Andrea Raffelini und das Gewitter
Heute Frau b. schon wieder!
In der Nacht regnet es wieder. Kein gutes Vorzeichen für größere Aktivitäten. Es war vielleicht doch nicht so verkehrt, dass wir wandertechnisch schon gut vorgearbeitet haben. Wir waren in allen Cinque-Terre-Dörfern, wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich schon in allen Ecken war. Trotzdem würde ich gerne noch mal nach Vernazza. Der Besuch in Corniglia war auch nur flüchtig. Wir waren in den größeren Nachbarorten Levanto und La Spezia, letzteres des Öfteren zum Einkaufen. Portovenere und die Bergdörfer Biassa und Volastra haben wir erwandert. Ich bin mir sicher, da oben gibt es noch mehr solche schnuckeligen Sachen.
Vielleicht kann mir ja mein neuer italienischer Freund noch ein paar Tipps geben. Den habe ich heute kennengelernt, als ich auf meinem Klappstuhl in der Via Pecunia sitze und gerade beginnen will, die Kirche abzumalen. Andrea Raffelini stolpert die Straße runter. Das Gehen fällt ihm sichtlich schwer. Nachdem er mit allen Einheimischen einen Schwatz gemacht hat, will er wissen, wo ich herkomme. Dann können wir ja deutsch miteinander reden, sagt er und erzählt mir was von seiner Abneigung gegenüber Amerikanern, weil die keine Versprechen einhalten. Anders wäre das mit den Deutschen und deshalb hat er auch die deutsche Sprache gelernt. Er bietet mir an, von seinem Balkon aus zu malen. Nachtigall, ick hör dir trapsen, denke ich mir. Er lässt nicht locker, er will mir seine Bücher zeigen. Er erwähnt einen deutschen Schriftsteller, den ich nicht kenne. Eckhard Peterich, so hieß der mal, hat Goethe nachgeeifert und Italienreisen beschrieben. Andrea zitiert nun aus diesem Buch die blumige Beschreibung der Hafenstadt Portovenere. Nun bin ich doch beeindruckt und neugierig. Ich lasse mich überreden, den Balkon und seine Bücher anzuschauen.
Er humpelt mit mir den Berg hoch, er quält sich regelrecht. Seine Knie sind kaputt Arthrose. Hier in Riomaggiore kann man mit so einer Behinderung eigentlich gar nicht leben. Der Mann wohnt neben der oberen Kirche am Castello im familieneigenen Haus in der 2. Etage. Unten wohnt sein Vetter, sagt er. Die Türen stehen alle offen. Die Haustür soll ich anlehnen, damit die Katzen nicht reinkommen. Die Wohnung sieht ziemlich chaotisch aus. Überall liegen Berge von Büchern aufgetürmt auf dem Tisch zwischen Krümeln vom Frühstück und Medikamentenschachteln, auf dem Fußboden und, soweit ich sehen kann, auch im Nachbarzimmer, und überall gucken Zettelchen und Lesezeichen raus. Schrank und Regal sind ebenfalls voll. Die hat er alle gelesen, sagt er. Ich kann eigentlich nur deutsche Bücher entdecken, davon ganz viel über Romanik sein ganz besonderes Steckenpferd.
Verschiedene Ausgaben des Duden sind da, alles mit Randnotizen. Ob er so was beruflich gemacht hat, will ich wissen. Nein, er war bei der Sozialversicherung. Nun kramt er diesen italienischen Reiseführer raus und schlägt die Seite über Portovenere auf. Ich soll vorlesen. Sein Vetter klopft und bringt ihm eine Schüssel mit Gemüseeintopf. Er lässt sich nicht überreden zu essen, ich soll erst lesen laut. Haargenau so wie er es zitiert hat, steht es dort geschrieben. Es geht ihm runter wie Öl. Er ist wahrscheinlich zum hunderttausendsten Mal begeistert über die Wahl der Adjektive. Das Buch borgt er mir, damit ich ja wiederkomme. Schon morgen soll ich kommen. Der Blick von seinem Balkon ist wirklich atemberaubend, aber nur was für Schwindelfreie. Von hier aus könnte ich gut meinem Mann winken, aber er guckt natürlich nicht.
Ich eise mich endlich los und nehme meinen Platz vor der Kirche wieder ein. Inzwischen scheint sogar die Sonne. Neulich hatte ich das Bauwerk schon mal von hinten, heute die vordere Fassade mit zahlreichen Schmuckelementen.
Der Hunger treibt mich vor Fertigstellung nach Hause. Hier lese ich mich in dem geborgten Buch fest. Das Wetter wird wieder schlechter. Grandiose Wolken türmen sich am Himmel und schon zucken die ersten Blitze. Ich habe wirklich kein gutes Gefühl in dieser exponierten Lage. Als ich die Tomaten für das Abendbrot in die Pfanne schmeiße und mich gerade über die enge und schlecht ausgeleuchtete Küche aufrege, tut es einen Schlag und ich stehe ganz im Dunkeln. Ich sehe nur noch die Gasflamme unter der Pfanne. Als ob mir einer sagen will: Jetzt kannst du mal sehen, was schlecht beleuchtet heißt! Ist ja gut. Ich sag ja schon gar nichts mehr. Nach einer endlos langen halben Minute ist der Strom wieder da. Draußen grummelt es noch eine Ewigkeit vor sich hin. Scheiß Gewitter!!!
🙂 wow, wie spannend, liebe St....ich erinnere mich an eine unserer Wanderungen, als du mich mit Erzählen von meiner Müdigkeit ablenken wolltest und es sogar geschafft hast. Einfach schön.
Ich könnte ewig so weiterlesen.......
Freue mich schon auf deine nächste Erzählung, vor allem dein Buch.
Ach so---einen Tip habe ich noch, kauft euch ein paar Haushaltskerzen, damit ihr wenigstens den Mund beim nächsten Stromausfall findet. 😉
Allerliebste Grüße auch an Balloony
die Flo(h)