Mein Schutzengel
Mein Schutzengel (Piri45)
Ich war am frühen Morgen nach Neuwied gefahren. Dort wartete Karin auf mich und wir beide freuten uns schon auf einen gemeinsamen Tag. Die Strecke war fremd für mich, daher ließ ich mich von Sami - so nannte ich die Navigation in meinem Auto - leiten. Sami führte mich genau vor das Haus, in welchem Karin seit Februar wohnte. Ich war also relaxed. Wir beide schnatterten den ganzen Tag bis 18 Uhr und wurden nicht müde. Kurz es war ein schönes Beisammensein. Ich verabschiedete mich gut gelaunt und machte mich wieder unter Samis Anweisungen auf den Rückweg.
Der Radiosender war immer wieder stark gestört. Deshalb schaltete ich das Radio auf stumm. Die Autobahn war frei und ich fuhr nicht angestrengt. Das Wetter war wechselhaft. Sonne und Wolken stritten sich um die Herrschaft. So kam es, dass die Autobahn manchmal noch nass war, vom vergangenen Regen. Die Windschutzscheibe wurde daher von überholenden Fahrzeugen nass gespritzt und ich musste den Scheibenwischer betätigen. Kurze Intervallwischer genügten aber, um freie Sicht zu haben.
Ich hing meinen Gedanken nach, ließ den vergangen Tag reveau passieren und freute mich auf daheim. Ich dachte an die Gespräche, die wir geführt hatten und wurde an meine zweite Ehe erinnert. Ganz mechanisch fuhr ich in Richtung Heimat und ganz mechanisch betätigte ich ab und zu, wenn mich ein Fahrzeug überholte, den Scheibenwischer.
Da hörte ich aus dem Radio meinen Namen. Ich überlegte ob dies eine Fehlschaltung des Senders gewesen war, wunderte mich aber doch sehr darüber. Um festzustellen ob das Radio noch auf stumm geschaltet war, lenkte ich meinen Blick von der Straße auf die Anzeige des Gerätes. Dies veranlasste mich meinen Fuß vom Gaspedal zu nehmen. Meine Geschwindigkeit verringerte sich von 130 auf 100 Stundenkilometer. Und wieder ein Fahrzeug, das mich überholte. Wieder war die Scheibe für Sekunden nass und ich konnte nicht richtig sehen.
Doch! Ich täuschte mich nicht! Vor mir eine Wand von aufgetürmten Fahrzeugen. Ich bremste mit voller Kraft, meine rechte Hand flog zur Warnblinkanlage. Ich sah wie die hinter mir fahrenden immer näher rückten, kam selbst zum Stehen, sank in meine Fahrersitz, presste mich mit aller Kraft in den Sitz, mit den Händen hielt ich das Lenkrad umklammert, machte die Arme ganz steif, kniff die Augen zu und wartete auf den Knall, der von hinten kommen musste. Ich hörte wie es rechts und links neben mir krachte, wie das Metall kreischte, die dumpfen Schläge wenn Fahrzeug auf Fahrzeug prallte. Plötzlich wieder Ruhe um mich. Ich wagte die Augen zu öffnen. Realisierte, rechts und links verkeilte Fahrzeuge, die Schrottwand noch vor mir. Mein Hintermann hatte es geschafft. Er war mit Abstand zum Stehen gekommen. Schnell legte ich den Rückwärtsgang ein, lenkte um die verunfallten Fahrzeuge herum und wollte rechts parken. Meine Knie zitterten. Mir wurde übel. Ein Mann kam auf mich zu gelaufen. Fragte: "Sie sind so blass, fehlt Ihnen was, sind sie verletzt?"
"Nein, ich bin unversehrt! Kann ich helfen?", war meine Antwort. "Wir haben einen Säugling im Wagen, der furchtbar schreit". Ich stieg aus, begab mich zum Wagen vor mir. Eine junge Frau mit einem 3 Monate alten Säugling auf dem Arm stieg aus. Ich erklärte ihr, dass ich eine japanischen Heilkunst ausübe. Sie sah mich groß an. "Sagen sie bloß, sie machen Reiki!" Ich bejahte. "Ach bitte legen sie die Hände auf mein Kind!" Dieser Aufforderung kam ich natürlich gerne nach. Marvin schrie aus Leibeskräften. Die Tränchen hingen unter seinen Augen in dicken Tropfen. Doch kaum hatte ich die Hände auf sein Windelpaketchen gelegt, hörte er auf zu schreien. Er beruhigte sich sehr schnell.
Ein Blick zurück auf die Fahrzeugwand. Auf allen vieren kriechende Menschen auf der Autobahn. Andere die schreiend umher rannten, telefonierten, helfende Hände überall. Eine Fahrzeuglawine hatte sich bereits gebildet. Kein Auto kam mehr vorbei. Ich hatte das Gefühl zu stören, wenn ich mich dort hin begab. Daher setzte ich mich ins Auto und fuhr langsam weiter. Polizei und Rettungsfahrzeuge kamen mir auf der anderen Seite entgegen.
Eine Stunde später parkte ich mein Auto vor unserer Garage. Im Radio kam die nächste Verkehrsdurchsage: "Zwischen Höhr-Grenzhausen und Limburg Nord Fahrbahnsperrung nach Unfall". Ich schaltete das Gerät aus. Ein Schauer durchlief mich. Für einen Moment spürte ich die Nähe meines Schutzengels und ich wusste, hätte er nicht meinen Namen genannt, wäre ich noch dort, mitten unter den Verletzten. Die Sekunde ohne Tritt auf das Gaspedal war der halbe Meter, der bis hin zur Fahrzeugwand gefehlt hatte. Danke!
Ein Text von: Piri45
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