Der Hauptgewinn

  • Der Hauptgewinn

     Mondin antwortete vor 4 Jahren, 8 Monate 5 Teilnehmer · 8 Beiträge
  • Mondin

    Teilnehmer
    10. Februar 2021 um 17:39

    Syringia hat mich verleitet, euch auch eine Geschichte zu erzählen.

    Die Geschichte ist ziemlich banal und neu ist sie auch nicht mehr. Meine Freunde und Freundinnen kennen sie alle schon. Sie schweigen aus Höflichkeit und hören sie sich immer wieder geduldig an, wenn ich meine, sie in einer Runde noch nicht erzählt zu haben. Hier ist aber niemand von ihnen ich kann hoffen, dass diese Geschichte vom einzigen Hauptgewinn meines Lebens sich noch nicht bis hierher herumgesprochen hat.

    Ihr müsst wissen, dass ich nur Nieten ziehe, im Lotto nie die richtigen Zahlen ankreuze, im Flugzeug garantiert neben jemandem sitze, der mit einem Platz nicht auskommt, mich an der Kasse stets in die langsamste Schlange einreihe und wenn ihr noch mehr solche Ungeschicklichkeiten kennt, seid sicher, ich pflege sie alle! Ich will zwar nicht behaupten, dass ich ein Pechvogel bin, aber das Glück weicht mir mit viel Geschick und, wie mir scheint, permanenter Bosheit aus.

    Beim Sommerfest der Sonntagsschule muss es allerdings geschlafen haben. Oder es war abgelenkt. Oder es hat mich verwechselt. Dass es wirklich mich gemeint hat, kann einfach nicht sein.

    Damals, als Kind wusste ich noch nicht, dass Nieten mein Los sind, und kaufte von dem Geld, das meine Mutter mir gab, auch ein paar dieser glückverheißenden kleinen aufgerollten Zettelchen in einer Metallöse. Die Preise waren verlockend: Zuckerstangen, Liebesperlenfläschchen, Brausepulver, Kaugummi mit Aufplättmuster zum Aussticken, umhäkelte Taschentücher, ein Paar schneeweiße Söckchen mit Lochmuster, ein bunter Ball, ein Brummkreisel, ein Springseil und sogar ein Silberlöffelchen mit dem Wappen unseres Stadtteils. Der Hauptgewinn war ein schweres, gusseisernes Waffeleisen!

    Neben einigen Nieten zog ich die Nummer 69, eine krumme Nummer, die keinen großen Gewinn verhieß. Ich erwartete also nichts Besonderes, wäre mit einer Kleinigkeit zufrieden gewesen und glücklich über den Ball. An den Hauptgewinn dachte ich nicht einmal im Traum. Der musste ja eine 100 oder sogar eine 1000 sein!

    Doch ich gewann den Hauptgewinn. Was Richtiges. Was Handfestes. Was für Erwachsene. Nicht solchen Kinderkram. Ich konnte es nicht fassen!

    Das Sommerfest hatte im Haus Friedenstal stattgefunden, unten direkt an der Wupper. Für den Heimweg mussten wir den Fluss auf der Teufelsbrücke überqueren. Danach stiegen wir durch den Wald in Serpentinen steil bergauf. Ich war so müde wie alle Kinder, die wenigstens kleine Stücke von ihren Vätern auf dem Arm oder Rücken getragen wurden. Meine Mutter und mein Vater schleppten das schwere Waffeleisen.

    Da meine Mutter selbst solch ein Waffeleisen besaß, kam meines ganz unten in den Kleiderschrank. Es war das erste und lange Zeit das einzige Stück meiner Aussteuer.

