Rituale
Können wir uns ein Leben ohne Rituale vorstellen? Wohl kaum, obwohl aus manchen unserer täglichen Gewohnheiten auch Rituale entstehen können.
Wenn wir zum Beispiel bei Kerzenschein mit leiser Hintergrundmusik, Zeitung lesend, unser morgendliches Frühstück einnehmen, kann sich aus dieser Gewohnheit ein angenehmes Ritual entwickeln, um den Tag mit einer kleinen Festlichkeit zu beginnen. Auch das regelmäßige Zusammentreffen mit lieben Freunden, die stets wiederkehrenden Kegelabende oder sonstige persönliche erfreuliche Rituale sind angenehme Bestandteile unseres Lebens.
Wie sagt ein scherzhaftes Sprichwort? "Von der Wiege bis zur Bahre sind die schönsten Lebensjahre". Viele unserer Lebensphasen werden von Ritualen begleitet. Der neue Erdenbürger wird mit dem festlichen Ritual der Taufe oder Namensgebung begrüßt, zu Einschulung erhält das I-Dötzchen eine mit Süßigkeiten gefüllte Schultüte und die Hochzeitsfeierlichkeiten werden von diversen Ritualen geprägt. Oder denken wir an die Rituale bei Geburtstagsfeierlichkeiten, an Wohnungswechsel oder berufliche Veränderungen und so weiter.
Am Ende unseres irdischen Lebens gibt es die verschiedensten Traditionen des Abschiednehmens und der Trauer.
Sind die persönlichen Rituale Meilensteine in unserem Leben, so sind es auch die religiösen Festtage wie Weihnachten, Ostern, Pfingsten und so weiter. Wie viele Kindheitserinnerungen werden dann wach! Wenn auch im Laufe des Lebens die Rituale mit denen wir diese Feste feierten sich ändern, so sind sie doch, zumindest in der westlichen Welt, immer noch feste Größen im Jahresablauf.
Schauen wir über unseren Tellerrand hinaus auf andere Völker und Kulturen, so können wir erstaundliche, uns manchmal fremd anmutende Rituale wahrnehmen.
In Westafrika zum Beispiel gibt es den berühmten Kult der religiösen Vereinigungen der "Hauka", deren Anhänger meist aus den Gegenden von Ghana und Nigeria stammen. In noch nicht zu lange zurückliegenden Zeiten begingen die Teilnehmer das zentrale Ritual des Hauka-Kultes. Dabei fallen sie in Trance, werden von Geistern besessen, die für die ehemaligen europäischen Kolonialmächten standen und von denen sich die Einheimischen geknechtet fühlten. Durch dieses Ritual wurde das Trauma des Kolonialismus verarbeitet.
Ein Ritual zeromonieller Geselligkeit findet heute noch auf den Fidschi-Inseln statt - bei den so genannten Kava-Runden. Aus Kava, einer Pflanze, die nur in Ozeanien gedeiht, wird ein entspannender und geistig belebender Trank hergesellt, der bei vielen rituellen Gelegenheiten den Gästen angeboten wird, z. B. bei Geburten, Hochzeiten, Trauerfällen - oder einfach bei geselligem Beisammensein. Ein sehr wichtiges Ritual nimmt bei einer Kava-Zeremonie die Sitzordnung ein. Gesellschaftlicher Aufstieg wird z. B. bei Kava-Runden in einer besseren Position bei der Sitzordnung kundgetan.
Eine ganz besondere ritualisierte Art Feste zu feiern, welcher Art auch immer, gibt es bei der inidanischen Gruppe des Tlingit der Nordwestküste Amerikas bis ins 19. Jahrhundert - das war das Potlatch-Fest.
"Potlatch" bedeutet so viel wie schenken, ernähren und noch mal SCHENKEN! Der Gastgeber verteilt nach einer hierachisch festgelegten Ordnung an die eingeladenen Verwandtschaftsgruppe Geschenke und bringt dadurch seinen öffentlichen Rang und Status zum Ausdruck. Die Teilnahme an einem solchen Fest verpflichtet die Gäste zu Gegeneinladung. Diese Feste stärken die gemeinschaftlichen Beziehungen. Durch den Handel mit Europäern im 19. Jahrhundert ging dieses Brauchtum stark zurück und lebte erst Mitte des 20. Jh. wieder auf. Es dient heute vor allem der Versicherung einer gemeinsamen indianischen Identität.
Das Ritual der japanischen Tee-Zeremonie hat auch in Hannover eine besondere Bedeutung. Wurde doch in dieser Stadt die Deutsch-Japanische Gesellschaft mit ihrer japanischen Partnerstadt Hiroschima 1989 gegründet. Als Gastgeschenk erhielt die Stadt Hannover das japanische Teehaus geschenkt, das sich im Stadtpark Hannovers befindet und 1996 um einen stilgerechten japanischen Teegarten ergänzt wurde. Jährlich finden dort öffentliche Tee-Zeremonien statt, die von einer japanischen Teemeisterin gestaltet werden. Interessierte können daran teilhaben und sich dabei auch über die Rituale des Teetrinkens informieren.
Und doch sind auch lange Zeit gepflegte Rituale dem Wandel der Zeiten unterworfen, werden verändert, ergänzt, oder verlieren an Bedeutung. Dennoch können wir uns ein Leben ohne Rituale nicht vorstellen, sind sie doch auch Träger und Vermittler regen und lebendigen Kulturaustausches.
IHausH
Hallo Häuschen, ich glaube, wir brauchen Rituale, um uns in unserem Lebensraum vertraut und geborgen zu fühlen. Andererseits müssen Rituale auch veränderbar sein, damit unser Lebensraum nicht zum Kerker wird.
Lieben Gruß von Distel