Startseite Foren Das "Ich", was ist das eigentlich?

  • happyday

    Mitglied
    8. Mai 2021 um 20:28

    Danke @Webra für die Schilderungen deiner eigenen Kriegserlebnisse als Kind.

    Zu dem ganzem Grauen des Krieges, das Kinder sicher gar nicht einordnen konnten, dann auch noch von Eltern und dem älteren Bruder getrennt…Dazu bei einem prügelnden Bauern untergebracht zu sein, da kann sich ein Kind nur von allen verlassen fühlen…Wie gut für dich, dass heute ein Mensch neben dir ist, wo du dich dazu gehörig fühlen kannst…

    Darf ich fragen, hast du deinen Bruder und deine Eltern wieder „gefunden“ ?

    Zu den beiden Grundbedürfnissen des Menschen gehören „dazu gehören“ und „wachsen dürfen„. – Die erste Erfahrung, verbunden zu sein, also dazu zu gehören, machen wir im Mutterleib.

    Bereits vor der Geburt wachsen wir – körperlich. Nach der Geburt gehört zum Wachsen auch, so sein zu dürfen, wie wir sind…,nicht wie Eltern uns gern hätten.

    In meiner Kindheit und Jugend verstand ich nie, wieso meine Mutter mich schlug, wenn meine kleine Schwester etwas „angestellt“ hatte…Dann fühlte ich mich falsch in dieser Familie. –

    Viele Jahre nach dem Tod meiner Mutter, sie starb als ich 21 Jahre alt war, hatte ich für mich eine Erklärung „gefunden“. – Sie hatte ständig Angst, besonders um uns, ihre Töchter. Es hatte wohl mit ihrer Hilflosigkeit als Folge ihrer eigenen Kriegserlebnisse zu tun.

    LG happyday

  • happyday

    Mitglied
    8. Mai 2021 um 13:45

    @Fritz.the.Cat , volle Zustimmung zu deinem Beitrag…

    Generell möchte ich etwas ergänzen, was leider, leider nicht zum allgemeinen Verständnis von Trauma-und Hirnforschung gehört. –

    Unsere Erlebnisse werden als Erinnerung im Langzeitgedächtnis gespeichert.

    ABER…traumatisches Erleben nicht, das wird im Kurzzeitgedächtnis abgelegt und ist jederzeit, wenn jemand/ etwas „triggert“ (z.B. Gerüche, Gesten, Geräusche usw. ) sofort wieder da, als wäre es eben jetzt geschehen. Der oft verwendete Satz: „Die Zeit heilt alle Wunden“ ist schlichtweg falsch. Was mit der Zeit passiert, soweit sich Betroffene mit ihrem Thema bewusst auseinandersetzen, dann verändert sich der Umgang mit dem Geschehen.

  • happyday

    Mitglied
    8. Mai 2021 um 11:25

    @rooikat , habe eben deinen Beitrag gelesen, für einige Momente nach Luft geschnappt, und antworte dir mal nur kurz spontan… – Meine beste Freundin und ihre Schwester sind eineiige Zwillinge. Wir kennen uns seit der ersten Klasse. 1947 gab es keinen Ultraschall bei Frauenärzten in der DDR, so wusste die Mutter nicht, dass sie Zwillinge zur Welt bringen wird. – Was mir meine Freundin wieder und wieder erzählte, wenn sie „sauer“ auf ihre Mutter war : Für meine Mutter bin ich nur die Nachgeburt…WorriedWas für eine Verletzung der Zweitgeborenen…

    Seit 10 Jahren sind beide Schwestern in der Demenz…Frowning2

    PS.:Danke auch an dich, @Webra , auf deinen berührenden Beitrag antworte ich auch noch…

  • Webra

    Mitglied
    7. Mai 2021 um 20:35

    Hänge mich mal an diesen Beitrag mit dem Versuch, Traumata und Epigenese ein wenig zu beleuchten. Bevor ich mit meinen Gedanken dazu beginne, möchte ich die Herren in dieser Gruppe dazu ermuntern, speziell von dem Kontakt zu Vätern, vielleicht auch Großvätern, zu erzählen.