    Von der Volksschule wechselte ich zum Gymnasium, vom Kindergottesdienst zum Konfirmandenunterricht. Zur Konfirmation schenkte mir mein Patenonkel statt der heißersehnten Armbanduhr erste Besteckteile. Auch zum Geburtstag bekam ich nun immer öfter Geschirrtücher oder Handtücher in allen Farben. Mutter nähte für mich Bettbezüge und Kopfkissenbezüge und all das legte sie zu meinem Waffeleisen in den Schrank. Auch Bettlaken gesellten sich dazu. Während meiner Ausbildung wuchs meine Aussteuer stetig und wanderte von dem kleinen Fach in Mutters Schrank in eine große Kiste auf dem Speicher. Meine Freundinnen heirateten, eine nach der anderen. Ich bekam die Chance, in Süd-Ost-Asien zu arbeiten. Die fünfzig Kilo Gepäck, die mir bezahlt wurden, passten für den Hinflug in zwei Koffer. Da nahm ich mein Waffeleisen natürlich nicht mit.

    Nach meiner Rückkehr, ein Jahr später, wohnte ich vorübergehend wieder in meinem Zimmer bei meinen Eltern. Den Mann fürs Leben fand ich in dieser Zeit auch nicht, sondern ging nach Afrika. Das Gepäck reiste mit dem Schiff und ich kaufte eine große Überseekiste für meinen Hausrat. Sie füllte sich schnell mit dem Nötigsten. Für das Waffeleisen fand ich keinen Platz mehr darin. Ich bezweifelte auch, in der zu erwartenden Hitze der Sahelzone jemals Appetit auf Waffeln zu bekommen und ließ das Eisen bei meinen Eltern auf dem Dachboden.

    Zurück in Deutschland machte ich eine zweijährige Weiterbildung in Berlin. Dort bewohnte ich ein winziges Zimmer und ein Waffeleisen war nun mal nicht unentbehrlich!

    Statt nun endlich mit über dreißig doch noch in den Hafen der Ehe einzulaufen, fand ich wieder Arbeit im Ausland. Dieses Mal konnte ich mit dem Auto zu meinem Einsatzort fahren, schiffte mich in Venedig ein und stieg in Beirut aus. Von dort waren es nur wenige Stunden Fahrt bis nach Amman. Wer einen VW-Käfer besessen hat, kann sich vorstellen, dass es einiges Geschick braucht, darin einen Hausrat unterzubringen. Waffeln hätten meine Kollegin und ich im Winter gern einmal unseren arabischen Freunden serviert, aber das Eisen stand zu Hause ganz unten in meiner Aussteuerkiste.

    Um es kurz zu machen: ich heiratete nie, benutzte zwar die Bettwäsche, die Handtücher und das Besteck aus meiner Aussteuer, lebte aber auch ohne Waffeleisen ganz glücklich, egal ob in der Wüste oder am Äquator. Mein Hauptgewinn überdauerte alle meine Auslandseinsätze auf dem elterlichen Speicher in Deutschland.

    Irgendwann ließ ich mich dann doch in meiner Heimat nieder, sammelte meine Besitztümer vom Dachboden und aus dem Keller meiner Eltern ein und räumte mein Kinderzimmer aus. Ich stattete meinen eigenen Haushalt aus und freute mich darauf, endlich mein Waffeleisen in Besitz und in Betrieb zu nehmen. Nur die Schnur musste ich ersetzen. Sie war inzwischen mürbe und brüchig geworden. Mein Elektrohändler klärte mich auf, dass solche Kabel mit Porzellanstecker viel zu unsicher und nicht mehr erlaubt seien, und dass es sie schon lange nicht mehr gäbe. Er fand aber noch eine irgendwo in einer Kiste und schenkte sie mir.

    Endlich konnte ich das Eisen in Betrieb nehmen. Zum Glück lud ich zu diesem festlichen Ereignis vorsichtshalber keine Gäste ein, denn als ich das Eisen einschaltete und darauf wartete, dass es sich freudig erhitze und den extrafeinen Waffelteig in warmes, weiches, süßes Gebäck verwandele, wollte es mir nicht zu Diensten sein. Es blieb kalt! Rächte sich für das lange Ignoriert-werden, die Jahre im Schrank und des Vergessen-seins in einer Kiste. Verstehen kann ich das schon. Ich wäre darüber auch beleidigt gewesen.

    Sollte ich eine Entschädigung versuchen? Es in die Küche ans Licht, in eine Vorzugsposition zu stellen, um es zu versöhnen? Dem einzigen großen Gewinn meines Lebens zusammen mit der Nummer 69 einen Ehrenplatz einrichten? Ihm gar einen kleinen Altar errichten? Dazu war das Eisen, ehrlich gestanden, wirklich nicht mehr ansehnlich genug und meine Wohnung zu klein für ein Museum.

