 80 Frauen als »Harvard Computers« am Observatorium beschäftigt. Eine, die eine besondere Stellung einnahm, war Williamina Fleming. Sie begann als Hausangestellte bei Institutsdirektor Pickering, fing nach einigen Jahren an, Büroarbeiten zu erledigen und erstellte schließlich Sternenklassifikationen. In neun Jahren katalogisierte sie mehr als 10 000 Sterne: Bei ihrer Arbeit entdeckte sie 59 Gasnebel, 310 veränderliche Sterne und 10 Novae. Sie wurde als erste Frau Ehrenmitglied der Royal Astronomical Society von London.

    Williamina Fleming machte auch einen Vorschlag zur Klassifikation der Sterne, basierend auf den beobachteten Spektralklassen. Dieser Vorschlag wurde dann von einer der bekanntesten Astronominnen der Harvard-Sternwarte aufgegriffen: Annie Jump Cannon. Sie war die führende Expertin für die Klassifikation der Sternspektren und entwickelte dafür ein System, das bis heute gültig ist. Unter anderem erhielt sie dafür als erste Frau die Ehrendoktorwürde der University of Oxford und die Draper-Medaille, eine hohe Auszeichnung der United States National Academy of Sciences.

    Die monumentale Arbeit der Sternklassifikation am HCO mündete im Henry-Draper-Katalog, der in den 1880er Jahren unter Williamina Fleming begonnen und bis 1940 von Annie Jump Cannon fortgesetzt wurde. Der Henry-Draper-Katalog ist der erste in der Geschichte, der gänzlich auf Himmelsaufnahmen beruhte und neben Ort und Helligkeit auch die Spektralklasse unzähliger Sterne enthielt. Viele Sterne werden heute üblicherweise durch ihre HD-Nummern identifiziert. So bildet der Sternenkatalog eines der Fundamente der modernen Astrophysik. Den meisten Harvard Computers aber, die durch ihre sorgfältige Arbeit das Fundament dafür legten, blieb die wissenschaftliche Anerkennung lange verwehrt.


    Richard Hemmer
    Richard Hemmerist Historiker und Podcaster. Er lebt in Wien. (Foto: Jesper Pape)

    (Spektrum der Wissenschaft)

    Viele wissenschaftliche Erkenntnisse, die durch Männer gemacht wurden, wären ohne die

    Fleißarbeit dieser “weiblichen Computer” Grinning nicht möglich gewesen. Das Frauen für die

    gleiche Arbeit wie Männer weniger Lohn erhalten, ist nicht erst seit dem Industriezeitalter

    üblich.

    Warum ist es den Frauen bis heute noch nicht gelungen, diesen ungerechten Zustand zu beseitigen. Gemessen an anderen Ungerechtigkeiten, Nachteilen und gesellschaftlichen

    Vorurteilen die sie beseitigt haben, müsste doch “Gleicher Lohn für gleiche Arbeit”

    leichter zu erreichen sein. Warum kämpfen sie dafür nicht genau so hart wie sie es für

    “Mein Körper Gehört mir” getan haben?

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