    Ja, euch meine ich, @Fritz.the.Cat , @Webra , @villa.chaos und @Stadtwolf. happyday

    Dann fange ich mal an.Cowboy

    Mein Vater war im Zweiten Weltkrieg nicht im direkten Fronteinsatz. Als Lockführer hat er aber

    auch Kriegserlebnisse zum erzählen gehabt. Es waren meisten die Angriffe feindlicher Tiefflieger

    oder Zerstörungen des Schienenstranges durch Partisanen. Diese Erzählungen dürften bei mir

    keine Spuren hinterlassen haben. Geprägt worden dürfte mein „Ich“ durch eigene Kriegserlebnisse.

    Bei den vielen, nächtlichen Bombenbangriffe auf Dortmund, manchmal zwei bis dreimal pro Nacht, mussten wir immer in unseren „Luftschutzkeller“. Das war ein Keller im Haus, der durch einige

    Baumaßnahmen, Deckenabstützungen und eine Stahltür sicherer gemacht wurde. Darin befanden sich einige Stockbetten, Bänke und ein aufgebocktes Fahrrad mit Dynamo zur Stromerzeugung.

    Die Trennmauer zum Nachbarhaus war an einer Stelle in Türgröße aufgebrochen und mit nur einem hochstehenden Ziegel wieder zugemauert worden. Als durch einen Volltreffer das Haus über uns zusammenbrach und auch die Nebenhäuser eingestürzt waren, hat man dieses Mauerstück mit einem Vorschlaghammer zertrümmert, in den angrenzenden Nachbarhäusern hat man das Gleiche getan. Nach mehreren Stunden hatten wir dann ein Haus erreicht das nicht zerstört war und konnten wieder an die Oberfläche. Bis dahin war es aber für mich als 9 jähriges Kind eine bedrückende Situation.

    Kinder wurden zu der Zeit in Gegenden von Deutschland evakuiert, die nicht vom Bombenkrieg bedroht waren. Mein Bruder (12) und ich kamen in den Schwarzwald nach Reichenbach bei Lahr.

    Meine Mutter und mein Vater mussten in einer Notunterkunft in Dortmund bleiben. Da in unseren

    kleinen Ankunftsort (fast nur Bauern) keine Familie bereit war uns Brüder aufzunehmen, wurden wir getrennt. Mein Bruder kam ins Unterdorf und ich ins Oberdorf. Er kam zu einer netten Bauernfamilie mit zwei Kindern im fast gleichen Alter, ich aber zu einem Kinderlosen Bauernpaar.

    Der Bauer war ein gewalttätiger Typ, der seine Frau oft schlug. Auch ich machte oft Bekanntschaft mit seinen Hosenriemen. Schlafen musste ich in der Scheune neben dem Bauernhaus in der Kornkammer. Dort stand ein Bett aus Stahlrohren mit einer Strohmatratze. Nur im Winter durfte

    ich im Bauernhaus auf einer Couch in der „Guten Stube“ schlafen. In Meiner Kornkammer lag ich einsam und verlassen. Das rascheln der Mäuse, die sich in meiner Strohmatratze befanden,

    gaben mir etwas Trost. In mondhellen Nächten schaute ich ihnen zu, wenn sie sich um die am Boden liegenden Körner stritten. Dies war immer ein Lichtblick für mich.

    Diese Erlebnisse müssen bei mir einen Eindruck hinterlassen haben. Wenn ich jetzt ins Bett gehe,

    mit dem Bewusstsein Nachts nicht aufstehen zu müssen um in den Luftschutzkeller zu gehen und

    neben mir liegt ein lieber Mensch, erfüllt mich ein großes Glücksgefühl und ich schlafe, Danke sagend ein und fest durch bis zum Morgen.

    Mein „Danke“ ist nicht zielgerichtet. Ich bin aber davon überzeugt, dass es irgendwo Irgendetwas

    gibt, das diesen Dank verdient hat.

  • happyday

    Mitglied
    4. Mai 2021 um 13:25

    Hänge mich mal an diesen Beitrag mit dem Versuch, Traumata und Epigenese ein wenig zu beleuchten. Bevor ich mit meinen Gedanken dazu beginne, möchte ich die Herren in dieser Gruppe dazu ermuntern, speziell von dem Kontakt zu Vätern, vielleicht auch Großvätern, zu erzählen.

    Ja, euch meine ich, @Fritz.the.Cat , @Webra , @villa.chaos und @Stadtwolf

    Besonders euch Herren natürlich auch die Damen hier, möchte ich ansprechen und auch ermutigen, von euren Erfahrungen besonders mit Großvätern und Vätern zu berichten. – Haben eure Väter, so sie aus dem Krieg zurück kamen, euch Söhnen davon erzählt ?

