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Mein Wald
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Mein Wald
Ich habe eine Anleihe bei John Carlson, dem Landschaftsmaler, gemacht. Er schrieb einmal, dass ein ganzes Leben nicht ausreichen würde, um das Wesen der Bäume zu ergründen. Das habe ich mir zu Herzen genommen. Seither mache ich mich mit Bäumen vertraut, mit ihrer Natur, ihrem Wachstum, ihrer Bewegung. Begreife sie als lebendige Wesen mit Sehnsüchten, die den meinen nicht unähnlich sind. Ich wandere durch Wälder und erlebe die Persönlichkeiten der Bäume. Dort stehen sie schweigend und würdevoll, doch niemals unfreundlich. Und oft ist mir dann, als würden sie mit dunkler Stimme zu mir sprechen.
Es gab eine Zeit, da war ich empfindungslos. Der Wald war für mich nichts weiter als viele Bäume. Ein guter Bestand ließ sich in Kosten/Nutzen erfassen und allenfalls noch für die Jagd nutzen.
Seit ich ins Leben zurückgefunden habe, ist mir der Wald ein Asyl des Friedens, der tanzenden Schatten, des sonnengefleckten Grüns. Wie trotzige Wächter scheinen die verwitterten Stämme, deren ausladende Äste sich in vornehmem Bogen neigen. Tönende Stille schwebt in der Luft. Hunderte kleiner Augenpaare leuchten im Verborgenen, feine Ohren sind aufgetan, um die Absicht des Eindringlings zu verspüren. Ich bin nicht tiefer als eine Handbreit in die Geheimnisse der Natur eingedrungen. Gebe mich damit zufrieden, dass ich den Apfelbaum habe, dass er schön ist, und mir seine Früchte spendet, dass ich die Fichte habe, die mir Schatten schenkt und dass dieselbe Feuchtigkeit, die in dieselbe Erde sickert, Zapfen aus der Fichte treibt und Äpfel aus dem Apfelbaum.
Seltsam wie meine Beziehung zum Baum sich änderte, als ich erst einmal seinen Wert und seine Würde als lebendiges Wesen erfasst hatte. Bäume sind Persönlichkeiten, die in ihrer Art über eine unendliche Fülle des Ausdrucks verfügen, sodass sie meinem Auge heroisch erscheinen mögen, oder komisch, oder tragisch.
Der Baum bedrängt selten oder nie die Freiheit eines anderen Baumes. Er scheint zu erfühlen, dass seine Freiheit dort endet, wo die des anderen beginnt. Niemals vergeudet er sein Wachstum nutzlos. Dreht und wendet er sich, so geschehen diese Drehungen und Wendungen in engem Zusammenhang, ja in Übereinstimmung mit denen seines Nachbarn und führen zu jenem Rhythmus, jenem Fließen verwandter Linien, die dem Walde eigen sind.
Nehmen wir uns ein Beispiel.
© Ferdinand
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