remobaum
Schlachthofgang
2. Juni 2008 in Weblogs
Schlachthofgang (herzdenken)
Als ich 15 war, arbeitete ich oft auf Nachbars Hof. Eines Nachmittags musste ich Alma zum Schlachthof ins Nachbardorf führen. Alma wollte nicht mehr aufnehmen und gab nur noch vier Liter Milch pro Tag.
"Dass du mir ja nicht die Zeit vertrödelst! Um fünf Uhr will sieder Dreher im Schlachthof haben. Und lass sie nicht fressen auf dem Weg, er will sie nüchtern drannehmen!""Ich werde mir Mühe geben Meister, aber wie kann ich sie antreiben und zugleich am Strick führen, wenn sie nicht mehr will?""Du darfst nur nicht zurück schauen und mit ihr sprechen, dann geht sie immer brav hinter dir her.""Hast du gehört, Alma, immer hinter mir herlaufen, dann muss ich dich nicht mit dem Stecken hauen. Ich werde ein Lied singen. Ja, Alma, das tue ich. ´Am Brunnen vor dem Tore´. Ich hatte es oft gesungen, wenn ich im Stall arbeitete. Meine Mutter hatte es mich gelehrt. Meister Schubert hat das Lied erfunden. Schade, er hat keine Lieder für Kühe geschrieben.Aber ich werde es tun, wenn ich einmal ganz groß geworden bin.
Ich will Sängerwerden, aber ich darf jetzt nicht an meine Mutter denken,sonst werde ich traurig. Du weißt, Alma, meine Mutter ist auch tot. Auch du wirst bald tot sein. Heute Abend um fünf. Der liebe Gott ist auch schon tot gemacht worden. Du wirst ihn vielleicht sehen im Totenland, als Engel. Meine Mutter hat mir das gesagt.
Alle gutenMenschen und alle Tiere werden zu Engeln gemacht, wenn sie zu Tode gekommen sind. Vielleicht kannst du dann um unser Haus fliegen und mirzuwinken.
Nein, der liebe Gott ist nicht so bös wie die Menschen. Er sammelt keine Hörner, keine Pelze, isst kein Kuhfleisch, keine Würste. Er isst nur manchmal Blumen, darum sei er so schön, haben mir meineGedanken einmal gesagt.Nein, bleib jetzt nicht stehen. Ich würde dich ja gern in den Wald führenund dort laufen lassen, aber der Meister würde dich suchen, mit Strickenan den Traktor binden und zum Schlachthof abschleppen.
Das habe ich schongesehen, glaub mir.
Dich würde ich nie anlügen. Bei deinem heiligen Pelzschwöre ich, dass ich so was schon gesehen habe.Wenn sie dich getötet haben, bist du wieder ein Gedanke. Mit deinen Gedanken kannst du mir auchnach deiner Ermordung Bilder zudenken. Der Jesus solle das können, warumsolltest du das nicht auch tun können. Ihn hätten sie auch ermordet,sagt man. Er war ohne Sünden. Aber du bist auch ohne Sünde, alle Tieresind ohne Sünde. Ich denke, auch Menschenkinder sind ohne Sünden.Ja, ich hab dich auch schon mit dem Stecken gehauen, wenn du ganz und garstehen bliebst, aber dann habe ich dich auch wieder gestreichelt oder dürres Brot gebracht. Deine großen Kuhaugen haben mir schon viele Geschichtenerzählt. So oft schon hatte ich dich umarmt, wenn ich traurig war. Dann sah ich in deine Augen und ich konnte bald wieder lachen, wenn dudeine riesigen Ohren nach vorne und dann wieder nach hinten schwenktest. Vor deinem schwarzen Maul habe ich mich nie gefürchtet. Nein, du hattest dich vielleicht vor mir gefürchtet, wenn ich an einem deinerlangen weißen Maulhaare zog. Warum Kühe lange weiße Maulhaare haben,weiß ich immer noch nicht. Ich wusste schon als kleiner Knabe, dass Kühekeine Kinder essen. Menschen tun das, sie essen Kuhkinder und bald werdensie auch dich essen. Ich weiß genau, was sie mit deinem wunderschönenschwarzen Maul machen. Nein, senk jetzt nicht deinen Kopf. Wenn sie dastun mit deinem Maul, was ich weiß, dann ist dein Gedanke schon weggeflogen.
Dann kannst du mir Gedanken von Kuhbildern zudenken. Ich werde deine Geschichten weitererzählen, aber nur Tieren werde ich sieweitererzählen oder wunderbaren Menschen. Es soll ausser meiner Mutter auch andere Menschen geben, die wunderbar seien. Normalen Menschen würden deine Geschichten nicht verstehen. Sie sind dumm und wollen keine Kuhgeschichten anhören.Warum legst du dich jetzt mitten auf den Weg? Wir müssen weiter. Um fünf Uhr müssen wir im Schlachthof sein.
Nein, ich kann dich nicht hier liegen lassen. Der Bauer würde mich mit dem gleichen Stecken hauen, mit dem erdie Kühe schlägt, und dich würde er auch schlagen. Dann könnte ich nicht mehr bei dir sein, wenn all das viele Blut aus deinem aufgeschnittenen Hals strömt. Meinetwegen, ein bisschen ausruhen darfst du. Ich lege mich zu dir hin, will mit dir traurig sein. Du bist so warm,dein Pelz ist so weich - und wie gut du riechst. Ob der liebe Gott auch so gut riecht wie du? Er wird sicher so gut riechen wie du.
Gute Gedanken riechen gut, so gut, dass der ganze Himmel sich freut undschlechte Gedanken stinken zur Hölle. Immer wenn ich deinen starken Halsumarmte, breitete sich dein Geruch in meinem Herzen aus. Ich trug deinenGeruch nach Hause und schlief mit ihm ein. Auch jetzt bin ich voll vondeinem Geruch. Wenn ich weinend nach Hause gehe ohne dich, wird mich deinGeruch begleiten und in unserm mutterlosen Haus in den Schlaf wiegen. Aber jetzt, Alma, bitte steh auf. Wir müssen weiter.Siehst du den Lindenbaum bei der Wegkreuzung? Hörst du sein Lied? Sing mit mir, Alma. Am Wege bei der Kreuzung, da steht ein Lindenbaum, ich träumtin seinem Schatten so manchen süßen Traum. Auch heute muss ich wandern und tät am liebsten meine Augen zu, komm müder Wanderer, hier findst du deine Ruh.
Endlich! Bind sie am Ring dort fest! Sie kommt gleich dran!Schau nicht hin, Alma, nicht auf das viele Blut am Boden. Schau nichtauf den Mann, nicht auf die Messer, nicht auf den abgetrenntenSchweinskopf. Das Schweinchen ist schon zum Gedanken geworden. Auch duwirst zum Gedanken, kannst mir bald Kuhhimmelgeschichten erzählen.
Grüßmir meine Mutter. Sie ist auch im Gedankenland. Wenn du ein Gedanke geworden bist, wirst du mit ihr wegtanzen über Blumenwiesen, durchsprudelnde Bäche, stricklos, stallkettenlos. Ich werde mich mein Leben lang mit deinem Geruch in meinen Gedanken, hinlegen, wenn ich schlafen gehe.
Eine Text von: herzdenken