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Advent-Schnuppern
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Schnuppern
Ich habe mir erlaubt, in den Düften der Vergangenheit zu schnuppern.
Ich war ein Junge von etwa zehn oder elf Jahren, als mich mein Schulfreund Otti zu sich nach Hause mitnahm. Er wohnte mit seinen Eltern in einem wunderschönen Haus mit Dachgauben, die wie die Mützen von Holländer-Mädchen ausschauten. Warum ich wusste wie Holländermädchenmützen aussehen? Ganz einfach, damals war auf den Bensdorp-Kakao-Packungen ein Holländermädchen mit dieser Mütze abgebildet.
Im Sommer spielten wir im Freien, aber jetzt war Winter, Adventszeit, und wir spielten in Ottis großem Kinderzimmer. Ich war fasziniert von diesem Haus und von Ottis Zimmer. Er hatte diesen Raum nur für sich, besaß außerdem einen eigenen Schreibtisch und eine elektrische Eisenbahn. Das waren alles Dinge, von denen ich nicht einmal zu träumen wagte. Ich war aber nicht neidisch auf Otti, für ihn war das alles normal, selbstverständlich. Was mich viel mehr an diesem Haus faszinierte, als dieser Luxus, das war der Duft in diesem Haus. Ich wusste nicht, woher er kam. Aus der Luft, aus der Tapetenwand oder gar aus dem edlen Fischgrätmuster des Parkettbodens?
Der Duft war so ausnehmend zart und fein, am liebsten hätte ich ihn festgehalten und ein Stück davon mitgenommen. Danach entzog er sich meiner Wahrnehmung, wurde verdeckt vom Maroniduft, den Ottis Mama produzierte. Sie röstete, nur für Otti und mich, auf der Herdplatte Edelkastanien. Aber dann, plötzlich, war er wieder da, ein kleiner Fetzen nur, eine kurze Sekunde lang als herrliche Andeutung zu riechen … und verschwand alsbald wieder. Dieser Geruch, den ich nie vergessen wollte, hatte etwas Besonderes. Da war Frische drin; aber nicht die Frische von Zitronen, nicht der Duft von Weihrauch oder Zimtstangen, auch nicht Minzeblättern oder Fichtennadeln. Es roch nicht wie warmer Mairegen aber auch nicht wie kalter Schneewind. Es war von allem etwas in der Luft, es war der einzigartige Geruch von Ottis Haus.
Bei mir zu Hause angekommen, wollte ich von diesem Duft erzählen – und konnte nicht. Mir fehlten die Worte für das Schöne. Bei uns roch es nur nach Kohl und Einbrennsuppe, nach Rauch von Vaters billigem Tabak und dem Abklang von Tee mit Slivovitz.
Ich versuche jedes Jahr zur Adventszeit, diesen Duft nachzuahmen, leider ohne Ergebnis. Gestern war Lebkuchen-Backtag – das duftete auch gut, aber kein Vergleich zu damals. Manchmal verwendete ich Jasmin und Narzisse, Iris und Kardamom, sogar Rosenholz habe ich schon probiert. Ich bring’s nicht hin. Es riecht nicht annähernd so, wie damals in Ottis Haus.
© story by ferdinand
@ photo by ferdinand
- Dieser Beitrag wurde am vor 2 Jahren, 4 Monate von Suffade geändert.
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Du warst ein sensibler Junge. Sehr anrührend Deine Geschichte.
LG
seestern47
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Ja, so ist das mit den Erinnerungen…
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