    Statt gegen Mitternacht ins Bett zu gehen, habe ich am TV mehr und mehr fasziniert geschaut: Das kleine Fernsehspiel – Der Krieg in mir

    Mir war bekannt, dank Peter A. Levine ( Entwickler von SE – somatic-experiencing ), dass die verschiedenen Traumata in der eigenen Familie epigenetisch an Kinder und Enkel weiter gegeben werden.

    Der junge Mann aus diesem Dokumentarfilm, holte sich quasi in Zürich in einer Traumasitzung bei Peter A. Levine die „Bestätigung“ seiner eigenen Erfahrungen.

    Was mich betrifft, so weiß ich wenig bis nichts von meinen Eltern über die Kriegszeit. Meine Mutter hat mir bei Strafe verboten, jemals meinen Vater nach dem Krieg zu fragen. Und ich war eine gehorsame Tochter. – Das tut mir heute leid, weil seit Langem niemand mehr lebt, den ich fragen könnte.

    Diese epigenetisch weiter gegeben „Erlebnisse“ prägen auch das ICH von uns Nachkommen.

  • happyday

    Mitglied
    2. Mai 2021 um 23:09

    Zum Abschluss dieses Abends komme ich zurück auf die Eingangsfrage von dir, @Fritz.the.Cat , nach dem „ICH“ …- Meiner Meinung hat die Sozialisation einen wesentlichen Anteil auf meine erlernten Verhaltensmuster, die auch mein ICH ausmachen.

    Kann Denken, Handeln, Verhalten… gleich sein, „nur“ weil die Sprache die Gleiche ist ? Wesentlichen Einfluss auf mein ICH hatte ganz klar meine Sozialisierung im „Arbeiter-und Bauern-Staat“ DDR. – Möchte jetzt gar nicht auf die „politische Ebene“ eingehen, sondern auf langjährige, fast tägliche Erfahrungen. –

    Einige Jahre noch nach der Wiedervereinigung ertappte ich mich, wenn ich meine Lebensmitteleinkäufe daheim auspackte, dass ich schon wieder viel zu viel eingekauft hatte, frei nach dem erlernten Muster: das gibt es gerade, nimm es mit, wer weiß, wann ich es wieder mal sehe. – Nachvollziehen kann das nur, wer dieses in vielen Bereichen von Mangel geprägtes „Erleben“ auch hatte…Erlernte Muster, für mich konkret 40 Jahre lang, dann wieder abzutrainieren, das dauert…Vermutlich wird einiges unter der Haut hängen bleiben.

  • happyday

    Mitglied
    2. Mai 2021 um 18:32

    Zunächst sage ich, @Paesi ,schön, dass du hier von deinem „ICH“-Erleben erzählst. Da ich, wie immer, nur von mir schreiben kann, auch mein ICH hat ähnliches erlebt, wie du es aktuell empfindest. –

    Damals Mitte der 80iger Jahre war ich neu in der Bergbauklinik, als mich der Klinikchef zu sich bat…Für einen Moment verstand ich nicht, was er wollte, erst als ich sah, dass Tränen in seinen Augen standen, hörte ich zu und begriff, es scheint ernst zu sein. Die Diagnose war Gebärmutterhalskrebs…Alles, was mir durch den Kopf ging, die OP muss gut ausgehen, mein „Pubertier“ ist erst 15 Jahr alt, er braucht mich noch. Die OP ging gut aus…Wenige Jahre später wurde dann alles, was mich als Frau ausmachte ( so jedenfalls hörte ich es von Kollegen ) „ausgeräumt“…

    Dann begann sich mein ICH gegen so manches Vorurteil zu Wehr setzten, dass eine Frau keine ganze Frau mehr ist, wenn…Zum Glück für mich, betrachtete mich mein damaliger Partner als „ganze Frau“…Mir ging es gut, die manchmal unerträglichen Schmerzen waren weg. Ich war immer noch ich…und fühlte das auch so.