    Schweren Herzens brachte ich das lang gehegte Andenken an eine Sternstunde meines Lebens zum Schrott.

    Ich kaufte mir sofort ein neues Waffeleisen, denn Waffeln esse ich für mein Leben gern. Das neue Eisen ist viel leichter aber lange nicht so solide gebaut wie mein gusseiserner Hauptgewinn vom Sommerfest der Sonntagsschule. Oft backe ich Waffeln für mich allein und erinnere mich an die Sternstunde meines Kinderlebens. Gern gesehenen Gästen serviere ich mit Vorliebe eine bergische Kaffeetafel, bei der die geerbte Dröppelmina zu Ehren kommt. Dann müssen sich Freunde diese Geschichte wieder anhören, auch wenn sie inzwischen so abgestanden ist wie kalter Kaffee.

    Mondin

  • Momo37

    Teilnehmer
    10. Februar 2021 um 18:07

    Aber hier, liebe @Mondin, kommt sie und das Waffeleisen noch mal richtig zur Geltung ! Schließlich hat es dich ja fast dein ganzes Leben begleitet..

    Das hast du sehr schön geschrieben !!!

    Danke, daß du uns hast teihaben lassen.

    L.G. Momo

  • Fischersfruwe

    Teilnehmer
    10. Februar 2021 um 19:44

    Eine wirklich schöne Geschichte, liebe Mondin. Dankeschön dafür. Aber was, bitteschön, ist eine Dröppelmina? Eine Kaffeekanne?

    Einen gemütlichen Abend wünsche ich dir. LG, Fifru.

  • Momo37

    Teilnehmer
    11. Februar 2021 um 9:56

    @Fischersfruwe und alle

    0.77){this.className += ‘ a-stretch-horizontal’}else{this.className += ‘ a-stretch-vertical’};this.onload=”;” id=”imgBlkFront” data-a-dynamic-image=”{"https://images-na.ssl-images-amazon.com/images/I/41PsjDE9i6L._SX364_BO1,204,203,200_.jpg":[366,499],"https://images-na.ssl-images-amazon.com/images/I/41PsjDE9i6L._SY344_BO1,204,203,200_.jpg":[254,346]}”>

  • Driftwood

    Teilnehmer
    11. Februar 2021 um 10:36

    @Mondin Liebe Waffeleinsenhüterin, ich habe mich soeben einer köstlichen Kurzweil hingeben können und möchte mich ganz herzlich dafür bedanken. Es ist eine Zeitreise gewesen, auch wenn ich keines dieser Wunderwerke häuslicher Backkunst hatte, wie auch keine Aussteuer. Doch in einem gewissen Maße kann ich nachvollziehen, wie es sich anfühlt, wenn man(n) die “Näpfchen des Lebens” nicht ausläßt während Andere ganz gut ohne sie durchs Leben kommen. Du bist jedoch eine “Welterfahrene” im wahrsten Sinne und ganz sicher reich. Reich an erlebtem Leben – auch ohne eisernen Begleiter…..Viele Grüsse, Driftwood

  • Mondin

    Teilnehmer
    11. Februar 2021 um 17:48

    @Fischersfruwe extra für Dich fotografiert! Die Dröppelmina ist aus den Niederlanden hier eingewandert und war oft nciht ganz dicht. Die auf dem Bilderbuch gezeigte dreibeinige ist wertvoller als die einbeinige. Für mich ist sie einfach ein kurioses Andenken an mein Elternhaus.

    Mondin

  • Mondin

    Teilnehmer
    14. Februar 2021 um 20:01

    @Driftwood

    Es freut mich, Dir ein bisschen Kurzweil verschafft zu haben! Und Danke für Deine nette Antwort!
    Mondin

Beiträge 1 - 7 von 7

Sie müssen angemeldet sein, um zu antworten.

Hauptbeitrag
0 von 0 Beiträge June 2018
Jetzt

Verstoß melden

Schließen