Verlorene Kirchen

  • Verlorene Kirchen

     Constantia antwortete vor 4 Jahren, 8 Monate 4 Teilnehmer · 5 Beiträge
  • Constantia

    Organisator
    27. August 2019 um 9:11

    Die Stadt Dresden hat in diesem Jahr eine Broschüre mit dem Titel "Verlorene Kirchen" in überarbeiteter Ausgabe kostenlos herausgegeben. In ca. A4-Größe werden auf 80 Seiten Kirchen vorgestellt, die im Zuge der Bombardierung Dresden zerstört worden und größtenteils anschließend gänzlich verschwanden.

    Beim Durchblättern konnte ich erkennen, zu einigen habe ich eine ganz persönliche Beziehung, obwohl ich erst 1951 geboren bin.

    Zunächst hatte ich die Erlöserkirche gefunden. Ein Gotteshaus, welches 1878/80 von der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde Böhmischer Exulanten errichtet. Meine Großeltern und meine Mutter wohnten ab 1942 bis 1945 ganz in der Nähe. Ich nehme an, es war Zufall, obwohl die Wurzeln meiner Großmutter teilweise auch Richtung Böhmen gehen.

    Ich besitze eine Niederschrift meiner Mutter vom 8. Mai 1946 über ihre – wie sie schreibt – Flucht aus dem Paradies. Erste Station diesere Flucht war eben diese Kirche. Sie schreibt

    … Wir gingen nach der Erlöserkirche. Sie stand noch im Dunkeln. Auf den Bänken im Schiff ließen wir uns nieder und wollten den Morgen abwarten. Aber man ließ uns keine Ruhe. Schon wieder krachten die Bomben. Erst nahm ich an, es seien Zeitzünder. Aber ein Treffer vors Portal lehrte mich eines Anderen. Es war ein neuer Angriff. …
    Aus dem Schiff zogen wir uns unter die Empore zurück. Dieser Angriff war noch schwerer. … Draußen brannten die letzten Häuser. Die Bänke in der Kirche fingen an zu brennen…

    Jahrzehnte später fand ich diesen Bericht in ihrem Nachlass. Ich machte mich auf den Weg in die Straße von Wohnung und Kirche. Nichts erinnerte mehr. Dabei gibt es sogar Fotos meine Mutter vor der Ruine des Wohnhauses. Alles verschwunden. Dort stehen jetzt Garagen. Das muss in etwa das Areal gewesen sein. An der Stelle der Kirche befindet sich ein Neubaublock. Wobei deren Bau auch schon wieder mindestens 50 Jahr her ist.

    Einige wenige Dinge der Erlöserkirche wurden gerettet. Darunter auch die vier Sandsteinfiguren der Evangelisten. Die stehen heute vor der Kapelle eines Friedhofes bei mir um die Ecke.

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    Die zweite Kirche mit persönlichen Bezug ist die Jacobikirche. Mein Großvater (wir befinden uns noch in der Familie mütterlicherseits) wohnte dort in der Nähe und nur aus kleinen Bemerkungen weiß ich, dass man wohl manchmal in dieser Kirche zum Gottesdienst war.

    Auch diese Kirche gibt es nicht mehr. Wir sind manchmal mit der Straßenbahn dort vorbeigefahren und immer kam der Hinweis meiner Mutter auf diese Kirche. Irgendwie hat der zwar geräumte Platz es geschafft einfach frei zu bleiben. Heute befindet sich dort eine Grünfläche auf dem Weg zu einem Park. Die Grundfläche ist dem Grundriss der Kirche nachempfunden. Gerettet udn aufbewahrt hat der Festtürflügel heute einen Platz auf der Grünfläche. Die Anordnung der Bänke soll an die Kirchenbänke erinnern. Unauffällig, fast schon still, dabei ganz in der Nähe des neuen Kulturzentrums Kraftwerk Mitte, ich halte dort gern mal inne.

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    Die dritte verlorene Kirche ist wohl eine der ältesten Kirche Dresdens. Die Sophienkirche. Ich kann mich noch an die Ruine erinnern, an die Stümpfe der beiden Kirchtürme. Irgendwann 1962/63 wird die eigentlich rekonstruierbare Ruine abgetragen. Dresden sollte sozialistische Großstadt werden, da passte sie nicht hin. An der Stelle entstand ein Gastronomiekomplex "Am Zwinger", im Volksmund Fresswürfel genannt.

    Und was hat das mit mir persönlich zu tun? Nach der Wende engagierte sich eine Gruppe von Menschen nicht nur für den Abriss des "Fresswürfels", sondern vor allem für den Wiederaufbau der Kirche. Voran eine Frau Hermann. Diese wiederum war die Lehrerin meiner Chefin. Eine energische Dame, ich hatte sie so manches Mal am Telefon, wenn sie wieder etwas für die Sophienkirche initiieren wollte. Sie kannte die Kirche noch gut, hatte dort im Chor gesungen. Ihrer Hartnäckigkeit ist es mit zu verdanken, dass zumindest jetzt die Busmannkapelle am alten Platz wiederentstanden ist. Ein Rundumschutz aus Glas gestattet auch Andachten und Ähnliches. Die großen hellen Säulen markieren die ursprüngliche Außenwand der Kirche.

    Der gerettete Kirchenschatz war viele Jahre im Stadtmuseum zu bewundern bis unbekannte Räuber nicht widerstehen konnten. Ein inzwischen internationaler, aber leider immer noch ungelöster Kriminalfall.

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    Es gibt noch eine vierte Kirche, die fast schon verloren schien und nun eines der Wahrzeichen der Stadt ist. Über diese vielleicht später einmal.

    Und so bin ich nicht nur im Großen und Ganzen mit meiner Stadt verbunden, sondern auch im Kleinen mit einzeln Gebäuden, mit deren und meiner Geschichte.

    Bis zum nächsten Mal.

    Constantia

  • Abendrot

    Teilnehmer
    27. August 2019 um 18:13

    Danke Konstanzia für deinen so ausführlichen Bericht. Großartig finde ich Menschen, die sich noch für verschwundene, verlorene Kunstschätze interessieren, bzw. einsetzen. Die Wunden des 2. Weltkrieges nagen ja immer noch.

    Bei uns hat man bei zwei total zerstörten Kirchen Reste der Wände stehen lassen und in der Mitte des Platzes der zerstörten Kirche steht eine Skulptur trauernder Eltern.
    In der zweiten zertrümmerten Kirche blieb nur die Muttergottesfigur erhalten, schwarz gefärbt. Man hat eine kleine Kirche um sie errichtet, Madonna in den Trümmerm.
    Diese beiden "Kirchen" beeindrucken mich immer wieder.

    Schönen Abend wünsche ich Dir, Abendr 😉 t

  • Constantia

    Organisator
    27. August 2019 um 20:43

    Danke liebe Abendrot für Deine Zeilen. Es macht neugierig, wie in anderen Gegenden mit den Verlusten umgegangen wird bzw. wie man an die Opfer erinnert.

    Constantia

  • seestern47

    Teilnehmer
    28. August 2019 um 12:18

    Ein interessanter Beitrag. Mit Dir würde ich gerne mal eine Stadtführung durch Dresden bekommen. So ein großer Wissensschatz!

  • Constantia

    Organisator
    4. September 2019 um 9:06

    Na ob ich live so gut bin, wage ich zu bezweifeln.

    Constantia

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