    Kurz nach der Wiedervereinigung tastete ich einen Knoten in der Brust. Umgehend ließ ich mich vom Gynäkologen, der mich schon zweimal operiert hatte, untersuchen. Was er dann zu mir sagte, nahm mir die Luft : „Bei Ihrer Vorgeschichte, das MUSS bösartig sein…“ Wortlos verließ ich das Sprechzimmer und stürmte an der „Vorzimmerdame“ vorbei. Sie lief hinter mir her und rief noch: „Sie brauchen einen OP-Termin“. – Diese Praxis habe ich nie wieder betreten und eine andere Klinik für die OP gesucht. Der Knoten war gutartig…,und ich konnte meine eigene Praxis eröffnen.

    PS.: Unter Aktivitäten vorn lösche ich meinen Beitrag…

  • Paesi

    Mitglied
    2. Mai 2021 um 16:37

    Auch wenn sich meine Ansicht vom ICH sicher von den hier Mitwirkenden unterscheidet, entschied ich mich, sie doch niederzuschreiben.

    Was ist das Ich? Für mich der die Gesamtheit, was mich ausmacht – Körper, Geist; Empfindungen, Erfahrungen – dachte ich jedenfalls bis zu meiner OP. Als ich danach einschneidende Veränderungen vernahm, war ich „geschockt“ und ich sagte mir immer wieder: „Das bin ich nicht mehr. Ich möchte wieder sein, wie ich war.“ Da war jedoch innerlich eine Stimme, die meinte: „Das bist noch Du. Du musst lernen. die Veränderung anzunehmen.“

    Für mich ist ICH auch einfach nur ein Personalpronomen, das sich auf eine sich selbst bezeichnende Person verweist – in Abgrenzung zum Du zum Beispiel, das für sich selbst wieder ein ICH ist und im Wir findet sich das Ich wieder als Teil verschiedener Personen, verschiedener Ichs.

    Ich erinnere mich ebenfalls an meine jüngste Tochter. Ich glaube, sie war noch nicht ganz 2 Jahre. Wenn sie jemand fragte: „Wer bist du denn?, war die Antwort ICH. Dieselbe Antwort kam, wenn jemand fragte, wie sie heiße. Nach dem Ich kam schnell das Meine.

  • happyday

    Mitglied
    2. Mai 2021 um 14:36

    Menschen, die ein Alter, weit über 80 Jahre erleben, haben oft gleichaltrige Freunde und/oder auch den Partner verloren. Wenn sie sich unterhalten möchten mit …“weißt du noch…“, dann ist oft niemand mehr da, der sich erinnert. Kinder und Enkel, sofern es sie gibt, rollen oft – vermeintlich unbemerkt – die Augen und denken wohl, nicht schon wieder die alten Geschichten. Da mir das bekannt ist, erzähle ich nichts von früher, es sei denn, ich werde konkret gefragt. –

    Was ich vor einigen Jahren gelesen habe, gefiel mir: Es geht nicht nur um die vergangenen Erlebnisse und um das Erinnern des/derjenigen. Es geht um die Pflege sozialer Kontakte wie z.B. bei den Affen das „Lausen“…Wink

    Menschen, die ins „Vergessen“ (Demenz/Alzheimer) gehen, sind oft auch ungeduldig. Sie spüren es, sie verlieren ihr ICH mit dem Verlust der Erinnerung auch das Empfinden, wer bin ICH ( noch ) .?.

  • happyday

    Mitglied
    2. Mai 2021 um 14:16

    Komme nochmal zurück auf die Frage von dir, @Fritz.the.Cat auf vorgeburtliche Einflüsse zurück, und spreche auch @seestern47 und @rooikat an. Auch da scheint vieles noch längst nicht bekannt zu sein. Es heißt z.B., wie die werdende Mutter d`rauf ist, salopp gesagt, das hat Einfluss auf das Kind. Meine jüngere Schwester war in der Schwangerschaft ihres vierten Kindes oft sehr traurig…Und ihr viertes Kind war und ist das fröhlichste Kind meiner Schwester. Inzwischen wird die Jüngste zum dritten Mal Mutter. – In meiner Studienzeit habe ich die Vorlesungen in Pathologie geschwänzt als es um kindliche Missbildungen ging…Was heute absolut tabu ist, ich habe noch bis zum Tag vor der zu frühen Geburt am Patienten gestanden . Heute verboten, Schwangeren sind wegen Infektionsgefahr die Behandlungen untersagt. –

Seite 3 von 5

Sie müssen angemeldet sein, um zu antworten.

Verstoß melden

Schließen