Begegnung im Dunkeln

  • Begegnung im Dunkeln

     Suffade antwortete vor 1 Jahr, 3 Monate 1 Teilnehmer · 1 Senden
  • Suffade

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    29. Juli 2024 um 9:42

    Ich hauste im Areal des leerstehenden Studentenheimes St. Rupert, das auf seine Sanierung wartete. Noch war es nicht so weit, noch wies nur eine Baustellentafel an der bröckelnden Fassade darauf hin, dass in dieser Gründerzeitvilla exklusive Stadt-Wohnungen entstehen sollen. Wer, so wie ich, den Ablauf derartiger Planungen kennt, der weiß, dass solche Ankündigungen Jahre dauern können. Ich spürte instinktiv Gefahr und begann die Luft anzuhalten. Was ist das für ein Geräusch vor meiner Schlafstelle? Es hört sich an, als würde jemand den von Gras überwucherten Weg vom Gartentor zu meiner Schlafstelle im Erdgeschoss der Villa entlang schlurfen. Zunächst denke ich an einen streunenden Hund, aber dann vernehme ich ein leises Fluchen. Die Schritte werden lauter. Ich starre wie eine Mumie aus meinem Schlafsack in die Finsternis. Mein Spürsinn konzentriert sich ganz auf das Hören. Vorsichtig öffne ich den Reißverschluss meines Schlafsackes, um mehr Bewegungsfreiheit zu erlangen. Man weiß ja nie. In der Hosentasche ertaste ich Taschenmesser und Feuerzeug. Sollte ich damit Licht machen? Nein, noch nicht, vielleicht verzieht sich der Störenfried ja von selber. Sicherheitshalber setze ich mich auf, den Rücken an die kalte Wand gelehnt harre ich der Dinge, die da auf mich zukommen. Irgendwie fühlt man sich als Obdachloser ja immer schuldig.

    Wilde Geistergeschichten meiner Kindheit fahren durch meinen Kopf – fast muss ich laut lachen, so skurril ist die Situation. Plötzlich – das rostige Knirschen – jemand drückt die Klinke der Terrassentür. Dann streift mich ein Windhauch von Außen. Ein Mann steht im Türrahmen und versucht vergeblich ein Streichholz zu entflammen. Der matte Lichtschein einer Straßenlaterne fällt für Sekunden durch die geöffnete Tür. Schemenhaft ist zu erkennen, dass es sich um einen Leidensgenossen handelt. Ich werde mutig, räuspere mich und klicke mein Feuerzeug an. Ich kann es nicht sehen, vermute aber, dass er vor Schreck zusammenzuckt.
    „Wer bist du?”, frage ich. Keine Antwort. Der andere saß dort, an die Wand gelehnt, leise schnaufend. Dann ein leiser Fluch: „Hast mich ganz schön erschreckt. Und jetzt lass mich in Ruhe, ich bin todmüde.“

    Merkwürdig, denke ich, bei jemanden zu hocken ohne ihn zu sehen. Immerhin teilt er mein Schicksal, also versuche ich es andersrum: „Zigarette?“
    Das bringt ihn zum Reden. „Was zu trinken wär’ mir lieber, aber Zigarette ist auch gut, meine sind im Regen nass geworden.“
    Ich klicke wiederum mein Feuerzeug und halte ihm die Packung hin. Er zittert und sagt: „Danke, bis morgen.“

    Die Geschichte geht ja noch ein bisschen weiter. Demnächst – wenn ihr wollt.

    ©Story & Foto by Suffade

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