Kirsten
Eine Urlaubsbekanntschaft der besonderen Art
18. August 2010 in Weblogs
Eine Urlaubsbekanntschaft der besonderen Art (Rotkehlchen38)
Meine erste Begegnung ließ mich erschrecken. Was ich da vor unserer Haustür in gleißendem Sonnenlicht erblickte, sah zum Erbarmen aus: Ein kleines braunes Etwas, aufgeplustert, beide Flügel gespreizt nach unten hängend, die Schwanzfedern gefächert, den Schnabel weit geöffnet. Leicht zu erkennen, ein Amselweibchen. Mein erster Gedanke: Wahrscheinlich verletzt oder schon dem Tod preisgegeben?
Ich ging in die Hocke, streckte meine Hand aus, näherte mich vorsichtig und hoffte auf eine Reaktion. Aha, ich wurde wahrgenommen. Mit einem Mal ein Durchschütteln des kleinen Körpers, die Flügel lang gedehnt, das Köpfchen gedreht und los gings mit der Körperpflege. Flink glitten ihre Federn durch ihr Schnäbelchen, hier und da noch ein Flöhchen erwischt, nochmals geschüttelt und ab in den nächsten Baum. Erleichterung und Rührung über unsern sonnenbadenden Gast stiegen in mir auf.
Das sollte nicht die letzte Begegnung sein mit dem kleinen Federbällchen. Ihre Zutraulichkeit war schon bemerkenswert. Der diesjährige Sommer meinte es gut und so hielten wir uns mehr draußen als drinnen auf. Gartenstühle und Tischchen standen stets bereit und wir genossen es, soviel an der frischen Luft zu sein. Kaum hatte die Amsel uns bemerkt, ja, sie erriet schon durch die Glasscheibe mein Vorhaben, war sie flink hüpfend wie ein kleiner Gummiball zur Stelle und musterte uns mit schrägem Köpfchen. Schon fielen die ersten Brotkrumen ins Gras, von ihr bereits erwartet und begierig verschlungen. Mit den dicken Bröckchen flog sie behände ins Dickicht, damit ihr niemand etwas streitig machen konnte. Besonders beliebt wurden Stückchen von Pellkartoffeln, aber die Krönung blieben die reifen Kirschen. An einem Nachmittag stieß sie ein zufällig hinunter gefallenes großes und hartes Brotstückchen energisch zur Seite, verschwand kurz im Gebüsch, um uns dann auf dem Tisch einen Kirschkern zu präsentieren. So, das war deutlich, verstanden.
Wir tauften sie Amseline und fortan gehörte sie zur Familie. Wenn sich ihr Auftauchen verzögerte, hielten wir besorgt Ausschau. Ja, einmal ließ sie länger als einen Tag auf sich warten. Besorgte Gesichter unsererseits. Hatten wir es mit dem Füttern übertrieben? Altes Brot Ententod, dieser Satz tauchte verbunden mit leichten Schuldgefühlen in mir auf. Aber siehe da, eines Abends sahen wir sie von Nachbars reich gedecktem Tisch heran segeln.
Inzwischen geht sie hier ein und aus, im wahrsten Sinne des Wortes. Flugs schleicht sie sich ungesehen bei geöffneter Terrassentür ins Wohnzimmer, schaut sich interessiert um und pickt die Krümelchen unterm Esstisch auf.Mal nimmt sie auf der Armlehne eines Gartenstuhls Platz, lässt sich kurz auf meinem Fuß nieder, schnappt sich wieder ein Bröckchen, stillt anschließend ihren Durst an der Vogeltränke, nimmt ein kurzes Bad und ist dann wieder für eine Weile verschwunden.
Nun mache ich mir so meine Gedanken um Fräulein Amseline, versuche ihr Alter zu schätzen. Ich schwanke noch zwischen jung und unerfahren, oder gehört sie schon der Generation der jungen Alten an, die ihr Brutgeschäft bereits hinter sich haben? Ich wüsste es zu gerne. Rings herum sehe ich die andern Vögel ihren Familienpflichten nachgehen: Emsiges Füttern bzw. Futtersuche. Die Ringeltauben sehe ich erneut beim Nestbau. Fräulein Amseline hat da nichts mit am Hut. Ihre Devise scheint zu sein: Das Leben in vollen Zügen genießen, leben von den Brosamen, die von der Herren Tische fallen. Ein Regenwurm? Der reine Zufall, kroch mir fast über Fuß.
Meine Gedanken gehen weiter in die Zukunft. Noch eine Woche werden wir ihr Gesellschaft leisten oder sie uns, dann geht es wieder Richtung Heimat. Ein wenig Wehmut empfinde ich schon jetzt in meinem Herzen. - Dann aber haben wir sie nicht mehr gesehen. Das Wetter schlug um, zwei Tage im Wechsel Sturm und Regen. Ich ahnte Schlimmes.
Hatte ich nicht Nachbars Katze im Halbdunkel mit einer Beute flüchten sehen? Ich werde es nicht erfahren.
In meiner Erinnerung mischen sich Freude und Trauer.
Ein Text von: Rotkehlchen38