Weihnachtskonzert

27. März 2012 in Weblogs

Weihnachtskonzert (Knud)

Nach einer Tecno gefolterten Weihnachtsnacht, im Halbdämmer des beginnenden Morgens überfiel mich ein Hahnenschrei mit der Wucht eines akustischen Hammers. Ich zuckte zusammen.
"Nicht das auch noch!" Ich zog die Decke über die Ohren, versuchte zu verdrängen.
Keine Chance.
Das Tier schrie zum zweiten, zum dritten Mal: in kurzen Abständen immer wieder. Warum nur hatte es sich ausgerechnet den Terrassenplatz dicht vor meiner Tür für seine akustische Morgengymnastik ausgesucht! Nichts als schlafen wollte ich, ein Viertelstündchen wenigstens noch.
Wie unterschiedlich doch Gedankenansätze sein können. "ein wohlklingendes Ständchen zum Weihnachtsmorgen", mag der Hahn sich vorgenommen haben. Was in seinem Kopf vorging, lässt sich ja schwer einschätzen. Vielleicht hatte er sich ja ganz bewusst vor die Tür eines Musikers gesetzt. Eine Freude wollte er ihm machen, eine echte, professionelle Weihnachtsfreude. Was der so beschenkte Musikus dachte, muss nicht noch genauer beschrieben werden. Ich war nun völlig wach, und solchen Bewusstseinsstand bezweckt ein Hahnenschrei ja wohl auch. Zerquält biss ich in meine über die Ohren gezogene Bettdecke und wartete.
Die Abstände zwischen den Lautorgien waren nicht gleichmäßig. Durchaus mit Tecno vergleichbar. Die Folter der Stampfbässe verschiebt sich ja in dieser sogenannten Musik unmerklich, Computer gesteuert wahrscheinlich. Kämen die Stöße gleichmäßig, könnte man vielleicht in der Monotonie der Schläge allmählich in Schlaf gleiten. Nein: Die kleinen metrischen Verschiebungen lassen das nicht zu. Man soll wach bleiben, den Nervenschauder bis zum Wahnsinn durchkosten.
Verfolgen wir den kleinen Exkurs nicht weiter, und zerbrechen wir uns auch nicht den Kopf über den Sinn der Pausen im Weckruf eines Hahnes. Sie mögen seinem künstlerischen Empfinden anheim gestellt sein. Was mir aber mehr und mehr auffiel, war der ausgezeichnete Stimmsitz der Tiere: nicht durch regelmäßige Gesangsstunden erworben, sondern von Natur aus gegeben, genetisch eingepflanzt. In bewundernswerter Vollkommenheit sind alle Resonanzräume perfekt in die Lautgebung einbezogen. Die natürliche Folge: Ein Hahn schreit sich niemals heiser, verfügt also gewissermaßen über eine Kondition, für die ihn jede Gesangsdiva, jeder Heldentenor beneiden könnte.

Was man nicht ändern kann, sollte man wenigstens durchleuchten.
So sehr ich nach jedem Schrei hoffte, es sei der letzte (irgendwann muss das Biest doch müde werden!), musste ich doch der Ausdauer wie auch der gleichmäßig hohen Klangqualität der musikalischen Darbietung einigen Respekt entgegenbringen.
Zugegeben: Ein melodischer Gehalt ist in den Rufen nur schwer zu erkennen, auch scheint der harmonische Rahmen eher begrenzt. Es wäre vielleicht interessant, den Geräuschfaktor, der den Tönen beigemischt ist, in einem Resonanztomographen sichtbar zu machen, funktionell gibt das allerdings kaum einen tieferen Sinn. Anders verhält es sich mit dem Rhythmus.
Er beginnt mit einem 2/8-Auftakt, hin zu einer betonten Viertelnote, die in eine schwächer auslaufende halbe Note mündet. Das wäre der Anfang eines Walzers, der einen Hahn musikalisch unsterblich machen könnte, denke ich, tief in meinem Kopfkissen vergraben, aber der Auftakt ist zu schwer, überhaupt nicht "wianerisch", die halbe Note, von der ich sprach, wirkt wie ein krächzendes Schleifgeräusch auf falscher Betonzeit und verleiht dem Ganzen den Ausdruck einer eher künstlichen melodramatischen Inszenierung, die durch ähnliche Artikulation in weitem Umfeld und rein zufällige Überschneidung der Rufe eine Kontrapunktik simuliert, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Hier schreit ein Hahn, dort ein anderer.. und es gibt so viele hier! Sie wollen nicht miteinander konzertieren, sondern präsentieren sich als leicht neurotisch angehauchte Egomanen, die ihr Revier signalisieren oder einfach nur "Guten Morgen!" krächzen. Mein "Weihnachtshahn" tritt dabei nur deshalb als Solist in den Vordergrund, weil er sich für seinen Auftritt den Vorplatz zu meinem Apartment als Bühne gewählt hat und mir deshalb musikalisch besonders nahe steht. Musikästhetisch eine ziemlich dürftige Präsentation, konstatiere ich und eigentlich Grund genug, zumindest meinem Solisten durch Abschlagen des Kopfes endlich das Handwerk zu legen.

Ich bin nun ziemlich wütend. Eine Weihnachtsnacht im Tecnofieber mit krönendem Abschluss eines Hahn-Konzertes! Ich springe aus dem Bett, öffne die Tür und werfe meinen rechten Pantoffel nach dem Tier, das erschrocken davon flattert. Vielleicht empfand es das jähe Ende seiner musikalischen Darbietung ähnlich wie ein mit "Buhh-Rufen" von der Bühne gefegter Gesangstars. Ich weiß es nicht und will mich auch nicht weiter damit befassen. Ein Bühnenauftritt war es jedenfalls.
Ich sehe den Darsteller in seinem wunderschönen, gelb-rot-schwarz gefärbten Kostüm, mit stolz gerecktem Hals, der sich mit jedem Tonstoß bis aufs Äußerste streckt, um seine künstlerische Qualität zur Perfektion zu steigern... und wird dann von einem schnöden Hauspantoffel verjagt. Zugegeben: ein starker Eingriff in sein Seelenleben! Ein dermaßen schlecht behandelter Opernstar könnte darüber ins Grübeln geraten, im Wiederholungsfall gar in depressive Stimmung verfallen. Fast schon bedauere ich mein jähzorniges Verhalten ein bisschen. Schließlich wollte der Hahn mit seinem Krähen doch nur sein Bestes geben, mich gewissermaßen mit seinem Konzert beschenken.Keine Sorge, verehrte Leser! Mein Hahn, mein in der Morgensonne bunt schillernde Hahn flatterte nur ein wenig außer Reichweite meiner Aktion, blieb dann stehen, reckte sich... Sie ahnen, was folgte!

Ja, er setzte sein Konzert fort: stolz und sehr selbstbewusst, zumal ihm angesichts seiner Hühnerfamilie in den Büschen gegenüber der Kamm schwoll und zu weiterer Beschäftigung forderte.
Ein glücklicher Hahn und hier auf den Philippinen, da ich diesen kleinen Bericht verfasse, eher die Ausnahme. Die meisten Hähne finden hier nicht zu ihrer naturgemäßen Bestimmung als Beschützer und Gatte. Es gibt weit mehr Hähne als Hühner, und sie werden getrennt von ihnen zu einer ganz anderen Bestimmung erzogen, zum Hahnenkampf nämlich.
Man wettet, verdient Geld, oft sehr viel Geld. und von solcher Tierquälerei sei hier nicht die Rede.

Dieser Text wurde eingereicht von: Knud